Eine gängige These unter amerikanischen Polit-Auguren lautet, Trump habe seine Präsidentschaftskandidatur so früh angemeldet, um ein Strafverfahren zu vermeiden. Sollte dies zutreffen, dann dürfte diese Rechnung nicht aufgehen. Wie die «New York Times» vermeldet, hat der Ex-Präsident soeben eine Vorladung erhalten, vor einer Grand Jury auszusagen. Dieses Laien-Gremium klärt ab, ob eine Anklage erhoben werden kann.
Eine solche Vorladung gilt als böses Omen. «(Sie) bedeutet in den allermeisten Fällen, dass eine Anklage unmittelbar bevorsteht», so die «New York Times». «Es wäre sehr ungewöhnlich, sollte der Untersuchungsrichter Alvin L. Bragg einen potenziellen Angeklagten benachrichtigt haben, ohne dass er ihn danach auch anklagen will.»
Bei der besagten Anklage geht es um das Schweigegeld, das Trump Stormy Daniels bezahlt haben soll. Er wollte damit verhindern, dass seine Affäre mit dem Pornostar bekannt wurde. Der Ex-Präsident bestreitet diese Affäre zwar nach wie vor, doch Michael Cohen, sein ehemaliger Anwalt, ist deswegen verurteilt worden und hat seine dreijährige Gefängnisstrafe bereits verbüsst.
Inzwischen ist Cohen zu einem erbitterten Feind des Ex-Präsidenten geworden und hat nach eigenen Angaben in den letzten Monaten 20 Mal vor der Strafverfolgungsbehörde gegen ihn ausgesagt. Aus dem Urteil gegen Cohen ist seinerzeit auch klar hervorgegangen, dass der Anwalt im Auftrag Trumps gehandelt hatte. Es wurden gar Schecks mit dessen Unterschrift als Beweis vorgebracht, die zeigten, dass der Ex-Präsident Cohen die vorgestreckte Summe von 130’000 Dollar zurückbezahlt hat. Das könnte Trump nun zum Verhängnis werden, denn damit hat er wahrscheinlich gegen die geltenden Wahlgesetze verstossen und könnte deswegen zu bis drei Jahren Gefängnis verurteilt werden.
Warum ist Trump nicht schon zusammen mit seinem Anwalt zur Rechenschaft gezogen worden? Ganz einfach, weil er gemäss geltenden Richtlinien des Justizdepartements als amtierender Präsident nicht angeklagt werden durfte. Unter fragwürdigen Umständen stellte die Bundesanwaltschaft des Southern District of New York (SDNY) – eigentlich die härteste der USA – später das Verfahren gegen Trump gänzlich ein.
Sie ist eine nationale Behörde, die dem Justizministerium unterstellt ist. Die aktuelle Untersuchung führt jedoch der Untersuchungsrichter von Manhattan durch. Weshalb sich Alvin Bragg zu diesem Schritt entschlossen hat, ist ebenfalls unklar. Zuvor hatte er nämlich ein Verfahren seines Vorgängers Cyrus Vance eingestellt und damit hochkarätige Untersuchungsrichter verärgert, die unter Protest kündigten. Bragg will jedoch auf Nummer sicher gehen. Er geht offenbar davon aus, dass die Schweigegeld-Straftat grössere Chancen auf Erfolg hat.
Möglicherweise hat Bragg auch neue Trümpfe in der Hand. Allen Weisselberg, der langjährige Finanzchef der Trump Group, verbüsst derzeit eine Gefängnisstrafe in New Yorks berüchtigtem Gefängnis Rikers Island. Denkbar also, dass er inzwischen bereit ist, gegen seinen Ex-Chef auszusagen. Kellyanne Conway, Trumps langjährige Beraterin, ist ebenfalls beim Betreten des Gebäudes der Untersuchungsbehörde gesichtet worden.
Sollte Bragg den Ex-Präsidenten tatsächlich anklagen, dann würde er nicht nur Geschichte schreiben – noch niemals musste sich ein amerikanischer Ex-Präsident vor einem Gericht verantworten –, er würde wahrscheinlich auch eine Anklage-Flut auslösen. Im Bundesstaat Georgia ermittelt die Untersuchungsrichterin Fani Willis wegen Anstiftung zum Wahlbetrug gegen Trump.
Sie hat bereits vor Wochen angekündigt, dass eine Entscheidung über eine mögliche Anklage «unmittelbar» bevorstehe. Eine spezielle Grand Jury hat in einem teilweise veröffentlichten Bericht zudem festgehalten, dass einer ganzen Reihe von Personen – darunter möglicherweise auch Trump – eine Anklage droht.
Justizminister Merrick Garland schliesslich hat einen Sonderbeauftragten ernannt, der Trumps Rolle vor und beim Sturm auf das Kapitol und die Angelegenheit mit den streng geheimen Dokumenten, die in Trumps Residenz Mar-a-Lago gefunden wurden, abklären soll.
Eine allfällige Anklage dürften noch in diesem Frühjahr erfolgen, denn die Strafverfolgungsbehörden müssen Trump mindestens neun Monate Zeit einräumen, um sich auf einen Prozess vorzubereiten. Nach dieser Frist beginnt die heisse Phase des Wahlkampfes 2024. Um eine Politisierung der Justiz zu verhindern, halten sich die Strafbehörden dann traditionellerweise zurück.
Juristisch mag Trumps Kalkül fehlgeschlagen haben. Politisch hingegen könnte er als Sieger dastehen. Er hat geschworen, er würde auch dann zu den Wahlen antreten, sollte es zu einer Anklage gegen ihn kommen. Dann nämlich kann er seine Lieblingsrolle wieder einnehmen, diejenige des Opfers, das gegen das Establishment und für den kleinen Mann kämpft.
In seiner Rede vom vergangenen Samstag an der konservativen CPAC-Konferenz hatte er eine Duftmarke in diese Richtung gesetzt. «Ich bin euer Krieger. Ich bin euer Richter», rief er aus. «Und für alle, denen Unrecht geschehen ist, bin ich die Vergeltung.»
Sprüche wie diese kommen bei seiner Basis sehr gut an. In den jüngsten Umfragen liegt Trump wieder deutlich vor Ron DeSantis, seinem gefährlichsten Widersacher in der eigenen Partei. Dabei ist der Gouverneur aus Florida der erkorene Kronprinz des Medienmoguls Rupert Murdoch. Dieser will Trump loswerden, deshalb ist DeSantis ständig auf Fox News zu sehen, während der Ex-Präsident kaum noch Sendezeit erhält.
Das könnte sich bald ändern, denn Murdoch und Trump verbindet ein Verhältnis, das an die schlimmsten Szenen einer Ehe erinnert. Die beiden hassen sich innig, können jedoch nicht voneinander lassen, weil sie gegenseitig aufeinander angewiesen sind. Murdoch braucht die Einschaltquote und Trump ein Propaganda-Sprachrohr. Fox News ist weit einflussreicher als alle anderen rechten Medien zusammen.
Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Trump und Fox News ist, zeigen Dokumente, die im Zug einer Verleumdungsklage gegen den Sender zutage getreten sind. Dominion, ein Hersteller von Wahlmaschinen, hat gegen Fox News geklagt, weil immer wieder die Behauptung erhoben worden war, diese Maschinen seien zugunsten von Joe Biden manipuliert gewesen. Es kursierten zwar haarsträubende Verschwörungstheorien für diese Behauptung, jedoch keinerlei Beweise.
Das Gericht hat nun hunderte Seiten der Dominion-Klageschrift veröffentlicht. Auch wenn viele Abschnitte eingeschwärzt wurden, wird die Scheinheiligkeit von Fox News überdeutlich. Aus internen Mails geht hervor, dass Murdoch überzeugt war, dass Trump nach seiner verlorenen Wahl «zunehmend den Verstand verloren» hatte. «Offenbar schläft er kaum noch und rennt wie verrückt umher», hielt der Medienmogul in einer Botschaft an einen Freund fest. «Ich weiss nicht, ob Melania ihn stoppen kann, aber die Kinder sind keine Hilfe.»
Eine äusserst triste und scheinheilige Rolle in diesem Schmierstück spielt Tucker Carlson. Der neue Starmoderator von Fox News macht in internen Mails aus seiner Verachtung für den Ex-Präsidenten kein Hehl. Mehr noch: «Ich hasse ihn abgrundtief», schrieb er an seinen Produzenten. Gleichzeitig textete Carlson nach der Wahlniederlage: «Wir sind sehr nahe daran, Trump ignorieren zu können. Ich kann es kaum erwarten.»
Trump seinerseits macht aus seinem Herzen ebenfalls keine Mördergrube. Er bezeichnete kürzlich Rupert Murdoch und die führenden Mitglieder von Fox News als eine «Gruppe von MAGA-hassenden Globalisten und RINOS (Republicans in name only), die darauf wetten und hoffen, dass Amerika zerstört wird.»
Eine allfällige Klage würde die zerrüttete Ehe wohl erneut kitten. Erste Anzeichen dazu gibt es bereits. Tucker Carlson hat diese Woche den absurden Versuch unternommen, mithilfe von Videos der Kapitol-Polizei zu beweisen, dass die Chaoten am 6. Januar 2021 harmlose Touristen waren. Damit hat er sich wieder voll hinter Trump gestellt. Die Belohnung erfolgte denn auch auf der Stelle. In Grossbuchstaben textete der Ex-Präsident: «GREAT JOB BY TUCKER CARLSON TONIGHT.»
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