Die US-Präsidentschaftswahl hat manche überraschende Erkenntnis hervorgebracht. Ein besonders interessanter Befund: Wahlsieger Donald Trump erhielt enormen Zuspruch aus dem religiösen Lager, sowohl von Evangelikalen wie auch Protestanten und Katholiken. Laut den Exit Polls wurde er von 81 Prozent der so genannt «wiedergeborenen» und damit streng gläubigen Christen gewählt, trotz seines zumindest zweifelhaften Lebenswandels.
«Der sexistische Heilsbringer Trump wurde von den frommen Christen gewählt», schrieb watson-Blogger Hugo Stamm. Sein Wähleranteil in diesem Segment war höher als jener von Mitt Romney 2012 oder George W. Bush 2004. Dabei ist der zum dritten Mal verheiratete New Yorker nie durch eine besondere Neigung zur Religion aufgefallen. Im Wahlkampf bezeichnete der Protestant die Bibel als wichtige Inspiration, doch auf Nachfrage konnte er keine einzige Stelle daraus zitieren.
«Trump hat gegen alle zehn Gebote verstossen», lästerte der TV-Satiriker und Religionskritiker Bill Maher. Das mag übertrieben sein – umgebracht hat der Republikaner wohl niemanden. Völlig daneben ist es nicht. Trump hat im Wahlkampf gelogen und Gegenkandidatin Hillary Clinton verleumdet. Er betreibt Casinos und fördert das Glücksspiel. Und im «Pussy-Video» brüstete er sich mit dem Versuch, eine verheiratete Frau flachzulegen.
Es gab durchaus fromme Amerikaner, die Trump ablehnten oder verabscheuten. Die Mehrheit aber hielt sich die Nase zu und wählte ihn trotzdem. Und rechtfertigte sich mit teilweise peinlichen Verrenkungen, etwa dass man einen Präsidenten wähle und keinen Priester. Andere gaben offen zu, dass Donald Trump kein «Bibel-schwingender Evangelikaler» sei. Doch für die Sache des konservativen Amerika waren sie bereit, beide Augen zuzudrücken.
Es geht um den Sehnsuchtsort der Evangelikalen in Washington, und damit ist nicht das Weisse Haus gemeint. Sondern ein Gebäude, das sich neben Kapitol und Kongressbibliothek befindet: Der United States Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Er ist das wohl mächtigste Gremium des Landes, seine neun Mitglieder werden vom Präsidenten nominiert. Nach der Bestätigung durch den US-Senat sind sie faktisch auf Lebenszeit gewählt.
Der Supreme Court kann Gesetze annullieren oder für allgemein verbindlich erklären. Dies erklärt das Interesse der Evangelikalen: Ein konservativer Präsident, der entsprechende Richterinnen und Richter ernennt, ist für sie so etwas wie die letzte Chance, die USA auf den «rechten» Weg zu bringen. Das Land ist im Laufe der Jahre gesellschaftlich immer liberaler geworden, auch dank dem Obersten Gerichtshof, der unter anderem Abtreibung und Homo-Ehe legalisiert hat.
Diesen «gottlosen» und sündigen Trend wollen die christlichen Fundis rückgängig machen. Franklin Graham, der Sohn des legendären, heute 98-jährigen Predigers Billy Graham, der auch in der Schweiz die Stadien füllte, bezeichnete den Supreme Court als «wichtigstes Thema dieser Wahl». Das Gericht und seine Rechtsprechung würden das Land für lange Zeit beeinflussen, meinte Graham: «Es steht so viel auf dem Spiel.»
Nun kann Donald Trump liefern, denn eine Richterstelle ist derzeit vakant, nachdem Antonin Scalia im Februar auf einem Jagdausflug in Texas im Schlaf verstorben war. Der streitbare und streitlustige Italoamerikaner war der Rechtsaussen im Gremium. Präsident Barack Obama nominierte für die Nachfolge den moderat-liberalen Merrick Garland, doch der von den Republikanern dominierte Senat verweigerte seine Bestätigung bis nach der Präsidentschaftswahl.
Nun können die Evangelikalen frohlocken. Der neue Präsident kündigte im CBS-Interview am Sonntag an, er wolle einen Abtreibungsgegner nominieren. Sein Ziel sei die Aufhebung des bahnbrechenden Urteils im Fall Roe vs. Wade von 1973, das den Schwangerschaftsabbruch legalisiert hat. Trump will dieses Thema den Bundesstaaten überlassen. Auf die Frage, was Frauen im Fall eines Verbots tun sollten, sagte er: «Sie müssen wohl in einen anderen Staat gehen.»
Donald Trump war stets «Pro-Choice», also ein Befürworter des Rechts auf Abtreibung. Erst mit seiner Kandidatur ist er ins «Pro-Life»-Lager übergelaufen, auch dies eine Kapriole, über die fromme Christen hinwegsehen. Abtreibungen sind ihr eigentliches Lieblingsthema, sie sind geradezu besessen vom Schutz des ungeborenen Lebens. Der Schutz des geborenen Lebens etwa vor der grassierenden Waffengewalt hingegen ist ihnen so ziemlich egal.
Ein Richter dürfte für eine Kehrtwende nicht genügen, doch Trump winkt die Chance, in den nächsten vier Jahren bis zu drei weitere, ziemlich betagte Richterinnen und Richter, von denen zwei zum linksliberalen Flügel gezählt werden, durch Konservative zu ersetzen. Für das liberale Amerika sind dies verheerende Perspektiven. Mit Präsidentin Hillary Clinton wäre das Gegenteil möglich gewesen, sie hätte das Gericht auf Jahre hinaus auf Linkskurs bringen können.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die religiösen Fundamentalisten bei dieser Wahl dermassen auf das Oberste Gericht fixiert waren. Allerdings wurden sie in der Vergangenheit von republikanischen Präsidenten auch schon enttäuscht. Ronald Reagan nominierte 1987 den ultrakonservativen Robert Bork, doch Demokraten und liberale Republikaner (die es damals noch gab) leisteten erbitterten Widerstand. Der Senat lehnte die Bestätigung von Bork am Ende ab.
An seiner Stelle wurde Anthony Kennedy gewählt, ein gemässigter Konservativer, der immer wieder das Zünglein an der Waage zwischen Links und Rechts bildete und gerade beim Reizthema Abtreibung dem linken Flügel zu wichtigen Erfolgen verhalf. Der von George Bush senior ernannte David Souter begann ebenfalls als moderater Rechter, rutschte im Gremium aber zunehmend nach links und war am Ende eine verlässliche Stütze dieser Fraktion.
Auch John Roberts, der vom jüngeren Bush ernannte aktuelle Vorsitzende des Supreme Court, bescherte den Konservativen eine Enttäuschung, weil er zweimal zugunsten der umstrittenen Gesundheitsreform Obamacare geurteilt und diese damit vor dem Untergang gerettet hatte. Gerade weil die neun Richterinnen und Richter nach ihrer Wahl kaum mehr entfernt werden können, haben sie entsprechend grossen Spielraum für eigenständige Positionen.
Ob die Evangelikalen beim Supreme Court ihr Ziel erreichen werden, bleibt unklar, wie so vieles im Hinblick auf die Präsidentschaft von Donald J. Trump. Den Verlierern bleibt derzeit nur ein kleiner Trost: Die Glaubwürdigkeit der religiösen Rechten hat schwer gelitten. Oder wie es Bill Maher ausgedrückt hat: «Eine gute Sache hat Donald Trump bewirkt: Er hat die Evangelikalen als jene schamlosen Heuchler entlarvt, die sie immer gewesen sind.»
Lebt doch bitte euren Glauben wie ihr wollt aber lasst mich mit EUREN Regeln in ruhe. Mein leben geht euch nichts an. Was für eine Anmassung aufgrund des eigenen Glaubens andere zu beschränken!
All diese Leute rufen immer nach Freiheit. Wo ist dann meine Freiheit mein Leben gleich wie alle anderen gestalten zu können?