Im Sudan ist das Militär wieder an der Macht. Doch diesmal nicht durch einen Putsch, wie es schon so oft seit der Unabhängigkeit des Landes 1956 der Fall war.
Nach wochenlangen Protesten verkündete Ministerpräsident Abdullah Hamdok, der seit 2019 das zivile Gesicht der Übergangsregierung in Khartum war, am Sonntagabend im Staatsfernsehen seinen Rücktritt.
Der Ökonom, der nach 30 Jahren brutaler Diktatur die Regierungsführung übernommen hatte und auf dem internationalen Parkett für seine Reformen gefeiert wurde, reagierte damit auf wochenlange Demonstrationen, auf denen sein Rücktritt gefordert worden war.
Das Militär hatte sich Ende Oktober an die Macht geputscht und Hamdok gestürzt. Erst nach Druck aus dem In- und Ausland war er wieder als Regierungschef eingesetzt worden. Dazu hatte er mit dem Militärmachthaber General Abdel Fattah al-Burhan eine Vereinbarung für eine neue Übergangsregierung unterzeichnet. Doch die Demonstranten forderten einen vollständigen Rückzug des Militärs aus der Regierung und warfen Hamdok Verrat vor.
Hamdok hatte gehofft, den Konflikt zwischen den Protestierenden und den Sicherheitskräften zu entschärfen. Stattdessen wurde er durch seine Zusammenarbeit mit dem Militär für die Protestbewegung zum Symbol der Stagnation. So auch für die 19-jährige Studentin Umm Dahab Hassan, die seit Wochen die Proteste gegen Hamdok und das Militär mitorganisiert. Anfangs habe sie sehr viel Hoffnung in Hamdoks Regierung gesetzt, sagt Hassan. Aber seit dem 25. Oktober habe er sich schwach gezeigt und die Agenda des Militärs verfolgt.
«Er hatte eigentlich keine Wahl mehr», sagt Christine-Felice Röhrs, die Büroleiterin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan. «Er hat einfach zu viel von dem, was er erreichen wollte, nicht geschafft.» So sei es Hamdok nicht gelungen, das Blutvergiessen auf der Strasse zu verhindern, sagt Röhrs. Stattdessen habe es immer mehr Tote und Verletzte gegeben. Nach Angaben des Zentralkomitees der sudanesischen Ärzte sind seit dem Putsch fast 60 Zivilisten bei Protesten getötet worden – zum Teil gezielt durch Schüsse in den Kopf oder in die Brust.
Eigentlich hat Hamdok einiges für den Sudan erreicht. Nach drei Jahrzehnten Militärherrschaft waren es seine Reformen, durch die sich das verarmte Land Schritt für Schritt aus seiner jahrzehntelangen Isolation befreien konnte. Unter seiner Führung normalisierte der Sudan die Beziehung zu Israel. Er verhandelte mit den internationalen Geldgebern einen milliardenschweren Schuldenerlass. Der Sudan habe eine «bemerkenswerte Leistung» erbracht, sagte UN-Generalsekretär António Guterres noch im September. Deutschland, die USA, Frankreich und die EU sicherten Hamdok ihre Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes zu.
«Die Frontfigur für die Transformationsphase, der auch die internationale Gemeinschaft vertraut hat, ist jetzt weg. Es ist unklar, wer geeignet wäre – oder sich unter diesen Umständen überhaupt dazu bereit erklären würde – als Premier und Vertreter der zivilen Seite zu übernehmen», sagt Röhrs.
Für viele Sudanesen zeigten Hamdoks Reformen nicht schnell genug Erfolg. Als eines der ärmsten Länder der Welt befindet sich der Sudan in einer tiefen Wirtschaftskrise. Seit Jahren liegt die Inflation im dreistelligen Bereich. In den letzten zwei Jahren seien die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe geschossen, sagt Mahjoub Sati. Der 60-Jährige betreibt einen kleinen Lebensmittelladen im Süden Khartums. Er leide unter dem Stillstand und dem geringen Umsatz.
Einen neuen Regierungschef zu finden, der auf die Reformforderungen der Protestbewegung eingehen kann, ohne das Militär vor den Kopf zu stossen, wird schwierig. Die Demonstranten verlangen weitreichende Reformen, die den Einfluss des Militärs auf das politische und wirtschaftliche Leben in weiten Teilen minimieren sollen. Das Militär ist auch gegen die von vielen geforderte Aufarbeitung von Menschenrechtsverstössen.
Die Zukunft der Übergangsregierung aus militärischen und zivilen Vertretern, die seit 2019 an der Spitze des Landes steht, sei düster, sagt Jihad Mashamoun, ein politischer Analyst in Khartum. Der Druck der Demonstranten auf das Militär, sich vollständig aus der Regierung zurückzuziehen, werde mit dem Rücktritt weiter zunehmen, so Mashamoun. Dadurch drohe eine Schwächung Al-Burhans und ein Auseinanderfallen des Militärs in unterschiedliche Fraktionen. Für Januar sind mindestens sechs Demonstrationen angekündigt. Die nächste am Dienstag. (yam/sda/dpa)