Turning Point ist eine rechtsradikale Organisation, die sich speziell an junge Männer wendet. Am Donnerstag trat an einer Veranstaltung in Duluth (Bundesstaat Georgia) nicht nur Donald Trump auf, sondern als «Vorgruppe» auch Tucker Carlson. Der gefeuerte Fox-News-Moderator wurde nicht nur seinem Ruf als Extremist gerecht, er war auch die ideale Besetzung für das Publikum.
Carlson ging sogleich in die Vollen: Das Land sei unter der Führung der Demokraten verkommen, es sei eine Wohnung geworden, die eine 15-jährige, mit Hormonen verdorbene Tochter verwüstet habe, rief er aus. Dann wurde es deftig: «Wenn Daddy heimkommt, wisst ihr, was er seiner Tochter sagen wird?», so Carlson. «‹Du bist ein ungezogenes Mädchen gewesen, ein sehr ungezogenes Mädchen, und du bekommst nun eine Tracht Prügel.›»
Nicht genug damit, Carlson schmückte seinen Vergleich weiter aus und liess seinen imaginären Vater ausrufen: «‹Und nein, mir wird das nicht mehr weh tun als dir. Ich werde nicht lügen. Dir wird es sehr viel mehr weh tun als mir. Und du hast es verdient. Du bekommst eine Tracht Prügel, weil du ein schlechtes Mädchen gewesen bist.›»
Die Rede kam bei den jungen Männern sehr gut an. Sie johlten und klatschten. Carlson legte daher noch eine Schippe darauf, bezeichnete Liz Cheney als «missratene kleine Tochter» ihres Vaters Dick Cheney. Die Demokraten beschrieb er als «Partei von schwachen Männern und unglücklichen Frauen». Über Kamala Harris wusste Carlson zu berichten, dass sie nicht fähig sei, einen Pneu an einem Truck zu wechseln, und schon gar nicht, das Gefährt auch zu lenken. «Wie hat sie es geschafft, an die Spitze zu gelangen?», rief er aus. «Und sollte sie ins Weisse Haus kommen, wird sie euch unaufhörlich belehren. Das ist zu viel! Wir können das nicht zulassen!»
Tucker Carlson ist ein abscheulicher Mensch und ein widerlicher Demagoge, aber er ist nicht dumm. Er weiss, dass ein Teil der jungen Männer auf diese Mischung aus Lolita-Erotik und Sadismus anspricht – und genau diese Bevölkerungsgruppe ist derzeit im Fokus der Trump-Kampagne. Im Jargon wird dies auch «Bro Whispering» genannt. Speziell junge Männer ohne Hochschulabschluss sind sehr empfänglich dafür. Der Politologe John Della Volpe erklärt in einer Gastkolumne in der «New York Times», weshalb:
Diese Männer kompensieren ihre Minderwertigkeits-Komplexe mit übertriebenem Machismus und offener Frauenfeindlichkeit. Sie sind daher empfänglich für Trump und den primitiven Humor eines Tucker Carlson. Auch auf Elon Musk und dessen spät-adoleszentes Verhalten spricht diese Wählergruppe an. Sie gehören zwar zu den «Low propensity voters», also zu den unzuverlässigen Wählern. Doch Trump scheint es zumindest teilweise zu gelingen, sie in diesen Tagen an die Urne zu locken.
Umgekehrt sieht es bei den Frauen aus. Dort liegt Kamala Harris deutlich in Führung, die nationalen Umfragen beziffern ihren Vorsprung zwischen 14 und 16 Prozentpunkten. Die Frauen fühlen sich durch den offenen Machismus der Trump-Kampagne nicht nur abgestossen. Sie wissen auch, dass sie es dem Ex-Präsidenten zu verdanken haben, dass die Legalisierung der Abtreibung auf nationaler Ebene aufgehoben worden ist.
Die Abtreibungsfrage ist denn auch der stärkste Trumpf im Blatt der Demokraten. In zwölf Bundesstaaten wird am 5. November auch darüber abgestimmt, wie die Abtreibung gehandhabt werden soll. Davon versprechen sich die Demokraten Rückenwind, denn bisher sind alle diese Abstimmungen zu ihren Gunsten ausgefallen. Speziell in den beiden Swing States Arizona und Nevada könnten diese Abstimmungen den Ausschlag geben.
Mit Sicherheit lässt sich dies jedoch nicht sagen. Im Bundesstaat Missouri beispielsweise deuten die Umfragen darauf hin, dass eine solche Abstimmung zugunsten der Abtreibungs-Befürworter ausgehen wird. Gleichzeitig sagen diese Umfragen auch, dass der republikanische Senator Josh Hawley, ein Hardcore-Gegner der Abtreibung, wiedergewählt werden wird.
Überhaupt ist bei diesen historischen Wahlen nichts mehr wie früher. Noch nie sind vor dem eigentlichen Stichtag so viele Wahlzettel vorzeitig eingereicht worden wie heuer. Weit mehr als 20 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner haben ihre Stimme bereits abgegeben. Es wird mit einer rekordhohen Wahlbeteiligung gerechnet.
Das liegt auch daran, dass Trump und die Republikaner ihre Widerstände gegen die Briefwahl aufgegeben haben und nun ihre Anhänger auffordern, ihre Stimme so früh wie möglich abzugeben. Deshalb erklärt der Politologe Elliot Fuller gegenüber dem «Economist»: «Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass eine hohe Wahlbeteiligung den Demokraten generell nützt.»
Die Frauen sind es daher, die Kamala Harris zum Sieg tragen müssen. Die Chancen, dass sie dies auch tun werden, sind intakt. «In nur drei Monaten hat Ms. Harris eine geeinte und elektrisierende Koalition zusammengestellt», hält Wahl-Guru James Carville in der «New York Times» fest. «Sie reicht von Alexandria Ocasio-Cortez bis zu Liz Cheney und ist die breiteste Koalition in der modernen Politikgeschichte.»
Nicht zu unterschätzen ist auch die queere Gemeinde. «Die Unterstützung der LGBT-Wähler für Harris ist überwältigend, obwohl sich ihre Kampagne kaum zu diesem Thema äussert», stellt der «Economist» in seinem Wahlbarometer fest.
Etwas vom Widerlichsten, das ich je gesehen habe.