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Schweizer fürchten Überwachung durch Contact-Tracing-App

Schweizer Soldaten bei einem App-Experiment: Wie zuverlässig funktionieren die über Bluetooth gemessenen «Kontakte» auf relativ engem Raum, wie etwa im ÖV?
Schweizer Soldaten bei einem App-Experiment: Wie zuverlässig funktionieren die über Bluetooth gemessenen «Kontakte» auf relativ engem Raum, wie etwa im ÖV?bild: dp-3t / via twitter
Analyse

Schweizer fürchten Überwachung durch Contact-Tracing-App – und wollen sie trotzdem nutzen

Die vom DP-3T-Konsortium entwickelte Corona-Warn-App hat bei der Bevölkerung einen Vertrauensvorschuss. Allerdings müssen die Verantwortlichen transparent informieren. Speziell gefordert ist der Bund.
29.04.2020, 09:5701.05.2020, 13:19
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Gemäss einer neuen wissenschaftlichen Erhebung sehen 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung bei einer Contact-Tracing-App das Risiko, dass die Anwendung zu einer stärkeren staatlichen Überwachung führen könnte. Eine Mehrheit hat dennoch vor, die Corona-Warn-App zu nutzen.

Die Resultaten stammen von einer repräsentativen, landesweiten Befragung der ZHAW School of Management and Law, die im Zeitraum vom 17. bis 26. April 2020 stattfand. Am Mittwoch wurde per Medienmitteilung informiert.

«Die Studie untersuchte die Einstellung gegenüber einer App zur freiwilligen, anonymen Kontaktnachverfolgung via Bluetooth, wie sie in der Schweiz zur Eindämmung von Coronainfektionen geplant ist.»

Dieses App-Konzept entspreche der europäischen Initiative «DP-3T», die Datenschutzrisiken bei der Nutzung von Contact-Tracing-Apps zu reduzieren versuche.

Was sind die Bedenken der Bevölkerung?

  • Staatliche Überwachung
  • Fehlalarme
  • Hackerangriffe

Nico Ebert, Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW, wird in der Medienmitteilung zitiert:

«Trotz der hohen grundsätzlichen Akzeptanz gibt es in der Bevölkerung offenbar einige Bedenken – selbst gegenüber einer Contact-Tracing-App, die keine Standort- und Bewegungsdaten erfasst»

Neben der Überwachungsgefahr befürchten rund 40 Prozent der befragten Personen, dass die App nicht richtig funktioniert und beispielsweise Fehlalarme auslösen könnte.

Etwa 30 Prozent sorgten sich, dass ihr Smartphone leichter gehackt werden könnte.

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Festzuhalten bleibt, dass noch keine öffentlichen Informationen vorliegen, was die Zuverlässigkeit der in Entwicklung befindlichen Schweizer Contact-Tracing-App betrifft. An der Eidgenössisch-Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) laufen seit Wochen App-Tests, an denen auch Angehörige der Schweizer Armee teilnehmen. Das Schweizer Fernsehen hat am vergangenen Freitag über die Versuche berichtet.

Wird die Corona-Warn-App infrage gestellt?

Nein. Die repräsentative Befragung zeigt eine relativ hohe Akzeptanz seitens der Schweizer Bevölkerung.

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grafik: zhaw
  • Wie die Studie weiter zeige, «beabsichtigen fast 9 von 10 Befragten, eine allfällige eigene SARS-CoV-2-Infektion auf jeden Fall oder wahrscheinlich in der App zu melden.»
  • «Eine grosse Mehrheit würde auch der Aufforderung der App folgen, eigene Kontakte stärker zu reduzieren oder sich in häusliche Quarantäne zu begeben, wenn ein erhöhtes persönliches Infektionsrisiko vorliegt.»

Dazu kommentiert Nico Ebert:

«Zumindest in Bezug auf das beabsichtigte Nutzungsverhalten der Menschen wäre somit eine Voraussetzung gegeben, damit die App ihren Zweck erfüllen kann.»

Warum wollen die meisten Schweizer die App nutzen?

Als Gründe für die Nutzung der App nannten die Befragten laut Medienmitteilung:

  • vor allem das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Allgemeinheit (73 Prozent)
  • und den Schutz von Familie und Freunden (67 Prozent).
  • Die Hälfte der Befragten wolle «ausserdem zur Reduktion von Todesfällen unter älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen beitragen».
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Was sollte der Bund aus der Studie lernen?

Dazu rät Michael Widmer, Dozent am Zentrum für Sozialrecht der ZHAW:

«Es ist deshalb wichtig, bei der Einführung einer Contact-Tracing-App auf diese Sorgen einzugehen. So braucht es etwa Transparenz über die genaue Funktionsweise der App und über Massnahmen zur Wahrung des Datenschutzes.»

Die Studien-Verfasser geben zu Bedenken, dass sich von den heutigen Absichten der Bevölkerung nicht zwingend auf die spätere tatsächliche Nutzung schliessen lasse.

Die Resultate seien vergleichbar mit denen in anderen europäischen Ländern.

Wie war die Studie angelegt?

Dazu schreiben die Verantwortlichen vom Institut für Wirtschaftsinformatik und dem Zentrum für Sozialrecht der ZHAW School of Management and Law:

An der Umfrage nahmen rund 2000 Personen aus allen Landesteilen teil. Grundlage war das Szenario einer App, die keine Standort- und Bewegungsdaten erfasst. Sie registriert stattdessen via Bluetooth anonym längere Kontakte zu anderen App-Nutzenden und informiert diese, wenn sie sich in der Nähe einer Person befunden haben, die eine Infektion gemeldet hat. Das Konzept entspricht der europäischen Initiative «DP-3T», die Datenschutzrisiken bei der Nutzung von Contact-Tracing-Apps zu reduzieren versucht.
quelle: medienmitteilung

Kommentar des Redaktors

Der Vertrauensvorschuss seitens der Schweizer Bevölkerung für die geplante freiwillige (!) Contact-Tracing-App ist erfreulich. Doch der Teufel steckt im Detail.

Wir wissen, dass das Contact Tracing (herkömmlich und digital) seine volle Wirkung nur entfalten kann, wenn Verdachtsfälle umgehend getestet werden. Denn schliesslich will man, wenn man telefonisch oder per App einen Warnhinweis erhalten hat, möglichst rasch herausfinden, ob man tatsächlich infiziert ist. (Sonst würde man ja vielleicht unnötigerweise mehrere Wochen in Quarantäne verbringen.)

Abgesehen von der Transparenz, die seitens DP-3T-Konsortium vorbildlich ist, steht der Bund in der Pflicht. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) muss zusammen mit weiteren Behörden eine funktionierende Infrastruktur schaffen, in die die nationale Corona-Warn-App eingebettet ist.

Und man muss vor der Lancierung über die Risiken (IT-Sicherheit) informieren, damit die Smartphone-Nutzer nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden können.

Insider-Informationen?
Digital-Redaktor Daniel Schurter ist via E-Mail erreichbar, und verschlüsselt über den Schweizer Messenger Threema. Threema ID: ACYMFHZX. Hinweise werden vertraulich behandelt.

Quellen

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Was man über Corona-Warn-Apps wissen muss
Contact Tracing meint die persönliche Rückverfolgung von Infektionsketten. Ziel ist es, die (unbemerkte) Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten einzudämmen oder im besten Fall zu stoppen. Konkret sollen alle Leute gewarnt werden, die über eine gewisse Zeit in relativ engem körperlichen Kontakt standen mit einer infizierten Person und sich angesteckt haben könnten, ohne es zu wissen.

Zu Beginn der Corona-Krise in der Schweiz wurde Contact Tracing übers Telefon gemacht, das heisst, Infizierte (in Quarantäne) wurden zu ihrem Umfeld befragt, das sie vielleicht angesteckt hatten. Wegen der exponentiellen Zunahme der Covid-19-Infektionen war dieses System allerdings bald einmal überlastet, es wird aber in der Phase nach der Lockerung der staatlichen Zwangsmassnahmen («Lockdown»), wenn es wenige Covid-19-Fälle gibt, flächendeckend betrieben von den kantonsärztlichen Diensten.

Digitales Contact Tracing funktioniert per Smartphone-App. Die Mobilgeräte registrieren über ihre Bluetooth-Verbindung automatisch und anonym, wenn sie sich über eine gewisse Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander befunden haben. Dieses Verfahren wird auch als Proximity Tracing bezeichnet. Erst später, bzw. nur wenn eine Infektion durch einen medizinischen Test bestätigt worden ist, kann die erkrankte Person andere App-User, die sie vielleicht angesteckt hat, schnell und diskret warnen.

Singapur hat im März 2020 als einer der ersten Staaten eine auf der Messung von Bluetooth-Low-Energy-Signalen basierende App namens TraceTogether lanciert, wobei die Funktionalität eingeschränkt ist, weil der Datenaustausch zwischen iPhones und Android-Geräten nicht gut funktionierte. In Europa und weltweit werden nun Proximity-Tracing-Apps lanciert, die dieses Problem nicht haben, weil Apple und Google bei iOS und Android auf Betriebssystem-Ebene eine Schnittstelle zur Verfügung stellen.

Beim dezentralen Ansatz gilt der Grundsatz Privacy by Design: Die Datenverarbeitung (zur Berechnung des Infektionsrisikos) erfolgt auf den Mobilgeräten. Nur bei einer offiziell bestätigten Infektion und der Einwilligung des Users werden dessen anonymisierte Proximity-Daten (Schlüssel) an einen Server überragen, die es ermöglichen, Dritte zu warnen, und den Datenschutz zu gewährleisten.

Beim zentralen Ansatz werden die Proximity-Daten an einen staatlich kontrollierten Server übermittelt, wo das Infektionsrisiko berechnet wird. Diese System-Architektur ist von über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um den Globus als problematisch bezeichnet worden, weil der System-Betreiber nachträglich und heimlich Funktionen ändern («Function Creep») oder zusätzliche Funktionen einführen könnte («Mission Creep»).

Apple und Google unterstützen dezentrale Proximity-Tracing-Apps durch eine technische Kooperation. Sie stellen autorisierten App-Entwicklern eine Programmierschnittstelle (API) zur Verfügung, die Corona-Warn-Apps zuverlässige Bluetooth-Distanzschätzungen und Datenaustausch zwischen Android- und iOS-Geräten ermöglicht. Zudem haben die US-Techkonzerne das Proximity Tracing direkt in die weltweit dominierenden mobilen Betriebssysteme integriert.

Freiwillige Nutzung ist laut Apple und Google Bedingung und wird auch von der Schweizer Corona-Warn-App «SwissCovid» umgesetzt. Das heisst, digitales Contact Tracing kann nicht vom Staat erzwungen werden, sondern erfolgt nur mit Zustimmung der User (Opt-in).
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79 Kommentare
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Kak Attack
29.04.2020 10:37registriert August 2016
Mich würde vom Autor mal interessieren, wie genau er freiwillig (!) definiert. Das nicht zum ersten Mal verwendete "(!)" macht mich noch immer mehr stutzig als dass es beruhigen würde ;-)

Also für mich bedeutet freiwillig, dass ich ohne Handy/App KEINE Einschränkungen gegenüber denjenigen mit Handy/App haben werde. Und zwar nirgends. Auch nicht, wenn ein Privatanbieter (zB ein Geschäft oder Restaurant dies zur Bedingung macht. In diesem Falle heisst für mich freiwillig, dass mich das Gesetz gegnüber einer solchen Diskriminierung schützen wird.
Sehen Sie freiwillig auch so, Herr Schurter?
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Antichrist
29.04.2020 10:27registriert März 2020
Es braucht aber einen Entlassungsschutz, wenn jemand wegen Verdacht auf einen Kontakt zu Hause bleiben muss.
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Seard neute
29.04.2020 11:58registriert Februar 2019
Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren (Benjamin Franklin).
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