Die USA präsentieren sich ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 als zwiespältiges und zwiegespaltenes Land. Die Gräben zwischen Parteien scheinen kaum noch überwindbar zu sein. Gleichzeitig stossen sowohl Amtsinhaber Joe Biden als auch Ex-Präsident Donald Trump bei einer Mehrheit der Wählerschaft auf Ablehnung.
Drei Viertel der Befragten äusserten in einer NBC-Umfrage vom September Zweifel an Bidens Alter und seiner geistigen Fitness. Zwei Drittel zeigten sich besorgt wegen Trumps zahlreichen Gerichtsverfahren. Die Querschnittumfrage des Statistik-Portals FiveThirtyEight verzeichnet für beide Politiker fast identische Zustimmungswerte.
Nur etwa 40 Prozent beurteilen Biden und Trump positiv, knapp 55 Prozent lehnen sie ab. Eigentlich müssten beide abtreten, so das Verdikt. Und doch deutet beim heutigen Stand so gut wie alles darauf hin, dass sie sich erneut duellieren werden. Es kommt zum «Rematch» zwischen dem dannzumal 81-jährigen Biden und dem 78-jährigen Trump.
Was läuft da in Amerika?
«It's the economy, stupid!», lautet die mehr als 30 Jahre alte Devise, die sich einmal mehr anrufen lässt. Eigentlich läuft es der US-Wirtschaft prächtig. Sie stellt die Gesetze der Schwerkraft auf den Kopf und weigert sich trotz mehrerer Zinserhöhungen durch die Notenbank FED hartnäckig, in die in solchen Fällen erwartete Rezession abzugleiten.
Viele Amerikaner aber spüren wenig davon, dafür umso mehr die hohen (Benzin-)Preise. Das zeigt sich unter anderem am Streik der Automobilgewerkschaft, der gerade erfolgreich beigelegt werden konnte. Präsident Joe Biden hatte sich mit den Streikenden solidarisiert, dennoch schadet der Ärger über die persönliche wirtschaftliche Lage seiner Popularität.
Donald Trump versucht, den Unmut auszunützen. Und er zählt auf eine ihm ergebene Fangemeinde unter den Anhängern der Republikanischen Partei. 37 Prozent unterstützen ihn laut einer «New York Times»-Erhebung bedingungslos. Und zwar nicht trotz seiner Schwächen, sondern «weil sie nicht zu glauben scheinen, dass er Schwächen hat».
Das erklärt jedoch nicht alles. Deshalb ein genauerer Blick auf die beiden Rivalen:
Zwei Monate vor der ersten Vorwahl im Bundesstaat Iowa scheint der Ex-Präsident der parteiinternen Konkurrenz meilenweit entrückt zu sein. Im nationalen Querschnitt von FiveThirtyEight hat er fast 50 Prozent (!) Vorsprung auf den zweitplatzierten Ron DeSantis. Die übrigen Bewerberinnen und Bewerber sind vollends abgeschlagen.
Trumps ehemaliger Vize Mike Pence hat bereits das Handtuch geworfen. Es sieht so aus, als wäre Donald Trump die Nomination nicht zu nehmen. Bei genauerer Betrachtung aber ist die Lage weit weniger klar. In Iowa und in New Hampshire, wo die zweite «Primary» stattfindet, liegen seine Zustimmungswerte konstant unter 50 Prozent.
Eine CBS-Umfrage zeigt ein noch interessanteres Bild. Weniger als 25 Prozent der republikanischen Wählerschaft in den beiden Bundesstaaten will nur Trump wählen und sonst niemanden. Mehr als 30 Prozent hingegen lehnen ihn ab. Rund 45 Prozent sind im Prinzip für den Ex-Präsidenten, wären aber offen für eine Alternative.
Mit anderen Worten: Eine Mehrheit der Amerikaner, die sich als Republikaner bezeichnen, könnte sich ein Leben ohne Trump vorstellen. Ihnen scheint klar zu sein, dass seine erneute Nomination mit grossen Risiken verbunden wäre. Trumps Vorteil ist die schwache Konkurrenz. Nur deshalb liegt er in den nationalen Umfragen so deutlich vorn.
Zum Verhängnis werden könnten ihm die vielen Prozesse. Besonders interessant ist das Verfahren in Georgia wegen Anstiftung zum Wahlbetrug. Die Anklägerin stuft Trump und seine Mitstreiter als mafiöse Vereinigung ein. Ihnen drohen happige Strafen, weshalb sie reihenweise mit der Justiz kooperieren und den Ex-Präsidenten schwer belasten dürften.
Im Prinzip hat der Amtsinhaber bislang viel erreicht. Doch Inflation und Alter beschädigen Joe Bidens Image. Selbst unter den Anhängern der Demokraten hält ihn eine Mehrheit für zu alt für eine zweite Amtszeit im Weissen Haus. Die Eskalation in Nahost könnte ihm zudem Probleme mit wichtigen Teilen seiner Wählerschaft einbringen.
Junge Linke sympathisieren eher mit den Palästinensern als mit Israel. Für die Muslime gilt dies erst recht. Biden braucht die Stimmen dieser Gruppen, weshalb er und seine Minister sich um Mässigung bemühen. Am Mittwoch rief der Präsident die Israelis zu einer «Pause» in Gaza auf. Aussenminister Antony Blinken reist erneut in die Region.
Letztlich aber ist Joe Biden in der gleichen Lage wie Donald Trump: Trotz Unruhe und Unbehagen in ihrer Partei scheint kein Weg an ihnen vorbeizuführen. Der Amtsinhaber hat bislang keine ernsthaften Herausforderer. Allerdings gebärdet sich Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, immer ungenierter als «Reserve-Präsident».
Kürzlich unternahm er eine viel beachtete Reise nach China, samt Treffen mit Machthaber Xi Jinping. Während noch immer nicht klar ist, ob es am APEC-Gipfel Mitte November in San Francisco zum «Gipfel» von Biden mit Xi kommen wird. Offiziell unterstützt Gavin Newsom Joe Biden, doch er scheint auf seine Chance zu lauern, falls der Präsident doch «ausfällt».
Weitere Variablen könnten die Präsidentschaftswahl 2024 beeinflussen, etwa «unabhängige» Kandidaten. Zu ihnen gehört Präsidentenneffe Robert Kennedy Jr., der ursprünglich bei den Demokraten antreten wollte. Mit seinem Image als Impfgegner könnte er Trump Stimmen kosten, während der linke Universitätsprofessor Cornel West Biden schaden dürfte.
Ein Jahr vor der Wahl bleibt einiges in der Schwebe. Wird Donald Trump von der Justiz zu Fall gebracht? Sieht Joe Biden ein, dass eine Amtszeit genug ist und er seinen Ruhestand geniessen sollte? Der befürchtete «Rematch» bleibt beim heutigen Stand der Dinge das wahrscheinlichste Szenario. Aber es könnte durchaus anders kommen.