Die amerikanische Verfassung gilt als genialer Streich der Gründungsväter und wurde zu Recht zur Blaupause der Demokratien weltweit. Doch sie ist in die Jahre gekommen, und die Amerikaner tun sich sehr schwer damit, überfällige Reformen vorzunehmen. Nichts illustriert das besser als die Tatsache, dass die Wahlen am 5. November in einem einzigen Bundesstaat entschieden werden könnten, in Pennsylvania.
Warum ist das so? Die amerikanischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wählen ihren Präsidenten bekanntlich nicht direkt, sondern über den Umweg der Elektoren. Will heissen: Jeder der 50 Bundesstaaten kann gemäss seiner Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl von Elektoren nach Washington schicken, welche dann den Willen der Bürger vertreten. Die Mehrheit der Elektoren wählt den Präsidenten. Diese Mehrheit liegt bei 270 Elektorenstimmen.
Ursprünglich war dieses System dazu gedacht, eine Pöbel-Demokratie zu verhindern. Dank den Elektoren haben die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten die Möglichkeit, eine Wahl zu zertifizieren – oder auch nicht. Gleichzeitig wurde damit auch ein Ausgleich geschaffen zwischen grossen und kleinen Bundesstaaten.
Als die US-Verfassung vor rund 250 Jahren geschaffen wurde, machte dies Sinn. Heute weniger. Dank des Elektoren-Systems haben die Stimmen der konservativen kleinen Bundesstaaten viel zu viel Gewicht. Das führt dazu, dass bei den Republikanern in den vergangenen Jahrzehnten einzig George W. Bush nicht nur die Mehrheit der Elektorenstimmen, sondern auch die Mehrheit aller Stimmen hinter sich bringen konnte, und zwar im Jahr 2004.
Vier Jahre zuvor hatte er diese Mehrheit nicht erreicht, sondern gewann dank eines dubiosen Entscheids des Obersten Gerichtshofs im Streit um die Stimmen in Florida. Donald Trump hat das Volksmehr bekanntlich zweimal verfehlt, auch als er 2016 gewählt wurde.
Womit wir wieder bei Pennsylvania angelangt sind. Dank der verkorksten Wahl-Arithmetik kann man etwas verkürzt sagen: Eigentlich könnten alle Amerikanerinnen und Amerikaner am 5. November zu Hause bleiben – ausser die rund 13 Millionen Einwohner des Keystone States. Ihre 19 Elektorenstimmen werden wahrscheinlich darüber entscheiden, wer ins Weisse Haus einziehen wird, denn die Elektorenstimmen der übrigen Bundesstaaten werden sich möglicherweise gegenseitig aufheben.
Pennsylvania spielt daher im aktuellen Wahlkampf eine aussergewöhnliche Rolle. Die beiden Präsidentschaftskandidaten treten überdurchschnittlich oft zwischen Pittsburgh und Philadelphia auf – Trump wird diese Woche das neunte Rally abhalten –, und sie geben auch weit überdurchschnittlich viel für Wahlpropaganda aus. Bei Harris sind es 180, bei Trump 170 Millionen Dollar.
Warum das so ist, fasst Trump in einem einzigen Satz zusammen: «Wenn wir Pennsylvania gewinnen, gewinnen wir alles.»
Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Anders als andere Bundesstaaten, in denen man den Ausgang jetzt schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraussagen kann – beispielsweise wird Kalifornien demokratisch wählen, Wyoming republikanisch –, steht der Ausgang in Pennsylvania auf Messers Schneide. Ein paar wenige tausend Stimmen werden letztlich den Ausschlag geben.
Wie bei uns der Kanton Aargau ist Pennsylvania ein Spiegelbild des Durchschnitts der amerikanischen Bevölkerung. Es gibt urbane Zentren wie Philadelphia mit einer grossen Zahl schwarzer Einwohner, aber auch ländliche Gebiete mit überwiegend weissen. Es gibt Teile, die de-industrialisiert worden sind und wo frustrierte Arbeiter Trump wählen. Anderseits hat sich Pittsburgh zu einem modernen Dienstleistungszentrum entwickelt, mit einer Bevölkerung, die zu den Demokraten tendiert. In verschiedenen kleineren Städten hat es mittlerweile eine boomende hispanische Bevölkerung.
Die jüngsten Wahlen waren alle sehr eng, wurden aber mehrheitlich von den Demokraten gewonnen. Sie hoffen daher, dass dies ihnen auch im November gelingen wird. Auch Joe Biden hat Trump vor vier Jahren knapp geschlagen. Kamala Harris versucht auch, die einzelnen Interessensgruppen gezielt anzusprechen. So leben etwa in Pennsylvania überdurchschnittlich viele Emigranten aus der Ukraine. Deshalb betont die demokratische Kampagne, dass Trump dieses Land Putin in den Rachen schieben wolle.
Die Demokraten geben nicht nur viel Werbegelder aus, sie verfügen auch über ein gut geöltes «Groundgame». Damit ist die Organisation gemeint, welche vor Ort den Wahlkampf organisiert, die vielen Freiwilligen etwa, welche an die Türen klopfen und Flyer verteilen. Harris hat derzeit in Pennsylvania rund 400 Angestellte in 50 Wahlkampfbüros auf ihrer Lohnliste. Das Trump-Team gibt zu diesem Thema keine Auskunft.
Die Republikaner schöpfen derweil Mut aus der Tatsache, dass in den vergangenen vier Jahren mehr Menschen der Grand Old Party beigetreten sind als bei den Demokraten. Sie sind auch froh, dass Harris nicht Josh Shapiro, den beliebten Gouverneur des Keystone State, zu ihrem Vize ernannt hat, sondern Tim Walz. Zudem betonen sie immer und immer wieder, dass Harris sich einst gegen das Fracking ausgesprochen hat. Die Öl- und Gasförderung mit dieser Methode ist in Pennsylvania weit verbreitet.
Keine Rolle in Pennsylvania spielen die beiden Hurrikane, welche in den letzten Tagen Florida, North Carolina und Georgia heimgesucht haben. Vor allem in North Carolina könnte der Hurrikan Helene jedoch den Demokraten in die Hände spielen. Sollte Harris diesen Bundesstaat für sich entscheiden, dann ändert sich die Wahl-Arithmetik erneut, und stellt alle Strategien auf den Kopf – nicht aber die Notwendigkeit, dass das amerikanische Wahlsystem dringend einer Reform bedarf.
Also war damals genau das die Absicht, was Trump vor 4 Jahren versuchte? Dass die Elektoren "beeinflusst" werden und nicht gemäss Volkswunsch abstimmen? Oder verstehe ich das falsch?
Dies wäre fatal! Es gibt auch noch andere Swing States und wer weis was für Überraschungen. Es mag die Regel sein dass ein bestimmter Swing State entscheidend ist, aber darauf verlassen wäre töricht. Jede Stimme in den Swing States zählt, gerade bei dieser Wahl!
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