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Ukraine-Plan: Russland zögert, USA gereizt – drei Szenarien für Kiew

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In den kommenden Tagen soll es erneut ein Treffen geben: Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj vor dem Weissen Haus.Bild: keystone
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Friedensplan für die Ukraine: «Genau das will Trump vermeiden»

Steht eine Friedenslösung für die Ukraine kurz bevor? Angesichts russischer Vorbehalte ist das wohl unrealistisch. Doch was, wenn Russland absagt? Drei Szenarien erscheinen möglich.
26.11.2025, 10:0126.11.2025, 10:11
Simon Cleven / t-online
Ein Artikel von
t-online

Die Gespräche über eine mögliche Friedenslösung für die Ukraine laufen auf Hochtouren. Anstoss der neuen Entwicklungen war ein 28-Punkte-Plan, den die USA mit Russland entwickelt hatten und der vor allem dem Kremlwillen entsprach. Dann traf sich eine US-Delegation am Wochenende mit ukrainischen und europäischen Vertretern in Genf. Die Europäer legten zudem einen eigenen Plan vor. Nach diesen Konsultationen ist von dem ersten Plan, der vorrangig russische Forderungen enthielt, wohl nur noch wenig übrig.

Denn laut ukrainischen Angaben sind sich Washington und Kiew nun über die wichtigsten Fragen eines Friedensplans einig. Nun muss also Russland reagieren. Anfang der Woche traf sich eine Delegation des Kremls mit US-Vertretern in Abu Dhabi. Auch der ukrainische Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow reiste an. Trump-Sprecherin Karoline Leavitt erklärte am Dienstag, dass «enorme Fortschritte» erzielt worden seien. Noch gebe es jedoch «einige heikle, aber nicht unüberwindbare Details, die geklärt werden müssen». Doch ob Russland sich auf ernsthafte Verhandlungen einlässt, ist fraglich.

Der Politikwissenschaftler Carlo Masala sagt t-online dazu: «Es ist höchst wahrscheinlich, dass Russland jeden Friedensplan ablehnt, der nicht einer Kapitulation der Ukraine gleichkommt.» Doch sowohl im europäischen als auch im neuen ukrainisch-amerikanischen Plan steckten wohl einige Punkte, die vor allem Kiew wichtig seien. «Für die Russen ist das damit nicht akzeptabel.»

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Prof. Dr. Carlo Masala (geb. 1968) ist Sicherheitsexperte und Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München.Bild: imago

Russland, so scheint es aktuell auch angesichts erster kritischer Stimmen aus Moskau, wird sich daher kaum auf ernsthafte Verhandlungen über eine Friedenslösung einlassen. Wie also könnte es dann weitergehen?

Szenario 1: Politische Blockade – der Krieg läuft unverändert weiter, Trump zieht sich zurück

Nach Ansicht von Masala ist dieses das wahrscheinlichste Szenario. Infolge der Blockade bestehe jedoch das Risiko, «dass Trump sich dann aus dem Ukraine-Krieg ganz zurückzieht», erklärt der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Bisher sei es die Strategie der Europäer gewesen, Trump so lange im Spiel zu halten, «bis er realisiert, dass das auch sein Krieg ist», so Masala. «Doch genau das will Trump unbedingt vermeiden.»

Bislang war das den Europäern vor allem dadurch gelungen, dass sie Trump beschwichtigten und einen Deal mit ihm eingingen: Anstatt direkt Waffen an die Ukraine zu liefern, verkaufen die USA diese nun an ihre Nato-Partner in Europa, die die Waffen dann an Kiew weitergeben. Doch Trump fremdelt seit jeher mit dem Ukraine-Krieg und weist jede Verantwortung von sich. Stattdessen spricht er in der Regel von «Bidens Krieg», also einem Konflikt, für den er seinen Amtsvorgänger Joe Biden verantwortlich macht.

Trump war jedoch auch mit dem Versprechen ins Oval Office eingezogen, den Krieg in der Ukraine schnellstens zu beenden. Zehn Monate später und nach mehreren Versuchen einer diplomatischen Lösung läuft der Krieg jedoch unvermindert weiter. In Europa geht daher die Furcht um, dass Trump nun endgültig das Interesse verlieren könnte, wenn auch sein sogenannter Friedensplan scheitert. Doch was dann?

Nato-Generalsekretär Mark Rutte (l.) neben Donald Trump im Oval Office (Archivbild): Im Juli erreichten sie die Einigung, dass Nato-Partner Waffen für Kiew in den USA kaufen können.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte (l.) neben Donald Trump im Oval Office (Archivbild): Im Juli erreichten sie die Einigung, dass Nato-Partner Waffen für Kiew in den USA kaufen können. bild: imago

«Dann könnten die USA die Waffenverkäufe an die Nato-Partner einstellen und Kiew keine Geheimdienstinformationen mehr liefern», erklärt Masala. Das würde nicht nur die Ukrainer in die Bredouille bringen, sondern auch Europa. «Die Europäer müssten dann eine Entscheidung treffen: Führen sie ihre Unterstützung für die Ukraine weiter oder nicht?», so der Politologe. Zwar könnten die Europäer ihre Aufklärungsergebnisse an Kiew liefern. «Diese wären aber nicht so akkurat und vielfältig wie die der US-Amerikaner. Dafür haben wir die Fähigkeiten nicht.»

Der Experte verweist zudem darauf, dass die USA unter Trump ohnehin seit Monaten weiter Abstand von Europa nehmen. Der ursprüngliche, russlandnahe 28-Punkte-Plan habe zu dieser Distanzierung von der Nato und Europa weiter beigetragen. Darin boten sich die USA unter anderem als Vermittler zwischen der Nato und Russland an – obwohl sie selbst Mitglied des Bündnisses sind.

«Dazu ziehen sie Truppen aus Rumänien ab, stellen Ausbildungsmissionen im Baltikum ein und schicken den Flugzeugträger 'USS Gerald R. Ford' in die Karibik», führt Masala aus. Der grösste Flugzeugträger der Welt war zuvor im Mittelmeer, also nahe Europa, stationiert, soll nun jedoch den Drogenkrieg der USA in der Karibik unterstützen. «Ein Rückzug aus dem Ukraine-Krieg würde den Abschied auf Raten aus Europa weiter manifestieren.»

Szenario 2: Trump erhöht den Druck auf Kiew

In diesem Szenario würden die USA nicht den letzten Schritt gehen, sich komplett aus dem Krieg zurückzuziehen, sondern weiter auf ein Ende des Kriegs hinarbeiten. Lehnt Russland einen von den USA, der Ukraine und Europa verhandelten Plan ab, könnte Trump erneut Druck auf Kiew ausüben – mit dem Ziel, dass die Ukraine sich bestimmten russischen Forderungen beugt.

«Die USA könnten versuchen, die Ukraine zunächst durch die Androhung der Einstellung von Waffenverkäufen und Geheimdienstinformationen zu Zugeständnissen an Russland zu zwingen», erklärt Masala. «Nach allem, was Selenskyj zuletzt gesagt hat, würde Kiew da aber wohl nicht einlenken.»

Nachdem die erste Version eines russisch-amerikanischen Friedensplans publik geworden war, wandte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag in einer Rede an die Bevölkerung. «Gerade könnte die Ukraine vor einer sehr schweren Wahl stehen: Entweder die Würde verlieren oder das Risiko eingehen, den Schlüsselpartner zu verlieren. Entweder die schwierigen 28 Punkte oder ein äusserst schwerer Winter», sagte Selenskyj.

Wolodymyr Selenskyj und seine Ehefrau Olena Selenska gedenken der Opfer des Holodomor in Kiew: Als solcher wird die Hungersnot in den 1930er-Jahren in der Sowjetunion bezeichnet, die durch die sowjeti ...
Wolodymyr Selenskyj und seine Ehefrau Olena Selenska gedenken der Opfer des Holodomor in Kiew: Als solcher wird die Hungersnot in den 1930er-Jahren in der Sowjetunion bezeichnet, die durch die sowjetische Führung verursacht wurde. bild: imago

Er versprach jedoch, sein Land nicht zu «verraten» und an Alternativen zu arbeiten. Dass sich Selenskyj übermässigem Druck beugt, gilt daher als unwahrscheinlich. Zudem würde das wohl auch sein politisches Aus bedeuten, da er aktuell durch einen Korruptionsskandal im eigenen Umfeld ohnehin innenpolitisch viel Vertrauen eingebüsst hat. Noch in diesem Monat will Selenskyj wohl nach Washington reisen, um mit Trump letzte strittige Punkte einer Friedenslösung auszuräumen. Lässt Trump sich darauf ein oder droht dem Ukrainer eine öffentliche Demütigung wie bei seinem Besuch im Februar?

Wächst der Druck aus dem Weissen Haus auf Kiew, «käme Europa wie im ersten Szenario unter Zugzwang», sagt Carlo Masala. Trumps Sprecherin Karoline Leavitt hatte am Montag bereits erklärt, dass die USA nicht «für immer» Waffen an die Nato liefern könnten.

Anders als die USA hält der Kontinent bis auf wenige Ausnahmen wie Ungarn oder der Slowakei geschlossen zur Ukraine. In Europa ist das Bewusstsein da, dass das Schicksal der Ukraine eng mit der Sicherheit des Kontinents verbunden ist. Die Europäer können also kein Interesse daran haben, dass Kiew geschwächt in Verhandlungen geht oder zu weitreichenden Zugeständnissen an Russland gezwungen wird.

Masala fordert deshalb: «Europa muss sich jetzt endlich entscheiden, wie es mit dem Krieg vor seiner Haustür umgeht – und zwar allein, ohne die USA.» Bisher sei dabei immer noch ein Verhandlungsprozess das Mittel der Wahl. «Ich sehe jedoch nicht, dass Russland überhaupt an den Verhandlungstisch kommt. Wenn ja, dann nur, um zu verzögern», so der Experte.

Szenario 3: Trump erhöht den Druck auf Moskau

Ende Oktober verhängte Trump erstmals in seiner neuen Amtszeit Sanktionen gegen Russland. Die Strafmassnahmen trafen die grossen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil. Dabei zeigte er sich frustriert über Kremlchef Putin: «Jedes Mal, wenn ich mit Wladimir spreche, sind es gute Gespräche, aber sie führen nirgendwohin», so Trump.

Könnte eine erneute russische Absage in den Verhandlungen dann nicht zu weiteren US-Sanktionen führen? Einige Mittel stünden den USA noch zur Verfügung: So könnte Washington den Marschflugkörper Tomahawk für Kiew freimachen. Aufgrund der hohen Reichweite und Durchschlagskraft des Waffensystems würde Russland unter grösseren militärischen Druck geraten. Genauso sind weitere Wirtschaftssanktionen denkbar, die der ohnehin angeschlagenen Kreml-Ökonomie weiteren Schaden zufügen könnte.

«Die Sanktionen gegen russisches Öl waren nicht so umfassend, wie es das Instrumentarium der USA zulassen würde.»
Carlo Masala

Experte Carlo Masala sagt dazu: «Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich.» Trump sei etwa eigentlich nie bereit gewesen, Tomahawk-Marschflugkörper zu liefern. «Auch die Sanktionen gegen russisches Öl waren nicht so umfassend, wie es das Instrumentarium der USA zulassen würde.» Beispielsweise wurde der grösste Erdgaskonzern der Welt, Gazprom, bisher nicht angetastet.

Sollte sich Trump wider Erwarten für diesen Weg entscheiden, käme wieder Europa unter Zugzwang. Der US-Präsident kritisiert seit Monaten, dass EU-Länder weiterhin Öl aus Russland beziehen. Infolge des Angriffskrieges Moskaus hatte die EU weitgehende Einfuhrverbote für russische Energieträger wie Kohle und Öl erlassen, es gelten aber noch Ausnahmeregelungen. Erst am Wochenende wiederholte er den Vorwurf, dass die EU damit indirekt Russlands Angriffskrieg finanziere.

«Zudem könnte Russland vollständig aus dem Swift-Bankensystem ausgeschlossen werden», so Masala. Damit könnten russische Banken international kaum mehr Zahlungen tätigen. Der Handel mit wichtigen Partnern wie China würde so stark eingeschränkt werden.

«All das sind Möglichkeiten, die existieren, um den Druck auf Russland zu erhöhen», sagt Masala. «Ich sehe jedoch nicht, dass Trump dazu bereit ist.»

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