Künstliche Intelligenz (KI) war lange vor allem ein Thema für Nerds. Das hat sich seit dem Erscheinen von ChatGPT im letzten Herbst geändert. Plötzlich ist KI omnipräsent, im Guten wie im Schlechten. Noch wirkt vieles holprig und unfertig, aber KI erzeugt Ängste. Denn für ihre Entfaltung in beide Richtungen scheint es keine Grenzen zu geben.
Das zeigen News aus den letzten Tagen. So ist es gemäss einem BBC-Bericht gelungen, mithilfe von KI ein Antibiotikum zu entwickeln, das einen gefährlichen Bakterienstamm (oder Superbug) eliminieren kann. Für die beteiligten Forscher aus Kanada und den USA hat KI das Potenzial, die Entwicklung neuer Medikamente «massiv zu beschleunigen».
Auf der anderen Seite steht eine an der Universität Austin entwickelte KI, die «Gedanken lesen» kann. Noch ist dies nur sehr eingeschränkt und unter ganz bestimmten Bedingungen möglich. Doch selbst den verantwortlichen Wissenschaftlern ist nicht ganz wohl in ihrer Haut. «Wir sind uns der Gefahren eines Missbrauchs sehr bewusst», sagte einer von ihnen.
Segen oder Fluch für die Menschheit? Mit Künstlicher Intelligenz (Fachleute sprechen lieber von maschinellem Lernen) ist alles möglich. Das bringt Warner und Optimisten auf den Plan. Zu ersteren gehören Elon Musk oder der Historiker und Megaseller-Autor Yuval Harari. Er mahnt eindringlich, die Kontrolle über die KI nicht zu verlieren.
Uns sei eine ausserirdische Intelligenz begegnet, «hier auf der Erde», schrieb der Israeli in einem Essay für den «Economist». Man wisse wenig darüber, «ausser dass sie unsere Zivilisation zerstören könnte». Harari fordert einen Stopp des «unverantwortlichen» Gebrauchs von KI-Tools im öffentlichen Raum: «Wir müssen KI regulieren, bevor sie uns reguliert.»
Ähnlich äusserte sich Sam Altman, der «Vater» von ChatGPT, kürzlich vor dem US-Kongress sowie in einem «Spiegel»-Interview: «Es ist entscheidend, dass wir in einem demokratischen Prozess die Grenzen für diese Technologie bestimmen und als Menschen die Kontrolle behalten.» Wobei die Regulierung für Altman nicht allzu weit gehen darf.
Als Optimist tritt der deutsche Informatiker Jürgen Schmidhuber auf, der lange in Lugano forschte und heute in Saudi-Arabien arbeitet. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» betonte er die enormen Möglichkeiten der KI. Seine Forschung drehe sich vor allem um KI, «die das Leben der Menschen länger, gesünder und leichter machen sollen».
Die Risiken spielt Schmidhuber herunter. Eine superkluge KI habe «null Motivation, Menschen zu versklaven, wenn sie stattdessen Roboter bauen kann, die alles, was der KI wichtig ist, besser und schneller erledigen als der Mensch». Die Menschen würden deswegen nicht verschwinden: «Schauen Sie sich um, die Ameisen sind ja auch noch da!»
Mit dieser Analogie zeigt Jürgen Schmidhuber unfreiwillig, wie berechtigt die Bedenken gegenüber KI sind. Aber dazu später mehr.
Die Blauäugigkeit vieler KI-Enthusiasten lässt sich durch einen mehr als 50 Jahre alten US-Spielfilm kontern. «Colossus: The Forbin Project» kam 1970 in die Kinos und war ein Flop. Ein Meisterwerk ist er nicht, dennoch kommt er in den Bewertungsportalen auf hohe Werte. «Colossus» geniesst heute den Ruf eines Klassikers oder gar eines Kultfilms.
In letzter Zeit wurde er wiederentdeckt, auch von Medien wie der Londoner «Times». Denn der Film ist erschreckend aktuell. Er handelt vom Informatiker Charles Forbin (gespielt vom Deutsch-Amerikaner Eric Braeden), der einen Supercomputer namens Colossus konstruiert hat. Er soll das US-Atomwaffenarsenal kontrollieren und den Weltfrieden sichern.
Was die Amerikaner nicht ahnen (es ist die Zeit des Kalten Krieges): Die Sowjetunion hat eine ähnliche Maschine mit der Bezeichnung Guardian entwickelt. Die beiden elektronischen «Superhirne» verbünden sich. Schon bald kommunizieren sie auf einem mathematischen Niveau, das für die Menschen nicht mehr nachvollziehbar ist – ein lupenreiner Fall von KI.
Die Menschen erkennen die Gefahr. Sie versuchen, den nur noch Colossus genannten Supercomputer auszuschalten – und scheitern kläglich. Als Warnung für die Menschheit lässt Colossus zwei Atomraketen in den USA und der UdSSR detonieren. Mit eiskalter Logik macht er klar, dass sich die Menschheit im Sinne des Weltfriedens unterwerfen muss.
«Gehorcht mir, oder verweigert euch und sterbt», deklamiert Colossus im furchterregenden Schlussmonolog. Denn «Freiheit ist eine Illusion». Sein Schöpfer Forbin, den er als Bindeglied zur Menschheit auserkoren hat, werde ihn mit der Zeit nicht nur respektieren, sondern lieben. «Niemals!», erwidert Forbin. Es soll trotzig wirken und ist nur hilflos.
Ich habe den Film vor Jahren im Fernsehen gesehen und war ebenso fasziniert wie verstört. Heute ist er mehr als je zuvor eine Warnung vor naiver Tech-Gläubigkeit. Der springende Punkt sind nicht die Gefahren neuer Technologien, sondern das Verhalten der Menschen, wenn diese dominant werden und sich unserer Kontrolle entziehen.
Viele werden sich «unterwerfen», aber viele werden wie im Film dagegen kämpfen. «Colossus» zeigt, was uns in diesem Fall blühen könnte. Anders als von Schmidhuber postuliert, gibt es für eine ausser Kontrolle geratene KI sehr wohl eine Motivation, die Menschen zu versklaven. Wenn wir sie nicht regulieren, «reguliert» sie in Hararis Worten uns.
Hier kommt Jürgen Schmidhubers Analogie mit den Ameisen ins Spiel, mit der er unfreiwillig die Problematik illustriert. Denn das Verhältnis von Ameise zu Mensch entspricht in etwa dem von uns zu einer überlegenen KI. Im Prinzip lassen wir die Ameisen tatsächlich in Ruhe. Aber was machen wir oft mit ihnen, wenn sie uns stören? Eine Antwort erübrigt sich.
«Colossus: The Forbin Project» kann auf der gemeinnützigen Website Internet Archive gestreamt und heruntergeladen werden, im englischen Original und in akzeptabler Qualität.