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Ist Senator Chris Murphy der neue Bernie Sanders?

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Ist Chris Murphy der neue Bernie Sanders?

Der Senator aus dem Bundesstaat Connecticut profiliert sich als demokratischer Widersacher von Donald Trump.
18.03.2025, 14:5418.03.2025, 15:41
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Bis vor kurzem hatte niemand Chris Murphy auf der Rechnung. Der Senator aus dem Bundesstaat Connecticut hat weder Charisma, noch ist er ein mitreissender Redner. Hasan Minhaj, ein Comedian, verglich ihn einst gar mit einem Berater von McKinsey, der «sich in die Menge der weissen Männer im Kongress einfügt wie ein Polarfuchs».

Der 53-jährige Murphy galt bisher auch als eher konservativer Demokrat. Als Hillary Clinton und Bernie Sanders sich 2016 in den demokratischen Vorwahlen aufs Heftigste bekämpften, schlug sich Murphy auf die Seite von Hillary. Jetzt aber ist er im Begriff, den 83-jährigen Senator aus Vermont links zu überholen. Bei Jon Stewart in der «Daily Show» legte Murphy gestern los wie Bernie einst im Mai. «Nichts ist derzeit wichtiger als die Frage, ob wir es zulassen, dass die Milliardäre unsere Demokratie zerstören», donnerte Murphy, sehr zur Begeisterung von Stewart.

Der Senator liess auch kein gutes Haar an der These von James Carville. Der ehemalige Wahlkampfmanager von Bill Clinton hatte kürzlich in einem Gastkommentar in der «New York Times» den Demokraten empfohlen, sich tot zu stellen und auf die Fehler der Republikaner zu warten. «Niemand kümmert es, wie hart ihr im März 2025 fightet», so Carville. «Es geht darum, wer 2026 (bei den Zwischenwahlen, Anm. d. Verf.) gewinnt.»

Murphy kann mit dieser These rein gar nichts anfangen. Er ist überzeugt, dass die Menschen jetzt von den Demokraten verlangen, dass sie alles, was sie haben, in den Kampf gegen Trump und die Tech-Oligarchen werfen. «Wir befinden uns in einem entscheidenden Moment in der Geschichte», erklärte er gegenüber der «New York Times». «Unsere politische Marke ist grundsätzlich zerstört. Der Rechtsstaat zerbricht vor unseren Augen und viele Menschen haben noch gar nicht realisiert, was Trump für Ziele verfolgt.»

Diesen Vorwurf kann man Murphy nicht machen. Er hat nicht nur das Parteiprogramm der Republikaner studiert, sondern auch die Schriften der rechtsextremen Einflüsterer wie Curtis Yarvin und Patrick Deneen gelesen. «Das hat mir die Augen geöffnet und mir klargemacht, dass sie vom ersten Tag an loslegen werden», so Murphy.

Die demokratische Partei befindet sich derzeit in einem historischen Tief. Nur noch 27 Prozent der Amerikaner teilen ihre Ziele. Das hat soeben eine Umfrage der TV-Station NBC ergeben. Es hilft auch nicht wirklich, dass innerhalb der Partei ein heftiger Richtungsstreit ausgebrochen ist. Ausgelöst wurde er durch ein Gesetz, das die Finanzierung des Staates bis zum kommenden September sichert.

Das besagte Gesetz ist ein rein republikanisches Machwerk. Es sieht Kürzungen im Sozialbereich vor und gewährt dem Präsidenten noch mehr Macht, als er ohnehin schon hat. Im Abgeordnetenhaus wurde das Gesetz daher ohne eine einzige Stimme der Demokraten verabschiedet.

Mit einem sogenannten Filibuster hätten die Demokraten die Möglichkeit gehabt, das Gesetz im Senat zu blockieren. Chuck Schumer, der demokratische Minderheitsführer, hat dies jedoch im letzten Moment verhindert und zusammen mit acht anderen demokratischen Senatoren dafür gesorgt, dass das Gesetz auch von der zweiten Kammer genehmigt wurde und nun in Kraft tritt.

Schumer hat für sein Vorgehen gute Gründe. Hätten die Demokraten das Gesetz verhindert, wäre es zu einem Shutdown der Regierung gekommen. Das wäre nicht nur äusserst unpopulär gewesen, es hätte gemäss Schumer Trump und Elon Musk auch die Gelegenheit geboten, noch härter durchzugreifen und noch mehr Staatsangestellte zu entlassen.

Senate Minority Leader Chuck Schumer, D-N.Y., gives a television interview, as the Senate works to avert a partial government shutdown ahead of the midnight deadline, at the Capitol in Washington, Fri ...
Zieht den Zorn der Jungen auf sich: Chuck Schumer, Minderheitsführer der Demokraten im Senat.Bild: keystone

Vor allem bei den jungen Demokraten hat Schumers Vorgehen trotzdem Entsetzen ausgelöst. Sie sehen darin einen Freipass für Trump und die Republikaner, alle ihre Anliegen durchsetzen zu können. Diese Ansicht teilt auch Murphy. Für ihn ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Demokraten Widerstand auf alle nur möglichen Arten zeigen. «Diktatoren und Despoten wollen Loyalität erzwingen, indem sie das Gesetz missbrauchen», so Murphy. «Allen, die nicht loyal sind, drohen sie Verhaftung an. Wer hingegen loyal ist, kann auch ungestraft ein Verbrechen begehen. So sind die Zustände derzeit in Amerika.»

Der einst so langweilige Technokrat Murphy kommt in seiner neuen Rolle als Volkstribun gut an. Auf den sozialen Medien hat er seine Follower vervielfacht. Auch Chuck Schumer räumt ein: «Seine Frustration und seine Wut über das, was Trump anstellt, sind echt, und er hat eine einzigartige, starke und unglaublich wichtige Art, sich dagegen zur Wehr zu setzen.»

Die Demokraten müssen sich entscheiden: sich tot stellen, wie dies Carville empfiehlt, oder Widerstand, wo immer sich eine Möglichkeit bietet, wie Murphy plädiert. Der Senator aus Connecticut scheint die besseren Argumente zu haben. Selbst gemässigte Republikaner wünschen sich inzwischen, dass die Demokraten mehr machen als während einer Trump-Rede vor dem Kongress Schildchen in die Luft zu halten.

So erklärt Peggy Noonan, einst Beraterin von Ronald Reagan und heute einflussreiche Kommentatorin im «Wall Street Journal»: «Wenn die Demokraten nicht endlich Tritt fassen, dann realisieren Trump und die Republikaner, dass sich keine wesentliche Kraft ihnen in den Weg stellen wird. Das wäre nicht gut. Sie brauchen eine Opposition. Wenn die Demokratische Partei die Arbeit verweigert, ist das sehr gefährlich.»

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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HARPHYIE
18.03.2025 15:09registriert Mai 2020
Es wird Zeit, dass die gemässigten Stimmen, die wirklichen Freunde der Demokratien der Welt, die vernunftgesteuerten Menschen endlich aus ihrer Schockstarre erwachen. Die aktuellen Zeiten werden später einmal als richtungsweisend in die Geschichtsbücher eingehen und wenn nicht jetzt, wann dann ist der richtige Zeitpunkt, um sich dem Neofaschismus und den Autokraten entgegenzustellen? Es könnte auch bald schon mal zu spät sein!!!
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FrancoL
18.03.2025 15:23registriert November 2015
Ich frage mich wasin den Staaten so verkhrt läuft, dass das Volk selbst bei der Starre der DEMs, diese nur noch zu 27% stützt. Wieviel Brainwashing ist da erfolgt?

Natürlich machen die DEMs zu wenig, aber sie verhindern doch nicht dass die Menschen ihr Hirn einschaltet. Man kann doch nicht immer auf die letargischen DEMs zeigen udn dabei selbst nicht mitdenken und die Demokratie an die Wand fahren lassen.
Es braucht Politiker, aber es braucht das vernünftige Volk das Druck macht. es ist zu billig immer den Politikern die Schuld zuzuschieben.
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Snowy
18.03.2025 15:13registriert April 2016
„Ist Chris Murphy der neue Bernie Sanders?“

Es wäre zu hoffen.
Für die USA und die Welt.
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