Erinnert ihr euch noch an den 15. September 2000? An jenem Freitag wurden in Sydney offiziell die Olympischen Sommerspiele eröffnet – gerade mal einen Tag zuvor war Juan Antonio Samaranch in Lausanne als IOC-Vorsitzender zurückgetreten. Für Gamer in Europa war der 15. September vor nunmehr fast 21 Jahren ebenfalls ein bedeutendes Datum. Eineinhalb Jahre nach Japan und rund 12 Monate nach Nordamerika erschien mit «Pokémon Snap» ein aussergewöhnliches Abenteuer rund um die beliebten Taschenmonster auch in hiesigen Gefilden für Nintendos N64.
Anders als in früheren Serienablegern ging es darin nicht um das Fangen von oder das Kämpfen mit Pikachu, Glurak oder Mauzi. Stattdessen begab man sich mit dem Fotoapparat auf Safari, um die liebenswerten Kreaturen in der freien Wildbahn zu erforschen und die besten Schnappschüsse von ihnen zu erzielen. Trotz des grossen Erfolgs liess ein Nachfolger lange Zeit auf sich warten. Bis jetzt! Denn mit «New Pokémon Snap» ist es am 30. April 2021 endlich so weit.
Als «Pokémon Snap» im Jahr 2000 erstmals in Europa erschien, lag die Gründung der Pokémon Company noch nicht allzu lang zurück. Erst 1998 hatten sich die drei grossen Inhaber der Markenrechte an Pokémon – also Nintendo, Game Freak und Creatures – unter diesem Namen als gemeinsames Unternehmen zusammengeschlossen, das allein im Jahr 2019 einen Nettogewinn von umgerechnet rund 130 Millionen Franken erzielte.
Äusserst sorgsam geht die Pokémon Company deshalb mit dem zugkräftigen Franchise um und achtet genau darauf, wann und welche Informationen im Vorfeld zu ihren Produkten öffentlich gemacht werden. Aus diesem Grund darf man es als Privileg empfinden, wie wir mit zu den ersten gehören, die vorab selbst Hand an «New Pokémon Snap» legen dürfen.
Entwickler Bandai Namco orientiert sich im Switch-exklusiven Nachfolger spielerisch stark am seinerzeit von HAL Laboratory (Kirby's Adventure, Super Smash Bros u.a.) entwickelten Vorgänger, hievt das Geschehen mit hochauflösender Grafik und feinen Animationen jedoch technisch auf ein zeitgemässes Niveau.
Genauso wie im Original packen wir in «New Pokémon Snap» keine Pokébälle ein, um die Taschenmonster zu fangen, sondern eine Fotokamera, um die putzigen Kreaturen in freier Wildbahn abzulichten. Das passiert in der für die Reihe bislang unerforschten Lentil-Region, die sich aus verschiedenen, klimatisch vielfältigen Inseln zusammensetzt. Auf den meist nur wenige Minuten langen Safari-Touren durch Dschungel, Wüste oder ein besonders schönes Korallenriff bewegen wir uns nicht komplett frei. Wir nehmen in einem kleinen Fahrzeug namens Neo-One Platz, das uns vergleichbar mit Railshootern in vorgegebener Geschwindigkeit über eine mehr oder weniger feste Route durch das jeweilige Einsatzgebiet fährt.
Anders als im Vorgänger übernehmen wir nicht den Part eines bestimmten Charakters, sondern kreieren in einem enttäuschend oberflächlichen Editor unsere eigene Fotografin, respektive unseren eigenen Fotografen, um im Auftrag von Professor Mirror das Verhalten der Pokémon zu erforschen und als Beweis auf unseren Fotos festzuhalten.
Die Kamera selbst ermöglicht zunächst lediglich das Schiessen von Fotos, eine feste Zoomfunktion lässt uns auch weiter entfernte Pokémon besser ablichten. Schnell kommen weitere Optionen hinzu, mit denen wir Einfluss auf das Verhalten unserer Forschungsobjekte nehmen. Manche Pokémon animieren wir durch das Abspielen von Musik zu einer putzigen Tanznummer. Anderen werfen wir einen der unbegrenzt verfügbaren Samtäpfel zu und knipsen sie beim Futtern. Im Maul des flusspferdartigen Hippoterus finden gleich mehrere der süssen Früchte Platz.
Auch mit den später verfügbaren Lumina-Bällen, die die Pokémon zudem seltsam schimmern lassen, können spezielle Verhaltensweisen erzeugt werden. Mit gleich mehreren Lumina-Bällen bringen wir etwa zunächst den gigantischen Wailord dazu, sein Maul zu öffnen. Gelingt es uns in diesem Moment, einen Apfel in seinen Mund zu werfen, dreht sich der Meeresriese vor der Linse unserer Kamera einmal um die eigene Achse. Einer von vielen tollen Momenten, in denen wohl jedem Pokémon-Fan das Herz aufgeht.
Um möglichst alles über die mehr als 200 Pokémon in Erfahrung zu bringen, reicht es selbstredend nicht, einfach nur draufzuhalten. Nach jeder Tour dürfen wir Professor Mirror pro Pokémon-Art jeweils eines unserer Fotos zur Bewertung vorlegen. Punkte gibt es in gleich sechs Kategorien wie Blickrichtung, Positionierung und Hintergrund, womit wir auch insgesamt den Forschungsfortschritt im jeweiligen Gebiet erhöhen.
Gelingt uns dies, ergeben sich in den Einsatzgebieten automatisch Veränderungen. So taucht erst ab Stufe 3 in einem frühen Dschungellevel ein Bisaflor in Erscheinung. Die affenartigen Griffel, die zunächst vor allem auf allen Vieren unterwegs sind, schwingen sich dann auch mal an einer Liane über einen Abgrund.
Fotos, auf denen ein spezielleres Verhalten zu sehen ist, etwa ein Lumineon-Fisch, der eine im Sand vergrabene Perlu-Muschel an die Oberfläche befördert, sind mehr wert als ein gewöhnlicher Schnappschuss. Genau in dem Moment abzudrücken, wenn das Rankenfuss-Pokémon Wielie uns mit seinen weit abgespreizten Tentakeln droht, bringt etwa ein Foto in der höchsten von jeweils vier Sternenklassen.
Aber nur, wenn gleichzeitig Position und Co. gut getroffen sind, kann auch eine Diamant-Wertung zusammenkommen, die zum vollständigen Abschluss der Forschung pro Pokémon in allen vier Sternenklassen notwendig ist.
Obgleich die Spielmechanik von «New Pokémon Snap» faktisch stark begrenzt ist, gibt es für Hobbyforscher also jede Menge zu tun. Dass man dafür die oft sowohl in einer Tag- als auch einer Nachtversion verfügbaren Einsatzgebiete einige Male absolvieren muss, macht das Erlebnis dennoch nicht eintönig. Auch nach dem x-ten Abfahren der Strecke bemerken wir zuvor nicht entdeckte Pokémon, geheime alternative Routen oder einzigartige Verhaltensweisen, bei denen wir zuvor einfach nur in eine andere Richtung geschaut haben.
Diese auch durch das Erreichen etlicher Forschungsränge begünstigte Langzeitmotivation gilt aber eben doch primär für Pokémon-Freunde. Aus Sicht anderer Spieler dürfte das angenehm entschleunigte, aber letztlich vergleichsweise primitive Gameplay erheblich schneller seinen Reiz verlieren.
Während das originale «Pokémon Snap» seinerzeit noch ohne Online-Funktionen auskommen musste, ermöglicht der Switch-Nachfolger das Teilen eigener sowie das Abrufen und Bewerten von Fotos anderer Nutzer. Aber selbst Spieler, die daran kein Interesse haben, dürfen ihre Aufnahmen umfangreich aufhübschen. So stehen unter anderem verschiedene Rahmen und Sticker zur Auswahl, um die Fotos zu verschönern. Durch die Verwendung verschiedener, stufenweise regelbarer Filter lassen wir die Schnappschüsse zudem wie ein echtes Kunstwerk aussehen.
Da der Service in unserer Testversion noch nicht live war, konnten wir ihn noch nicht ausprobieren. Wir wissen also nicht, ob es auch direkt im Spiel eine Möglichkeit geben wird, die Fotos in Sozialen Netzwerken zu teilen. Ihr könnt die Bilder aber in jedem Fall direkt aus dem Ingame-Album heraus lokal auf der Konsole speichern und dann entsprechend aus der Galerie heraus auf eurem Twitter- oder Facebook-Kanal posten.
«New Pokémon Snap» ist rein spielmechanisch gewiss alles andere als ein Schwergewicht. Nichtsdestotrotz werden Pokémon-Fans und insbesondere Freunde des Vorgängers genauso viel Spass wie wir dabei haben, auf den railartigen Touren die liebevoll animierten Taschenmonster auf Fotos zu verewigen und geschickt mit den gegebenen Hilfsmitteln zu besonderen Aktionen zu bewegen. Denn obwohl man hier weder die Pokémon selbst fängt, geschweige denn in Kämpfen anleitet und hochzüchtet, entsteht allein über die Fotoforschung eine vergleichbare, befriedigende Sammelleidenschaft.