Viele Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer sind seit der Übernahme des Dienstes durch Elon Musk unzufrieden. Nun wird sich zeigen, ob Mark Zuckerberg mit seiner App «Threads» eine Alternative etablieren kann. In Europa ist der Twitter-Klon allerdings vorerst nicht verfügbar.
Für weite Teile der Welt, aber nicht für Europa.
In Staaten der Europäischen Union (EU), aber auch in der Schweiz, ist Threads nicht verfügbar – der US-Konzern verweist auf ungeklärte regulatorische Fragen.
Es bleibt offen, wie schnell sich das ändern könnte. Man werde laufend prüfen, die App auch in Europa anzubieten, lässt der amerikanische Social-Media-Konzern verlauten.
Mit Blick auf die Europäische Union (EU) verwies Instagram-Chef Adam Mosseri darauf, dass es kompliziert sei, «einige Gesetze einzuhalten, die im kommenden Jahr greifen werden». Man habe in Europa keine App auf den Markt bringen wollen, die nicht zukunftssicher sei, sagte er dem Techblog The Verge. Mosseri dürfte damit den Digital Markets Act meinen, der striktere Regeln für die grossen Online-Plattformen festlegt. Unter anderem wird die Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Diensten schwieriger.
Tatsächlich erschweren die relativ strengen Regeln der europäischen Datenschutzgrundverordnung DSGVO, die indirekt auch in der Schweiz gelten, das Datensammeln. Grosse US-amerikanische Datenkraken wie der Meta-Konzern oder auch Google (Alphabet) mussten wegen Zuwiderhandlungen bereits hohe Geldstrafen bezahlen.
Das ist schwer zu sagen.
Threads ist an Metas populäre Foto- und Video-App Instagram angebunden und gilt als potenziell aussichtsreichste Konkurrenz für Twitter. Grund ist ein Startvorteil: Meta kann für seine Twitter-Kopie von Anfang an auf bereits bestehende Verbindungen zwischen mehr als einer Milliarde Usern zurückgreifen. Bei anderen Twitter-Konkurrenten wie Bluesky und T2 müssen solche Verknüpfungen erst neu entstehen.
Laut Meta-Chef Mark Zuckerberg kamen gleich in den ersten zwei Stunden nach Veröffentlichung der App zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzer auf die Plattform.
Der Facebook-Konzern hat wiederholt Dienste und Funktionen von Rivalen kopiert, blickt dabei aber auf eine gemischte Bilanz. Mit dem bei der Foto-App Snap erfundenen Stories-Format, in dem User «Freunden» Bilder und Videos für einen Tag zeigen können, funktionierte das hervorragend.
Auch die «Reels» genannten Kurzvideos, mit denen Instagram und Facebook die populäre App TikTok kopieren, legen bei den Nutzungszahlen zu. Dagegen gelang es dem Meta-Konzern trotz mehrerer Versuche nie, einen Konkurrenten zu Snapchats selbstlöschenden Videos zu etablieren.
Instagram-User können für Threads einfach ihr bestehendes Profil (also das Instagram-Login) verwenden, um sich bei der neuen Anwendung anzumelden.
Text-Beiträge bei Threads können bis zu 500 Zeichen lang sein und Links, Fotos sowie bis zu fünf Minuten lange Videos enthalten. Zum Vergleich: Beim 2006 gestarteten Twitter lag die Text-Grenze ursprünglich bei 140 Zeichen und wurde später auf 280 Zeichen verdoppelt.
Neben den Accounts, denen sie folgen, sollen Nutzerinnen und Nutzer von Threads auch «empfohlene Inhalte» von anderen Profilen in ihren Feed gespielt bekommen, wie es in einem Blogeintrag von Meta heisst. Die Beiträge werde dabei nicht in chronologischer Reihenfolge angezeigt, sondern von einem Algorithmus automatisch geordnet.
Zunächst gibt es keine Möglichkeit, sich nur Inhalte aus den Threads-Profilen anzeigen zu lassen, denen man folgt.
Ein sehr grosser Haken: Offenbar lässt sich ein Threads-Profil nur löschen, indem man den Instagram-Account löscht. Darauf weisen Kritiker bei Mastodon hin.
Und es gibt noch einen Haken: Vorläufig können Instagram-User Threads-Beiträge zwar in einer Web-Ansicht (ohne App) betrachten, sie aber weder teilen noch liken.
Und der Apple-Blogger John Gruber («Daring Fireball») kritisiert, die iOS-App unterstütze nur ein iPhone-Layout.
Threads gehört zum Facebook-Konzern Meta, einem der grössten (privaten) Datenkraken der Geschichte.
Die Plattformbetreiber behalten sich vor, eine breite Palette von personenbezogenen Daten zu erfassen.
Das US-Medium Tech Crunch kommentiert:
Die App sammle möglicherweise hochsensible Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer, um deren digitale Aktivitäten zu erfassen – «einschliesslich Gesundheits- und Finanzdaten, genauer Standort, Browserverlauf, Kontakte, Suchverlauf und andere sensible Informationen».
Be sure to read the threads privacy policy folks. pic.twitter.com/fszx9Na5it
— Canadian Welder (@Londonstringer) July 6, 2023
Angesichts der Tatsache, dass Meta sein Geld mit dem Tracking von Internet-Nutzerinnen und -Nutzern verdiene, um anschliessend deren Aufmerksamkeit über die eigenen Microtargeting-Tools für verhaltensorientierte Werbung zu verkaufen, sei dies kaum überraschend, so Tech Crunch.
Der amerikanische Techblog ruft die juristischen Probleme des Facebook-Konzerns in der EU in Erinnerung: Die von Meta behauptete Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Facebook-Usern sei Anfang dieses Jahres für rechtswidrig befunden worden.
Dies werfe die Frage auf, ob Threads in der Europäischen Union überhaupt lanciert werden könne.
Nein.
Der Meta-Konzern hat aber laut eigenen Angaben vor, Threads möglichst «bald» mit «ActivityPub» kompatibel zu machen, dem offenen Protokoll für soziale Netzwerke, das vom World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt wurde.
Im Instagram-Firmenblog wird erklärt:
Die Threads-Herausgeber verweisen zudem darauf, dass auch andere Plattformen, darunter Tumblr, Pläne verfolgten, das ActivityPub-Protokoll in Zukunft zu unterstützen.
Weil Twitter am Straucheln ist.
Das US-Unternehmen kämpft seit der Übernahme durch den Techmilliardär Musk im Oktober 2022 mit Problemen. Unter anderem brachen die Werbeeinnahmen ein, mit denen sich der Kurznachrichtendienst finanziert.
Zuletzt führte Musk Beschränkungen dafür ein, wie viele Tweets die Nutzerinnen und Nutzer täglich sehen dürfen. Nach seinen Angaben soll damit verhindert werden, dass Twitter-Daten unter anderem zum Training von Software mit Künstlicher Intelligenz (ChatGPT) abgesaugt werden. Wer ein kostenpflichtiges Monatsabo abschliesst, kann nur bis zu 10'000 Tweets täglich sehen und Nutzerinnen und Nutzer ohne Abo bis zu 1000 Kurznachrichten.
Musk kaufte Twitter für rund 44 Milliarden Dollar – und räumte später ein, dass die Bewertung in Gesprächen mit Investoren inzwischen deutlich niedriger sei.
Zuckerberg zeigte sich am Donnerstag hoffnungsvoll, dass Threads mit der Zeit mehr als eine Milliarde User haben könne. Von Twitter gab es seit der Übernahme durch Musk keine Nutzerzahlen mehr, früher kam der Kurznachrichtendienst auf mehr als 300 Millionen User. Meta hat anders als Twitter in der Ära Musk keine Geldsorgen und kann sich bei Threads einen langen Atem leisten.
Mit der Rivalität zwischen Twitter und Threads sind die Weichen für ein geschäftliches Duell zwischen Musk und Zuckerberg gestellt, die immer mehr als Rivalen auftreten. Im Juni erklärten sich die beiden Tech-Milliardäre sogar zu einem Schaukampf bereit.
Nach anfänglichen Zweifeln berichtete die «New York Times» am Wochenende, ein solcher Kampf werde tatsächlich vorbereitet – allerdings sei weiterhin offen, ob er stattfinden werde. Der 39-jährige Zuckerberg trainiert mit Kampfsport-Trainern und ist sichtlich fitter als der 52-jährige Musk.
Laut Medienberichten soll Zuckerberg vor mehr als einem Jahrzehnt auch versucht haben, Twitter zu kaufen. Er sei aber von den Gründern abgewiesen worden.
Nach der Markteinführung von Threads zeigte sich Musk trotzig: Es sei unendlich besser, auf Twitter von Fremden angegriffen zu werden als sich in die «falsche Glückseligkeit» von Instagram zu begeben. Der für seine rechten Ansichten bekannte Musk hatte nach der Übernahme die Massnahmen gegen Beleidigungen und Falschinformationen gelockert.
(dsc/sda/dpa)
Well played, Metaf***ers.