Man nehme «Dark Souls», würze es mit einer Prise «Bloodborne» und gebe einen Schuss «Sekiro: Shadows Die Twice» hinzu und heraus kommt «Elden Ring». Das zumindest könnten böse Zungen behaupten, die From Software vorwerfen, in ihrem neuen Action-RPG bloss bekannte Elemente neu zu vermischen. Ein Fünkchen Wahrheit ist an diesem Vorwurf auch dran, doch Game Director Hidetaka Miyazaki erschafft mit «Elden Ring» etwas, das sich auf die denkbar angenehmste Weise vertraut und dennoch doch völlig neu anfühlt.
«Sekiro» oder das PS4-exklusive Gothic-RPG «Bloodborne»; beide entführen euch in eine grosse, zusammenhängende Fantasy-Welt, in der ihr hier und dort frei entscheiden könnt, wohin es als nächstes gehen soll. Die Freiheiten in «Elden Ring» sind jedoch bedeutend grösser – nur hier kann man von einer echten Open World sprechen. In bestimmte Gebietsteile gelangt ihr mit eurem Avatar, ein sogenannter Befleckter, zwar erst, wenn ihr einen der Storybosse aus dem Weg räumt. Das restliche Areal steht euch jedoch von Beginn an zur Erkundung offen und bietet euch sogar mitten in der Welt Bosskämpfe, aus denen ihr euch also auch zwischendurch zurückziehen könnt, ohne von irgendwelchen Nebelwänden aufgehalten zu werden. Ein riesiger berittener Krieger zählt genauso dazu wie ein feuerspuckender Drache, der euch als Hauptgericht auf den Grill schmeissen will.
Erkundungsfreudige finden zudem etliche Zugänge in kleinere und mittelgrosse Dungeons, die euch etwa in eine finstere Mine oder eine alte Grabstätte führen. Alles optional, und dennoch stets von speziellen Feindtypen gesäumt und einem mächtigen Boss am Ende ausstaffiert. Ist euch einer dieser Dungeons zunächst zu schwer, könnt ihr über die zahlreichen Rastpunkte später ohne lange Laufwege per Schnellreise wieder dorthin zurückkehren. Die erstmals enthaltene Kartenfunktion hilft bei Orientierung und Rückkehr zu bereits besuchten Orten. Die Freiheit und der Schnellreisekomfort in «Elden Ring» haben allerdings ihren Preis: Viel stärker als in «Dark Souls» und Co. ist es möglich, Gegner komplett zu skippen, indem ihr einfach an ihnen vorbeilauft – wenigstens an der Erdoberfläche. Das geht auch notfalls zu Fuss, in «Elden Ring» steht euch bereits früh aber auch ein astrales Reittier zur Verfügung, von dessen Rücken aus ihr auch kämpfen könnt.
Während ihr euch in «Dark Souls» ausnahmslos zu Fuss durch die Welt bewegt und, mit Ausnahme von Teil 2, die Leuchtfeuer lediglich zur Rast nutzen könnt, ist das System in «Elden Ring» schneller und komfortabler. Der grösste Teil der einmal freigeschalteten Rastplätze, im Spiel ‹Ort der Gnade› genannt, dient auch als Schnellreisepunkt. Lediglich die ‹Orte der Gnade› am Eingang der optionalen Dungeons sind dafür gesperrt. Schon früh erhaltet ihr Zugriff auf ein Reittier, das ihr zumindest in der Oberwelt jederzeit an eure Seite rufen könnt. Dieses Astralross ist erheblich schneller als euer Avatar, und nur mit ihm führt ihr an fontänenförmigen Lichtstrahlen einen magischen Sprung aus, mit dem ihr selbst haushohe Felswände erklimmt. Anders gesagt: Ihr seid nicht nur schneller unterwegs, sondern könnt auch noch Abkürzungen nehmen, anstatt einmal komplett um Hindernisse herumlaufen zu müssen. Allgemein verstärkt die Nutzung des Pferdes die Möglichkeit, einfach an Gegnern vorbeizulaufen, jedoch nicht überall. In Dungeons und zusammenhängenden Storygebieten wie einer Festung ist der Gaul generell gesperrt und darf weder im noch ausserhalb des Kampfes genutzt werden.
Mit dem Astralross kommt auch der berittene Kampf hinzu. Attacken von besonders grossen und reichweitenstarken Bossen in der Oberwelt, etwa der besagte Drache, könnt ihr mit einem kurzen Spurt deutlich leichter entkommen als beim Kampf zu Fuss. Gegen normale Gegner oder auch berittene Feinde ist dieses Vorgehen jedoch aktuell eher unhandlich. Der Versuch, im Vorbeireiten einen Gegner zu treffen, scheitert recht häufig. Allerdings haben auch die berittenen Widersacher dieses Problem, weshalb sich kein unfairer Vor- oder Nachteil für euch ergibt.
Ein weiterer gravierender Unterschied zu den «Dark Souls»-Spielen besteht darin, dass der Held in «Elden Ring» auch ohne Pferd allgemein beweglicher ist. So könnt ihr jederzeit und auch aus dem Stand heraus aktiv springen, was bei der Wegfindung vieles leichter macht, aber auch im Kampf vielfältigere Moves ermöglicht. Zudem gibt es mehr und effektivere Möglichkeiten, Feinde (sogar die Bosse!) zu stunnen, beispielsweise durch einen direkten Gegenangriff nach einem aktiven Block. Das erfordert gutes Timing und erinnert entfernt an die Silberkugelmechanik aus «Bloodborne». Anders als im PS4-Hit, in dem die Schilde praktisch bedeutungslos wurden, spielen sie in «Elden Ring» wie gehabt eine wichtige Rolle.
Weniger bedeutend als in «Dark Souls» ist wiederum der Ausdauerwert eures Helden, da Schwerthiebe, Sprünge oder Blocks den dazugehörigen Balken deutlich weniger beanspruchen. Charakterverbesserungen, die ihr auch in «Elden Ring» durch die Investition einer Kernressource bei Stufenaufstiegen erreicht – hier ersetzen lediglich Runen die Seelen –, sind deshalb bei Trefferpunkten aber auch den Fähigkeitenpunkte zentraler. Letztere sind besonders für zauberbegabte Helden wichtig. Da sie allerdings auch zum Auslösen von Blitzen, Druckwellen und anderen in den Waffen schlummernden Spezialfähigkeiten sowie zur Beschwörung von Wölfen und anderen magischen Mitstreitern benötigt werden, ist die FP-Leiste für alle Charakterklassen relevant. Eine weitere Neuerung besteht im aktiven Schleichmodus, mit dem ihr einige Gebiete auch komplett unbemerkt räumen könnt.
Anders als bei «Dark Souls» arbeitet From Software für „Elden Ring“ mit einem Schriftsteller von Weltrang für die Hintergrundgeschichte zusammen. Dafür hat Chefentwickler Hidetaka Miyazaki niemand geringeres als George R.R. Martin gewonnen, der vor allem für seine Fantasy-Saga «Das Lied von Eis und Feuer» (im Original: «A Song of Ice and Fire») sowie die davon abgeleitete HBO-Serie «Game of Thrones» bekannt ist. Der Vorteil ist klar: Martin versteht zweifellos sein Handwerk und könnte «Elden Ring» erzählerisch deutlich mehr Tiefe geben als die «Dark Souls»-Reihe vorweisen kann.
Bislang ist jedoch kaum ein wesentlicher Unterschied in der narrativen Grundkonzeption erkennbar. In «Elden Ring» trefft ihr zwar den bisherigen Eindrücken nach häufiger auf gesprächsbereite NPCs, die euch mehr über sich und die Welt verraten. Aktives Storytelling etwa in Form einer Ausweitung der Zwischensequenzen existiert jedoch nicht. Es scheint also wie gehabt vor allem beim Spieler zu liegen, wie viel er sich von der Geschichte erarbeitet beziehungsweise welche Informationen aus Briefen und Beschreibungstexten von Items er zur Kenntnis nimmt. Der Atmosphäre schadet dies allerdings nicht, was nicht zuletzt auch dem intensiven Soundtrack von Komponistin Yuka Kitamura zu verdanken ist, mit der From Software bereits mehrfach für seine Action-RPGs zusammenarbeitete.
Obgleich «Elden Ring» so manches grundlegend oder wenigstens im Detail anders macht als «Dark Souls», gibt es zahlreiche Parallelen. Kenner der bisherigen Souls-Spiele und «Bloodborne» werden sich entsprechend schnell zurechtfinden. So funktioniert das Heilsystem beispielsweise grundsätzlich ähnlich wie in «Demon's Souls». Ihr besitzt also eine bestimmte Anzahl an Flaschen, bei denen ihr manuell bestimmt, wie viele davon zur Auffrischung von Treffer- beziehungsweise FP-Punkten verwendet werden sollen. Neu ist jedoch ein Rückgewinnungssystem, bei dem eure Flakons beim Sieg über Gegnergruppen auch ohne Rast wieder aufgefüllt werden – je grösser die Gruppe, umso stärker die Wiederauffüllung.
Auch die Verbesserungen von Waffen mittels Runen und Schmiederessourcen funktioniert sehr ähnlich. Die an die ausgerüsteten Ausrüstungsteile geknüpften Spezialfähigkeiten, worunter auch die aus «Dark Souls» bekannte Trittfähigkeit fällt, könnt ihr zudem mittels der sogenannten Kriegsasche anpassen, meist zum Nachteil des Grundschadens. Wie stark sich das und die gestiegenen Freiheiten in der Open World auf die Spielbalance auswirken, ist aktuell noch nicht genau absehbar. Es scheint jedoch so, dass man in «Elden Ring» allgemein leichter aufleveln und sich so einen Vorteil verschaffen kann, ohne zu sehr das aus «Dark Souls» bekannte Farming von Runen oder Items betreiben zu müssen.