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«Karma: The Dark World»: Warum dich dieses Game komplett verwirren wird

Ein Mensch mit Bildschirm statt Kopf ist nur die Spitze des verstörenden Eisberges.
Ein Mensch mit Bildschirm statt Kopf ist nur die Spitze des verstörenden Eisberges.bild: zvg
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Warum dich dieses Psycho-Game komplett um den Verstand bringt

Retro-Futurismus trifft auf Dystopie-Kuddelmuddel und erzählt eine Geschichte, die hinten und vorn nicht aufgeht und trotzdem einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ist das Videospielkunst oder kann das weg?
14.04.2025, 18:2914.04.2025, 19:25
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Wenn der Klappentext eines Erzählmediums bekannte Namen wie etwa David Lynch, Christopher Nolan oder Hideo Kojima mit ins Spiel bringt, sind die Erwartungen sofort immens. Zwar bedient sich «Karma» bestimmten Erzähltechniken der erwähnten Grössen und verlässt sich auf bekannte mentale Schaubudenzaubereien, schafft aber trotzdem eine Eigenständigkeit, die man gespielt haben darf, aber nicht muss. Das kann durchaus schon als Fazit wahrgenommen werden, doch unter der Oberfläche dieses Videospiels made in China verbirgt sich noch viel mehr.

Big Brother is watching you!

Ganz nüchtern betrachtet ist «Karma» von Pollard Studio ein simpler Walking-Simulator, der im Psycho-Horror-Genre angesiedelt ist. Laut offizieller Inhaltsbeschreibung befinden wir uns im Jahr 1984, und zwar in Ostdeutschland, was übrigens zu kaum einem Zeitpunkt ersichtlich wird. Will heissen, diese Geschichte könnte auch in einem x-beliebigen anderen (europäischen) Land spielen und wir würden es zu keinem Zeitpunkt bemerken.

Wie dem auch sei: In dieser düsteren Welt hat der Megakonzern Leviathan Corporation eine gewaltige Macht und überwacht schlicht alles und jeden. Die uns bekannte Zeitgeschichte hat sich in dieser Zeitrechnung oder in diesem Paralleluniversum anders entwickelt. Aber halt, zu viel verraten wollen wir an dieser Stelle nicht mehr, da «Karma» über seine eigenen Geschichtsregeln verfügt, die viel zur Essenz dieses Videospiels beitragen.

Unser Arbeitsplatz in dieser finsteren Welt sieht eigentlich ganz schick aus.
Unser Arbeitsplatz in dieser finsteren Welt sieht eigentlich ganz schick aus.bild: zvg

Als Mitarbeiter dieses Konzerns machen wir uns als Spionageagent auf die Suche nach bestimmten Menschen, die beschuldigt werden, böse Ding getan zu haben. Um sie zu überführen, tauchen wir regelmässig in das Bewusstsein der Verdächtigen ein und erleben so hautnah, was genau abging. Dabei kommen wir einer grossen Verschwörung auf die Spur, geraten selber zwischen die Fronten und können bald nicht mehr zwischen Traum, Realität und Wahnvorstellungen unterscheiden.

Wer das ist und was das soll? Es ist wirklich sehr kompliziert!
Wer das ist und was das soll? Es ist wirklich sehr kompliziert!bild: zvg

Das grosse Staunen

Spieltechnisch passiert nicht viel. Wie es sich für einen Walking-Simulator gehört, laufen wir viel herum, konsultieren Bildschirme, suchen nach Infos und Passwörtern, lösen kleine, simple Rätsel und unterhalten uns. Ab und zu gilt es davonzurennen, weil wir aggressiv verfolgt werden, und wir versuchen mit unseren Aktionen einen Loop zu durchbrechen, um aus den isolierten Räumlichkeiten zu entkommen.

Das kann durchaus die Langeweile anstupsen, doch das Spiel schafft es immer wieder, dass es entweder optisch für grosses Staunen und somit für Abwechslung sorgt oder dass es sich unvorhergesehen um 180 Grad dreht und mit grossen Genre-Wechseln für Überraschung sorgt. Gerade im letzten Drittel dieses etwa sechs Stunden langen Dystopie-Trips läuft das Videospiel komplett aus dem Ruder und überschlägt sich mehrere Male. Videospielkunst? Die Richtung dorthin stimmt auf jeden Fall.

Halbwegs moderne Technik trifft stets auf alte Architektur.
Halbwegs moderne Technik trifft stets auf alte Architektur.bild: zvg

Die totale Verwirrung

Inhaltlich wie auch visuell ist «Karma» immer ein bisschen drüber und scheint sich auf weiter Strecke nicht mehr zu spüren. Die Verwirrung wird von Minute zu Minute grösser. Wer bin ich genau? Wo bin ich genau? Was genau mache ich hier überhaupt? Und welche narrativen Ergüsse werden mich gleich noch mehr verwirren?

Ja, David Lynch lässt grüssen.
Ja, David Lynch lässt grüssen.bild: zvg

Für Fans verschachtelter Dramaturgie und eigenwilliger Storys, wo stets nur der Kunstschaffende den Durchblick zu haben scheint, ist dieses Videospiel ein ganz grosses Fest. Auch wenn die Hommagen an Lynch und Co. zu sehr mit der Brechstange und mit imaginärem Feuerwerk auf sich aufmerksam machen, darf man sich hier vor der Entwicklerbude durchaus verneigen.

Vergessen ist beim Abspann die Tatsache, dass wir uns sinnloserweise in Ostdeutschland befinden, dass die Geschichte vorne und hinten nicht aufgehen will und dass die üblichen langweiligen Horror-Märchen aufgetischt werden, denn «Karma» kann Atmosphäre, und zwar bis zum bitteren, komplett verwirrenden und verstörenden Ende.

Ehrfürchtiges Nicken

Fazit: Auch nach dem Abspann und der gefolgten Zusatzszene habe ich immer noch sehr viele Fragen im Kopf. Der Grundgeschichte kann man zwar jederzeit folgen, aber sie hüpft immer wieder auf neue Pfade, bringt ganz krude Welten vor Augen und dreht spieltechnisch im letzten Drittel dann komplett durch. Was ist oben, was ist unten? Ich weiss es schlicht nicht mehr. Ich bin verwirrt, fühle mich ausgelaugt, klatsche jedoch begeistert in meine Hände und nicke ehrfürchtig gen Bildschirm.

«Karma: The Dark World» ist erhältlich für Playstation 5 und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.

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