Das renommierte «New Yorker»-Magazin hat am Montag einen vielbeachteten Artikel veröffentlicht. Titel: «Elon Musks Schattenherrschaft».
Die Unterzeile lautet: «Wie sich die US-Regierung auf den Tech-Milliardär verlassen hat – und nun darum kämpft, ihn zu zügeln».
Der Artikel zeigt auf, wie Musk mit visionären Investitionen einen geopolitischen Einfluss erreichten konnte, der seinesgleichen sucht und der ihn nun auf Augenhöhe verhandeln lässt mit den mächtigsten Anführern der Welt.
Der Verfasser, Pulitzerpreis-Gewinner Ronan Farrow, arbeitet aber auch Musks widersprüchliche Haltung zum Ukraine-Krieg und seine gefährliche Nähe zu Wladimir Putin auf.
Insgesamt zeichnet der «New Yorker» ein beunruhigendes Bild. Es geht weniger um Enthüllungen, sondern um eine eindrückliche Charakterisierung eines getriebenen Mannes. Eines unberechenbaren, gefühlskalten Egomanen.
Der ständig unter Strom stehende Unternehmer bekundet schon länger Mühe, sich zu entspannen. 2018 sickerte durch, er schlucke das verschreibungspflichtige Schlafhilfsmittel Ambien, das Halluzinationen verursachen kann. Und im Frühjahr wurde publik, dass er Ketamin konsumiert: eine Substanz, die als Partydroge an Popularität gewonnen hat, aber auch zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird.
Extrem wichtig.
Im März 2022, rund einen Monat nach Beginn der russischen Invasion, mutmasste ich in einer Analyse:
Inzwischen wissen wir, dass Musk mit seinen Unternehmungen massgeblich dazu beigetragen hat, dass die Ukraine weiter als souveräner Staat existiert und sich gegen die russische Armee und ihre Bomben behaupten kann.
Starlink wird heute in der kriegsversehrten Ukraine für militärische und zivile Zwecke genutzt. Eine gewichtige Rolle spielen aber auch die Stromspeicher «Tesla Powerwall».
Der ukrainische Digitalminister Mykhailo Fedorov brachte es in einer Videobotschaft Ende Juli auf den Punkt. Er dankte Musk, inmitten von grossen weissen Tesla-Schachteln stehend, «für die entscheidende Ausrüstung».
500+ Tesla Powerwalls to keep resilience of Ukraine's medical, social & energy infrastructure. Let me remind you that we have already received 40K+ Starlinks. Thanks @elonmusk for such crucial equipment for 🇺🇦. pic.twitter.com/dNiLlpPf0M
— Mykhailo Fedorov (@FedorovMykhailo) July 31, 2023
Laut Fedorov gewährleisten über 500 Batterie-Speicher die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Energieversorgung sowie der medizinischen und sozialen Infrastruktur – angesichts des anhaltenden russischen Raketenterrors. Ausserdem seien inzwischen bereits über 40'000 Starlink-Terminals in die Ukraine geliefert worden, so der Digitalminister.
Die Empfangsschüsseln, Dishes genannt, kommen auf Feldern, in Wäldern, Dörfern und auf Militärfahrzeugen zum Einsatz, wie die «New York Times» konstatiert.
Die Technologie habe der ukrainischen Armee einen grossen Vorteil gegenüber den russischen Streitkräften verschafft. Die mobilen Breitband-Verbindungen ermöglichten es Artillerie-Mannschaften, Kommandanten und Piloten, gleichzeitig Drohnenaufnahmen zu sehen und online zu chatten.
Die Reaktionszeit vom Erfassen eines Ziels bis zu dessen Bekämpfung konnte laut den Soldaten von fast 20 Minuten auf etwa 60 Sekunden verkürzt werden.
Abgesehen davon spielt Musks Online-Plattform X (vormals Twitter) eine gewichtige Rolle im Bestreben, russische Desinformation im Internet zu bekämpfen. Wir sollten hierbei aber nicht vergessen, dass Putin einen Informationskrieg gegen alle demokratischen Staaten führt. Und eines der prominentesten Opfer dürfte ausgerechnet Elon Musk sein.
Gewisse öffentliche Aussagen des Techmilliardärs lassen tatsächlich darauf schliessen, dass er von staatlicher russischer Propaganda und Desinformation beeinflusst wurde und es offensichtlich auch immer noch wird.
Doch das ist nicht der springende Punkt und soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Denn: Die Ukraine ist wegen Russlands verbrecherischem Angriffskrieg in ihrer Existenz bedroht und die Regierung unter Wolodymyr Selenskyj kann Musks Worte sowieso nicht auf die Goldwaage legen. Im Sinne des wichtigsten Zieles, nämlich in Freiheit zu leben, ist vielmehr ein pragmatischer Ansatz gefordert.
Entscheidend ist, dass Starlink auf ukrainischem Staatsgebiet (inklusive Krim!) funktioniert und wenn nötig aus Polen und anderen Partnerstaaten zusätzlich benötigte Hardware geliefert wird. Wenn das klappt, kann den Ukrainerinnen und Ukrainern im Prinzip egal sein, was der egozentrische Multimilliardär an Russen-Propaganda absondert.
Mangels Alternativen bleibt Starlink auf absehbare Zeit unverzichtbar für die Verteidigung der Ukraine und das Zurückschlagen der russischen Kriegsverbrecher.
Und hier gilt es an die roten Linien zu erinnern, die Musk – aus welchen Gründen auch immer – gezogen hat. Wie Informanten der «New York Times» bestätigten, lehnte er letztes Jahr das Ersuchen der ukrainischen Regierung ab, Starlink Zugang zur russisch okkupierten Halbinsel Krim zu gewähren. Später erklärte er, dass Starlink nicht für Langstrecken-Drohnenangriffe verwendet werden dürfe.
Im Februar dieses Jahres twitterte er:
Die Angst vor einem russischen Atombomben-Einsatz ist ein Narrativ, das der Kreml gezielt schürt im Westen. Dass Musk darauf ansprang und die Starlink-Abdeckung per Geofencing einschränkte, liess Bedenken aufkommen, dass Musk einen zu grossen Einfluss auf kriegswichtige Technologie habe. Auch auf Seiten ukrainischer Offizieller wurde Unmut laut.
Da erhielt Musk Unterstützung durch den ukrainischen Digitalminister Fedorov: Dieser erklärte, kritische Fragen zu Musks Engagement seien unfair. Als die Ukraine im November 2022 schwer bombardiert worden sei und vor grossen Stromausfällen stand, habe Musk geholfen, die Lieferung von etwa 10'000 Starlink-Terminals zu beschleunigen.
Inzwischen hat sich die US-Regierung eingeschaltet. Washington ist wohl endgültig bewusst geworden, dass die ukrainische Netzabdeckung nicht von den Launen eines Unternehmers abhängen darf, der sich als Putin-Versteher outete.
Im Juni genehmigte der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin eine Vereinbarung über den Kauf von 400 bis 500 neuen Starlink-Terminals und damit verbundenen Dienstleistungen. Details des Deals bleiben geheim.
Das Pentagon habe damit die Kontrolle darüber erlangt, wo Starlink in der Ukraine funktioniere, hielt die «New York Times» fest. Dies soll laut Informanten den Einsatzkräften ermöglichen, «gewisse Missionen» auszuführen. Und zwar ohne Angst vor unerwarteten Unterbrechungen.
Wie unabhängige Beobachter festhalten, ist unklar, wie viele der bisherigen Störungen des Starlink-Dienstes in der Ukraine auf Beschränkungen durch SpaceX selbst zurückzuführen sind. Denn im Rahmen der elektronischen Kriegsführung versuchen die Russen, Verbindungen zu stören oder ganz zu blockieren, was als Jamming bezeichnet wird.
Laut geleakten Geheimdienstberichten hat die russische Armee ein auf Lastwagen transportierbares, geheimes System namens Tobol getestet, um die Starlink-Kommunikation zu stören. Tobol versuche, die Satelliten offline zu schalten, berichtete die «Washington Post» im April.
Im Juli warnten die ukrainischen Cybersicherheitsbehörden davor, dass schlecht gesicherte Starlink-Terminals Soldaten einem «erhöhten Risiko» aussetzen könnten.
Diesen Monat nun informierte der ukrainische Staatssicherheitsdienst SBU, dass Hacker des russischen Militärgeheimdienstes GRU – mutmasslich die «Sandworm»-Gruppe – spezielle Schadsoftware gegen Starlink einsetzen.
Spionageabwehr-Fachleute hatten die Malware auf militärischen Android-Tablets entdeckt, die zuvor von den Russen erbeutet worden waren. Offenbar versuchten die Russen, die Starlink-Verbindung kompromittierter Geräte zu überwachen, um ukrainische Streitkräfte aufzuspüren.
Bislang hat das Starlink-Netzwerk alle zerstörerischen Hackerangriffe überstanden. Allerdings bleibt die Bedrohung durch die russischen Cyberkrieger akut.
Immerhin: Starlink betreibt ein «Bug Bounty»-Programm, das Sicherheitsforschern, die Schwachstellen im Satellitensystem aufdecken, eine Belohnung von bis zu 25'000 Dollar verspricht.
Verfasser ist der 35-jährige Investigativ-Reporter Ronan Farrow: Pulitzer-Preisträger, Bestseller-Autor, Rechtsanwalt und Sohn der Hollywood-Schauspielerin Mia Farrow.
Seine Berichterstattung zum Weinstein-Skandal («MeToo») brachte ihm 2018 Preise und grosses Renommee ein. Und auch sein im gleichen Jahr publiziertes Sachbuch «War on Peace», in dem er sich kritisch mit der Militarisierung der US-Aussenpolitik auseinandersetzt, erhielt viel Lob.
Später wurden dem Starjournalisten jedoch auch schwerwiegende handwerkliche Fehler vorgeworfen und seine Berichterstattung wurde in Teilen als tendenziös kritisiert.
Aus dem «New Yorker»-Artikel geht nicht hervor, warum ihn das Magazin ausgerechnet jetzt publiziert hat. Abgesehen von der online verfügbaren Version soll er als Long-Read in der Printausgabe am 28. August erscheinen.
Tatsache ist: Am 12. September, nur zwei Wochen später, soll eine mit Spannung erwartete Biografie über Elon Musk erscheinen. Und zwar vom US-Schriftsteller Walter Isaacson, der 2011 mit der offiziellen Biografie des Apple-Gründers Steve Jobs einen Weltbestseller gelandet hatte.
Die Diskussionen um die Leistungen und Verfehlungen des reichsten Mannes der Welt und seine Rolle bei Starlink werden also in nächster Zeit noch zunehmen.
Musk hatte es geschafft die Kosten, um Dinge ins All zu befördern mit den wiederverwendbaren Falcons um eine Grössenordnung zu senken und ist gerade daran mit Starship dies zu wiederholen.
Man mag den Mann verfluchen. Aber ohne ihn, wären wir in vielen Dingen nicht so weit.
„Unheimlicher Typ. Sehr bedrohlich seine zunehmende Macht. Das wird uns allen noch zu schaffen machen.“