Good News für Rishi Sunak: Im Oktober hat sich die Inflation in Grossbritannien deutlich abgeschwächt. Sie betrug noch 4,6 Prozent, gegenüber 6,7 Prozent im September. Er habe sein im Januar gemachtes Versprechen eingelöst, die Inflation zu halbieren, teilte der nach diversen Rückschlägen angezählte konservative Premierminister auf X mit.
Die hohe Teuerung lastet schwer auf den britischen Haushalten, bis weit in den Mittelstand. Eine Entspannung ist deshalb mehr als willkommen. Allerdings bleibt die Inflation im Vereinigten Königreich im Vergleich zu anderen grossen europäischen Volkswirtschaften hoch. In der Eurozone lag die Teuerungsrate im Oktober bei 2,9 Prozent.
Ohnehin hielt die positive Stimmung nur wenige Stunden. Um 10 Uhr Ortszeit am Mittwoch kassierte der britische Supreme Court den Plan der Tory-Regierung, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben, wo sie auf ihren Entscheid warten sollten. Das oberste Gericht stützte damit den Entscheid eines Berufungsgerichts, wonach Ruanda kein sicheres Drittland sei.
Damit muss sich der Regierungschef auf neuen Ärger mit dem rechten Flügel seiner Konservativen gefasst machen. Für diesen waren die Abschiebungen nach Ostafrika ein Prestigeprojekt, um Grossbritannien unattraktiv zu machen. Die ultrarechte Innenministerin Suella Braverman bezeichnete den Ruanda-Plan als «Traum» und als «Obsession».
Mit dem Gerichtsurteil muss sie sich nicht mehr direkt herumschlagen, denn am Montag wurde Braverman von Rishi Sunak gefeuert. Unmittelbarer Anlass war ein Gastkommentar der Ministerin in der «Times», in dem sie die Londoner Polizei scharf kritisierte, weil sie am letzten Samstag eine propalästinensische Kundgebung in der Hauptstadt zuliess.
Sie «kollidierte» mit der alljährlichen Gedenkzeremonie für die Weltkriegsopfer im Zentrum von London. Am Ende ging die grösste Bedrohung von rechten Gegendemonstranten aus, doch allein die Tatsache, dass die für innere Sicherheit zuständige Ministerin die wichtigste Polizeibehörde des Landes offen attackiert hatte, machte Suella Braverman untragbar.
Rishi Sunak nutzte ihren Rauswurf für eine Kabinettsumbildung. Bravermans Job übernahm der bisherige Aussenminister James Cleverly. Dessen Ersatz sorgte für den eigentlichen Knall: Der frühere Premierminister David Cameron kehrt nach Westminster zurück, sieben Jahre nach seinem Abgang als Konsequenz aus der Niederlage bei der Brexit-Abstimmung.
Die Reaktionen auf Camerons überraschendes Comeback als durchzogen zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. In den meisten Kommentaren dominierten Unverständnis und Ablehnung. Besonders deutlich äusserte sich der «Economist»: Ausgerechnet ein Mann, «der viele von Grossbritanniens Problemen verursacht hat», biete sich an, sie zu lösen.
Cameron habe alles gehabt, um ein exzellenter Premierminister zu werden, schrieb das Wirtschaftsblatt: «Intelligenz, Zielstrebigkeit, Humor und Umgangsformen.» Stattdessen habe er es geschafft, «einer der schlechtesten zu werden». Schon bei seinem Rücktritt im Juni 2016 hatte der «Economist» geurteilt, Cameron hinterlasse «ein ruiniertes Vermächtnis».
Oder plakativ formuliert: Aus dem «Cool Britannia» von Ex-Labour-Premier Tony Blair wurde «Cruel Britannia».
Das «Sündenregister» des 57-jährigen Upperclass-Zöglings ist beachtlich. Nach seinem knappen Wahlsieg 2010 – er musste mit den Liberaldemokraten eine Koalition bilden – verordneten Cameron und Finanzminister George Osborne dem Königreich ein drakonisches Sparprogramm, das den öffentlichen Diensten beträchtlichen Schaden zugefügt hat.
Spitäler und Schulhäuser müssen wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Um den nationalen Gesundheitsdienst (NHS) ist es ohnehin miserabel bestellt. Wer kein akuter Notfall ist, wartet oft monatelang auf einen Arzttermin. «Austerität war ein radikales Experiment, und es ist weitgehend gescheitert», bilanziert der «Economist».
David Camerons schwerstes Erbe aber ist der Brexit, der britische EU-Austritt. Er hat die Nation zerrüttet und tief gespalten. Zwischen Cameron und Sunak haben die Tories drei Regierungschefs – Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss – «verschlissen». Und die Zuwanderung, das Hauptmotiv für das Ja zum Brexit, hat nicht ab-, sondern zugenommen.
Fairerweise muss man einräumen, dass Cameron das Referendum im Juni 2016 nur auf Druck des rechten Parteiflügels durchgeführt hatte. Er wollte die Debatte um die EU-Mitgliedschaft ein für alle Mal beenden, doch als sich der begnadete Populist Boris Johnson aus reiner Berechnung für den Austritt engagierte, wirkte der Premier hilflos.
Viele, die Johnson damals folgten, empfinden mittlerweile «Buyer’s remorse». In Umfragen sagen konstant gegen 60 Prozent, der Brexit sei ein Fehler gewesen. In einer aktuellen Erhebung verlangt eine relative Mehrheit von 47 Prozent ein neues EU-Referendum in spätestens fünf Jahren. Nur 37 Prozent lehnen dies ab, 16 Prozent sind unentschlossen.
Der Brexit mag einer der Gründe sein, warum Rishi Sunak Cameron zurückgerufen hat. Besonders gut war es für ihn im «Ruhestand» nicht gelaufen. So konnte er kaum lukrative Engagements ergattern. Eines der wenigen stammte ausgerechnet vom australischen Finanzjongleur Lex Greensill, dem auch die Credit Suisse auf den Leim gekrochen war.
Nun hofft David Cameron, als Aussenminister seinen ramponierten Ruf aufpolieren zu können. Mit ihm, Premier Sunak, Innenminister Cleverly und Finanzminister Jeremy Hunt sind die wichtigsten Kabinettsposten mit Vertretern des moderaten Parteiflügels besetzt. Beobachter interpretieren dies als Kurskorrektur in Richtung der politischen Mitte.
Es ist der verzweifelte und wohl hoffnungslose Versuch von Rishi Sunak, eine Niederlage gegen Labour bei den nächsten Wahlen, die spätestens in einem Jahr stattfinden dürften, zu verhindern. Von rechts gibt es bereits Prügel. Einen Tag nach ihrem Rauswurf rechnete Suella Braverman in einem offenen Brief mit dem Premierminister ab.
My letter to the Prime Minister pic.twitter.com/7OBzaZnxr2
— Suella Braverman MP (@SuellaBraverman) November 14, 2023
So warf die Tochter indischstämmiger Einwanderer, die im persönlichen Umgang als durchaus liebenswürdig gilt, Sunak «Wunschdenken» vor, um harte Entscheide zu vermeiden. Er sei entweder unfähig, seine Versprechen zu halten, «oder Sie hatten, wie ich nun unschwer folgern muss, nie die Absicht», heisst es im dreiseitigen Brief.
Mit dieser knallharten Schelte machte Braverman klar, dass sie keinesfalls die Absicht hat, auf den Hinterbänken im Unterhaus zu verschwinden. Vielmehr stellt sie die Weichen, um Sunak nach der wahrscheinlichen Wahlniederlage der Tories als Parteichefin zu beerben. Für einen wie David Cameron wird es mit Sicherheit keinen Platz mehr haben.
Man stelle sich das mal vor, als fortschrittliches europäisches Land auf die Menschenrechte pfeiffen. Für Geld und Macht tun Konservative halt eben alles.
Ein Taumel von einen Irrtum zum Anderen!