Die Befürchtungen haben sich bestätigt: Bei der rumänischen Präsidentschaftswahl fanden illegale Beeinflussungsversuche aus dem Ausland statt.
Freigegebene Geheimdienst-Dokumente zeigen, dass Influencer, Mitglieder extremistischer, rechtsextremer Gruppen und Personen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität gegen Bezahlung für einen kaum bekannten Kandidaten geworben haben.
In den veröffentlichten Dokumenten steht zwar nicht direkt, dass Russland hinter den Attacken auf die Demokratie steckt, doch es gibt starke Anhaltspunkte.
Laut dem rumänischen Auslandsgeheimdienst ist das EU-Land «ein Ziel aggressiver russischer Hybridaktionen» geworden, einschliesslich Cyberangriffen und Datenlecks («Hacks and Leaks») sowie Sabotage.
Der rumänische Inlandsgeheimdienst sagt, es gebe Hinweise, dass die Aktionen von «einem staatlich geförderten Akteur» koordiniert worden seien.
Calin Georgescu, ein ultranationalistischer Politiker, der wiederholt Wladimir Putin gelobt hatte, gewann völlig überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewann. Der rechtsextreme Kandidat und erklärte NATO-Gegner soll nun in der Stichwahl gegen die Reformkandidatin Elena Lasconi antreten.
Allerdings ist nicht klar, ob der Wahlgang wie geplant am kommenden Sonntag stattfinden kann.
Update: Die Präsidentschaftswahl findet nicht wie geplant statt. Das oberste Gericht Rumäniens hat die Resultate der ersten Runde annulliert.
Am vergangenen Mittwochabend veröffentlichte der scheidende rumänische Präsident Klaus Johannis brisante Geheimdienst-Dokumente, die eine massive Einmischung in den rumänischen Wahlkampf und die Wahl an sich dokumentieren. Demnach haben mutmasslich staatliche russische Akteure eine raffinierte Beeinflussungs-Kampagne finanziert. Im Mittelpunkt steht die chinesische Social-Media-Plattform TikTok.
Bei den Dokumenten, die laut BBC in einem «höchst ungewöhnlichen Schritt» freigegeben wurden, handelt es sich allesamt um Unterlagen, die für eine Sitzung des Sicherheitsrates im Anschluss an die erste Runde der Präsidentschaftswahlen erstellt worden waren. Die Veröffentlichung wurde von rumänischen Journalisten und zivilgesellschaftlicher Gruppen gefordert.
Der plötzliche Popularitätsschub für den kaum bekannten Kandidaten Georgescu sei auf eine «hoch organisierte» Guerilla-Kampagne bei TikTok und Co. zurückzuführen. In den Geheimdienst-Dokumenten steht:
Gemäss den rumänischen Behörden wurden so massenhaft bezahlte TikTok-Inhalte zur Unterstützung Georgescus verbreitet, die nicht korrekt gekennzeichnet waren. Dies sei ein klarer Verstoss gegen die Nutzungsbestimmungen der Plattform und gegen das rumänische Wahlrecht. Die TikTok-Inhalte der anderen Kandidaten seien hingegen strenger kontrolliert worden.
Brisant: Die TikTok-Verantwortlichen unterliessen es trotz Aufforderung durch die rumänischen Wahlbehörden, gemeldetes Propaganda-Material zu löschen. Schlimmer noch: TikTok habe Postings zugunsten des rechtsextremen Kandidaten als Unterhaltung kategorisiert und weiter auf der Plattform verbreitet.
Durch diese Vorgehensweise habe sich Georgescus Reichweite bei TikTok erhöht, während die Inhalte anderer Präsidentschaftskandidaten gefiltert und dadurch ihre Sichtbarkeit verringert worden seien.
Das rumänische Innenministerium hatte zuvor erklärt, dass Social-Media-Influencer von zwischengeschalteten Unternehmen angeworben wurden, von denen mindestens eines eine Scheinfirma sei.
Die rumänischen Influencer sollten auf TikTok, Instagram und Facebook ein ungenanntes Profil eines «idealen Kandidaten» mit Hashtags bewerben. Sie verdienten pro Post für jeweils 20'000 Follower etwa 80 Euro.
Einige Personen, die an der illegalen Wahlwerbung und dem Stimmenkauf beteiligt waren, gehören rechtsextremistischen Bewegungen, haben Verbindungen zur organisierten Kriminalität oder sind Mitglieder von religiösen Sekten. Und sie seien zuvor an der Verbreitung prorussischer, antisemitischer, NATO-feindlicher und Ukrainefeindlicher Narrative beteiligt gewesen.
Zwar erklärte Georgescu stets, er habe kein Geld für Social-Media-Wahlwerbung ausgegeben. Tatsächlich wurde seine Kandidatur bei TikTok aber im Geheimen, respektive durch Dritte, massiv finanziell unterstützt.
Die Strategie ähnelte einer Kampagne im benachbarten Moldawien, die Wähler davon überzeugen sollte, bei den zwei Runden dauernden Präsidentschaftswahlen für den prorussischen Kandidaten zu stimmen.
Gemäss den rumänischen Geheimdienst-Informationen hat Russland schon früher eine Kampagne zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in der Ukraine geführt, die grosse Ähnlichkeiten aufweise. Jene Kampagne habe noch vor der Invasion im Jahr 2022 stattgefunden und sei über Telegram-Kanäle initiiert worden, die von einem anonymen Administrator verwaltet wurden. Wie nun beim aktuellen Fall seien damals «legitime Mikro-Influencer» manipuliert (und bezahlt) worden.
Neben der Wähler-Beeinflussung auf der Social-Media-Plattform TikTok gab es Hackerangriffe, um Wählerdaten zu stehlen, sowie DDoS-Attacken, also Server-Überlastungsangriffe, um Leute zu verunsichern.
Zugangsdaten zu Wahl-Websites, die legitimen Usern gestohlen worden waren, tauchten auf «Cybercrime-Plattformen mit Ursprung in Russland» auf.
Unabhängig davon berichten die rumänischen Geheimdienste von rund 85'000 Hackerangriffen. Unbekannte Täter hätten versucht, auf Wahldaten zuzugreifen und Inhalte zu ändern – auch noch am Wahltag.
Die Hacker hätten fortschrittliche Methoden verwendet, um anonym zu bleiben, und sie seien dabei in einer Art und in einem Ausmass vorgegangen, das typisch sei für staatlich finanzierte Bedrohungsakteure.
Laut Berichten wird derzeit untersucht, wer für die Tat verantwortlich ist und wie gross der Einfluss auf die Wahl war. Russland selbst hat jegliche Einmischung in den rumänischen Wahlprozess bestritten.
Georgescu bestreitet, die in den Geheimdienst-Dokumenten erwähnten Geldgeber zu kennen.
Es sieht ganz danach aus.
Das US-Aussenministerium zeigte sich besorgt über die Cyberangriffe auf den rumänischen Wahlprozess und forderte eine umfassende Untersuchung.
Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern in einem gemeinsamen offenen Brief eine rasche Reaktion, um die mit dem Wahlprozess verbundenen Risiken zu mindern. Die Europäische Kommission und die rumänische Aufsichtsbehörde sollten zudem im Rahmen ihrer rechtlichen Befugnisse Untersuchungen einleiten.
Die EU-Kommission hat wegen des Falles angekündigt, TikTok noch stärker zu kontrollieren.
Für Donnerstagabend wurde zu einer proeuropäischen Protestkundgebung aufgerufen. Am Sonntag ist, je nach Wahlausgang, mit grossen Protesten und Kundgebungen in der Hauptstadt Bukarest zu rechnen.
Der rumänische Premierminister Marcel Ciolacu – der im Rennen um die Präsidentschaft bislang nur den dritten Platz belegte – hat angekündigt, dass er nun Elena Lasconi «voll und ganz» unterstützen werde.
Er hoffe, dass die Justizbehörden «auf Grundlage der veröffentlichten Beweise» geeignete Massnahmen ergreifen und alle Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.