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Der Moment, als der 17-jährige Porsche-Lehrling Martin Meyer (Name geändert) sein Leben zerstörte, lässt sich genau datieren: Am 21. Juli 2015 um 18.32 Uhr kommentiert er ein Foto auf der Facebook-Seite des österreichischen Radiosenders Kronehit. Es zeigt ein kleines Mädchen sorglos strahlend unter einer Wasserdusche für Flüchtlinge der freiwilligen Feuerwehr Feldkirchen. Darunter schreibt der Lehrling:
Am nächsten Tag zitierte ihn sein Chef bei Porsche ins Büro, konfrontierte ihn mit dem Hasskommentar und Meyer wurde umgehend entlassen. Der «Spiegel» (Print-Ausgabe) hat recherchiert, was danach geschehen ist.
Dem Lehrlingschef bei Porsche wurden nur Stunden nach der Veröffentlichung des Hasskommentars auf Facebook Screenshots zugespielt, versehen mit der Nachricht: «Da ich so ein Verhalten unter KEINEN Umständen dulde, und ich davon ausgehe, dass Ihr Unternehmen Derartiges ebenso wenig toleriert, setz ich Sie hiermit davon in Kenntnis.»
Fremdenfeindliche Kommentare auf Facebook sind seit Jahren ein Übel. «Neu ist, dass Aktivisten die Verfasser jagen», schreibt der «Spiegel». Das stimmt so natürlich nicht ganz. Seit Jahren tobt auf Facebook das Katz- und Mausspiel zwischen Linken und Rechten, die ihre Kommentare und Facebook-Profile gegenseitig melden.
Wohl als Folge der starken Zunahme an rassistischen Kommentaren in den letzten Monaten haben die «Hetzerjäger» ihren Kampf gegen Rassisten im Netz verstärkt. In den letzten Wochen verloren immer mehr Hassposter ihren Arbeitsplatz. «Allein in den vergangen Wochen haben ein Taxifahrer, ein Leiharbeiter und ein Lkw-Fahrer eine Abmahnung oder Kündigung erhalten», berichtet der «Spiegel». Betroffen waren auch der Detailhändler Spar oder das Rote Kreuz. «Engagierte Bürger hatten zuvor begonnen, Hasspostings an Arbeitgeber und Behörden zu melden», schreibt Der Standard.
Der «Spiegel» hat den ehemaligen Porsche Lehrling Meyer und seine Familie in Österreich besucht. Der junge Mann sagt, er habe sich nichts dabei gedacht und den Kommentar nach den ersten Reaktionen «doch sofort gelöscht». Die Familie sieht sich diffamiert: «Wir sind keine Braunen», sagte der Vater. Die Mutter kritisiert die Facebook-Aktivisten, die nun Jagd auf Hetzer machen: Ihr Bub sei «doch erst 17». Schockiert sei sie nicht: «Das ist doch ein ordentlicher Bub.» Im Gegensatz zu den Aktivisten, die ihren Sohn gemeldet haben, hätte ihr Bub mit seinem Kommentar «niemandem Leid zugefügt».
Lehrling Meyers Mutter ist wütend auf die Medien. Sie sei keine Pegida-Sympathisantin, wie die «Lügenpresse» geschrieben habe. «Ich musste erst mal googeln, was das bedeutet», sagte sie dem «Spiegel». Ausserdem habe sie gar einen Schwager aus der Türkei.
Die «Spiegel»-Journalisten hatten allerdings ihr inzwischen gelöschtes Facebook-Profil zuvor angeschaut und erhielten dabei ein etwas anderes Bild. Anfang Juli hat sie den folgenden Spruch der rechtsextrem NPD geteilt: «Lasst uns Flüchtlinge direkt bei unseren Politikern einquartieren und ihr werdet sehen, wie schnell dann dieser Spuk endet.»
Die Mutter sieht sich und ihre Familie in der Opferrolle: Da die Meyers auf Facebook mit Schmähschriften eingedeckt worden seien, hätten alle Familienmitglieder ihr Facebook-Profil löschen müssen. Ein Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes sei nach dem Hasspost bei ihnen zuhause aufgetaucht und habe das Zimmer des Sohns inspiziert. Daraufhin habe der Beamte gemeint, die Medien «hätten da viel Wirbel» gemacht. Seitdem fühlen sich die Meyers moralisch rehabilitiert.
Die Facebook-Aktivisten haben für solche Aussagen kein Verständnis: Angeschwärzt wurde Lehrling Meyer, der seine Ausbildungsstelle verloren hat, von Aktivist Marco Sahner (Name geändert). Auch mit ihm konnte «Spiegel» sprechen.
Faschistische Propaganda ist für Sahner ein Verbrechen, auch wenn ein Minderjähriger rechtes Gedankengut postet. «Was ihm passiert ist, tut mir nicht leid. Mit 17 Jahren darf man Auto fahren, man darf wählen, man muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein.» Sahner war laut «Spiegel» Lkw-Fahrer in Nordafrika. Danach organisierte er Hilfsaktionen für Flüchtlinge. Aber unter jedem Aufruf für Spenden musste er üble Kommentare lesen. Zusammen mit drei Freunden gründete er deshalb die Facebook-Seite O5.
Gefundene Hetzkommentare werden auf der Facebook-Seite O5 publiziert, allerdings ohne Namen und Foto des Verfassers.
Die Aktivisten durchsuchen Facebook im Schichtdienst nach fremdenfeindlichen Äusserungen und verpfeifen die Hass-Schreiber bei den Behörden. Zuvor wird das Profil geprüft, Screenshots werden angelegt und persönliche Informationen im Netz gesucht.
Sie würden bei den Behörden erst Meldung machen, wenn sie sich zu 100 Prozent sicher seien, sagt Sahner. «In besonders krassen Fällen informieren wir auch den Arbeitgeber, aber wir setzen dem Hass-Kommentator inzwischen eine Frist», erklärt Sahner dem «Spiegel» das Vorgehen. Lösche der Kommentator seinen fremdenfeindlichen Text innerhalb von 24 Stunden, erfahre der Arbeitgeber nichts.
Den Facebook-Aktivisten von O5 werden immer mehr Screenshots zugespielt – und das macht nicht alle glücklich. Sahners echter Name, Foto und Wohnort wurden laut «Spiegel» im Netz veröffentlicht. Er erhielt zuletzt Morddrohungen und musste von der Polizei beschützt werden. Weitermachen wollen er und die anderen Aktivisten trotzdem. «Wir sind keine Hetzer, wir zeigen Hetzer an.»
Die Familie des jungen Flüchtlingsmädchens hat dem 17-Jährigen übrigens verziehen und sich für eine zweite Chance bei Porsche eingesetzt, schreibt Der Standard.