Man dachte, der Spuk sei mit Prigoschins Tod vor genau zwei Jahren zu Ende gegangen. Aber weit gefehlt. Mehr denn je stützt Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf ein Geflecht irregulärer Kampfeinheiten: von privaten Militärfirmen – wie sie Söldnerführer Prigoschin mit seinen Wagner-Truppen einst berühmt-berüchtigt gemacht hatte –, über regionale «Freiwilligen»-Bataillone bis hin zu Strafgefangenenverbänden.
Diese Formationen, die bis zu 40 Prozent der in der Ukraine eingesetzten Truppen ausmachen, operieren oft in einer rechtlichen Grauzone und übernehmen besonders verlustreiche oder politisch heikle Aufgaben. Das schreibt in einem aktuellen Aufsatz Mariya Omelicheva, die als Professorin am National War College in der US-Hauptstadt Washington unterrichtet.
Mit dem verstärkten Einsatz seiner Schattenarmee gewinne Kreml-Herrscher Wladimir Putin an den Fronten in der Ukraine taktische Flexibilität, kaschiere Verluste und vermeide innenpolitischen Widerstand. Gleichzeitig beschleunigt Moskau laut Omelicheva «eine Erosion in der Professionalität seiner regulären Streitkräfte».
Die irregulären Einheiten rekrutieren sich aus Veteranen, Sträflingen, Migranten, Nationalisten und auch ausländischen Söldnern – etwa aus Zentralasien oder China. Einen überproportionalen Anteil gemessen an der Bevölkerungsgrösse machten rund 600 Putin-Söldner aus Nepal aus. Insgesamt sollen Freiwillige aus 48 Ländern für Russland gegen die Ukraine kämpfen.
Ihre Verträge sind befristet, Kündigungen kaum möglich und Rechte minimal. Trotzdem sind die irregulären Einheiten für viele Freiwillige ein attraktiverer Arbeitgeber als die russische Armee. Besondere Anreize bieten hohe Monatslöhne und Prämien für Einjahresverträge von bis zu 20’400 Dollar. Nach der Verpflichtung werden die Kämpfer jedoch bevorzugt als «Kanonenfutter» in verlustreiche Frontalangriffe geschickt.
Ethnische Minderheiten und Gefangene seien dabei überproportional betroffen, wie Omelicheva betont. Gemäss ukrainischen Geheimdienstberichten standen Anfang Jahr 140’000 bis 180’000 Strafgefangene, dazu rund 40’000 Freiwillige in Putins Schattenarmee. Dies mache somit fast 40 Prozent der etwa 620’000 russischen Soldaten im Einsatzgebiet aus. So hoch schätzen US-Geheimdienste die aktuelle Truppenstärke Russlands ein.
Die irregulären Verbände sind vielgestaltig: offen rechtsextreme, paramilitärische Nationalisten wie «Rusich», regionale Bataillone wie «Alga» aus Tatarstan, private Milizen wie «Konvoy» auf der Krim oder die von Ramzan Kadirow aufgebotenen tschetschenischen Formationen.
Ihre Befehlsketten sind zersplittert – manche unterstehen dem Verteidigungsministerium in Moskau, andere Geheimdiensten, Gouverneuren oder Oligarchen. Diese Parallelstrukturen erschweren Koordination und Logistik und schaffen zugleich politische Spielräume und Intransparenz in Moskaus Kriegsführung.
Omelicheva folgert, dass für den Kreml die Irregulären ein probates Instrument zur Kriegsverlängerung sind: Sie kompensieren fehlende Massenmobilisierung, absorbieren Verluste und schonen die regulären Truppen. Zugleich mindern sie das innenpolitische Risiko für Unzufriedenheit und zivilen Widerstand, da ihre Verluste weniger sichtbar sind.
Ihre Kampffähigkeit ist jedoch begrenzt – sie eignen sich für Abnützungskämpfe und Stadtgefechte, aber nicht für komplexe Operationen. Langfristig schwächen sie die reguläre Armee durch niedrige Ausbildungsstandards und unsichere Loyalitäten, wie der Wagner-Aufstand 2023 zeigte.
Auch ein allfälliger Waffenstillstand würde diese Strukturen nicht verschwinden lassen, blickt Omelicheva auf das von allen ersehnte Kriegsende voraus. Viele Einheiten könnten als Sicherheitskräfte in besetzten Gebieten oder als Söldner im Ausland weiterexistieren – ähnlich wie Wagner zuvor in Syrien und Afrika. Ultranationalistische Gruppen könnten zudem in Russland eigenmächtig agieren und Gewalt exportieren.
Dies bedeutet für den Westen, dass jegliche dauerhafte Friedensregelung die Entwaffnung und Demobilisierung von Russlands irregulärer Schattenarmee einschliessen müsse – so unwahrscheinlich dies im Moment auch erscheine. Zudem sollten westliche Regierungen wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf mögliche Gastländer ausüben, um Putins Ex-Söldnern keine Basis zu bieten, fordert Omelicheva. (aargauerzeitung.ch)
Auch der Druck von der USA hat sich aufgelöst
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