Anonymous ist keine geschützte Bezeichnung, jeder kann sich auf Facebook oder Twitter einen entsprechenden Account einrichten, das Anonymous-Logo mit der Guy-Fawkes-Maske platzieren und sich als Teil des heterogenen Pulks geben. Genau das haben sich die Betreiber der Seite «Anonymous.Kollektiv» zunutze gemacht. Die Facebook-Seite verbreitet seit mehreren Jahren Informationen aus dem rechtspopulistischen Spektrum – alles unter dem Deckmantel des klingenden Namens.
Über 200.000 neue Fans alleine am 16.+17.11. Dabei geht's auf der Seite um Flüchtlingshetze und Verschwörungstheorien. #lasttweet
— Andreas Rickmann (@a_rickmann) 18. November 2015
Anonymous greift ISIS an - wer derzeit davon profitiert: Eine Seite, die Hass verbreitet: https://t.co/CJNA0XzwFm pic.twitter.com/JY9ANmchTY
— Andreas Rickmann (@a_rickmann) 18. November 2015
Während sich die Anonymous-Bewegung normalerweise vor allem mit den Themen Überwachung, Urheberrecht und freie Meinungsäusserung im Netz auseinandersetzt und laut eigenen Angaben politisch neutral ist, ist der ideologische Rahmen bei der entsprechenden Facebook-Gruppe klar abgesteckt: Flüchtlingskrise, Ukraine-Konflikt, Syrien-Krise und ganz allgemein das Versagen der deutschen Bundesregierung – alles aus einer dezidiert rechten Perspektive. Dazu eine ganze Reihe von kruden Verschwörungstheorien, angefangen von der angeblich von einer zionistischen Clique dominierten US-Nationalbank FED bis hin zu Chemtrails. Das sind die Rezepte von «Anonymous.Kollektiv».
Jüngste Beispiele sind schrille Warnungen vor dem Flüchtlingsstrom, die dem Aufruf der «Schlepperkönigin Angela Merkel» gefolgt seien. Andere Posts suggerieren, dass die Flüchtlingsströme durch US-amerikanische Organisationen orchestriert worden sind – um Europa zu destabilisieren. Mit Videobeiträgen des russischen Nachrichtensenders RT wird gezielt gegen Flüchtlinge gehetzt. Dabei werden Informationen unterschlagen oder schlicht falsch dargestellt. Ebenso wenig schrecken die Betreiber davor zurück, einzelnen Personen Aussagen in den Mund zu legen, die sie so nie getätigt haben.
Aus der Sicht der Website-Betreiber ist Deutschland ein Unrechtsstaat, Merkel entweder eine «Maulhure» oder eine «Berufsverbrecherin», Russland eine lupenreine Demokratie, die in der Krim nur ihre Rechte wahrnimmt, die Attacke auf die Charlie-Hebdo-Redaktion eine False-flag-Operation, die Proteste in Heidenau von linksextremen Demonstranten angezettelt und bei Flüchtlingen handelt es sich entweder um «gewöhnliche Kriminelle» oder um «Invasoren».
Andere Quellen, auf die sich die Betreiber der Seite stützen, sind etwa «Compact» oder die «Junge Freiheit»: Nachrichtenportale aus dem rechten Dunstkreis. Auch auf die Montagsmahnwachen wird verwiesen, an denen etwa der umstrittene Radiomoderator Ken Jebsen regelmässig teilnimmt oder Jürgen Elsässer, der als Chefredakteur des Magazins «Compact» mit antiamerikanischen, rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Inhalten Schlagzeilen macht. Dazu werden immer wieder Geschichtsrevisionisten herumgeboten, zum Beispiel der ehemalige Major Gerd Schultze-Rhonhof, der in einem Buch die Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg nicht nur bei Deutschland, sondern auch bei Polen, Grossbritannien, USA, Russland und Frankreich ortet und über den die FAZ in einer Rezension schrieb, er bediene in seinem Werk «Klischees, die von rechtsradikaler Seite hochgehalten» würden.
Gut eine Million Likes weist die Seite auf. Zum Vergleich: Die US-Seite des Hackerkollektivs hat etwas mehr als 3,5 Millionen Likes. Eine andere deutsche Anonymous-Page, AnonymousNewsDe, hat gerade mal 7000 Likes. 24'000 der 930'000 Likes kommen nach Angaben eines Online-Tools von «SternTV» aus der Schweiz. Gut möglich, dass ein Grossteil von ihnen nicht weiss, dass es sich bei der besagten Seite nicht um eine «normale» Anonymous-Gruppe handelt, sondern um eine von rechtspopulistischen Kreisen vereinnahmte Seite. Möglicherweise existieren die angeblichen Fans der Page aber auch gar nicht oder es handelt sich um sogenannte «gekaufte Likes». Dies legen zumindest Informationen des Hackerkollektivs Anonymous nahe.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die Page bekannt, als sie User im vergangenen Jahr dazu aufrief, die Kommentarspalten von verschiedenen deutschen Medien mit russlandfreundlicher Propaganda zu überschwemmen und öfters über die umstrittenen Montagsdemonstrationen zu berichten.
Die deutschen Anonymous-Aktivisten distanzierten sich anschliessend im Netz entschieden von ihrer vermeintlichen Schwester-Seite. Diese habe nichts mit den Zielen und Idealen der Bewegung zu tun und ziehe alles «in den Dreck, wofür Anonymous eigentlich steht: Meinungsfreiheit, keine Zensur, Privatsphäre.»
Wer hinter der Seite steht, ist nicht bekannt. Ein Link verweist auf einen Account beim sozialen Netzwerk VK aus Russland. Andere Quellen lassen vermuten, dass ein ehemaliger Admin seine Mitstreiter rausgeworfen und die Seite dann von einer «echten» Anonymous-Seite in ein Tummelfeld für Flüchtlingshetze, Russlandtrolls und Geschichtsrevisionisten verwandelt hat. Laut Anonymous-Insider soll der Administrator zusätzlich Inhaber eines Unternehmens sein, das Likes gegen Geld verkauft. (wst)
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