Einer der Kardinäle, die in diesen Tagen im fast schon sommerlich warmen Rom über die anstehende Papstwahl debattieren, hatte anscheinend etwas falsch verstanden. Er wohnt wie die meisten Purpurträger im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, das Papst Johannes Paul II. eigens zur Unterbringung der Kardinäle während des Konklaves hatte bauen lassen.
In den Zimmern steht, wie es sich für ein Hotel gehört, für die Gäste ein kleiner Kühlschrank mit allerlei Getränken bereit. Diese Minibar habe ein «ausländischer Kardinal» zusammen mit ein paar anderen Papstwählern unlängst geleert, vor allem die kleinen Likör- und Schnapsfläschchen, berichtete der frühere Vatikandiplomat und Erzbischof Anselmo Guido Pecorari gegenüber dem «Corriere della Sera». Als dem Kardinal anschliessend die Rechnung für die Getränke präsentiert wurde, sei er sauer geworden: «Er hatte gedacht, sie seien gratis», erklärte Pecorari.
Um wen es sich bei dem «ausländischen Kardinal» handelte, wollte der Ex-Diplomat Pecorari natürlich nicht verraten. Bekannt ist dagegen der Name eines anderen Kardinals, dem die Nerven im Hinblick auf das Konklave ebenfalls einen Streich gespielt haben könnten. Er heisst Philippe Nakellentuba Ouédraogo und war früher Erzbischof von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso.
Im Annuario Pontificio, dem in italienischer Sprache erscheinenden Päpstlichen Jahrbuch, war das Geburtsdatum des westafrikanischen Kardinals bis vor kurzem immer mit dem 25. Januar 1945 angegeben. Doch in der jüngsten Ausgabe des Annuario steht als Geburtsdatum plötzlich der 31. Dezember 1945, wie die holländische Tageszeitung «Nederlands Dagblad» entdeckt hat.
Das heisst: Mit dem neuen Geburtsdatum ist Kardinal Ouédraogo erst 79 und darf am Konklave teilnehmen. Mit dem alten wäre er dagegen schon über 80 und damit von der Papstwahl ausgeschlossen gewesen.
Welcher Eintrag der richtige ist, bleibe dahingestellt – auch Vatikansprecher Matteo Bruni wollte sich in dieser Sache nicht auf die Äste hinauslassen. Es ist auch nicht so wichtig, denn Ouédraogo zählt nicht zu den Papabili, und seine Stimme wird im Konklave – hoffentlich – nicht den Ausschlag geben.
Von selber gelöst hat sich dagegen in der Zwischenzeit ein anderes Problem: Der italienische Kardinal Angelo Becciu, dem von Papst Franziskus wegen eines Finanz- und Betrugsskandals alle mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte abgesprochen worden waren und der trotzdem am Konklave teilnehmen wollte, hat inzwischen Einsicht gezeigt: Er werde Papst Franziskus gehorchen und auf eine Teilnahme an der Papstwahl verzichten, obwohl das sein Recht gewesen wäre.
Den Fall Becciu – und erst recht der Fall des Zechpreller-Kardinals und des mutmasslichen Geburtsdatum-Tricksers – kann man getrost als Sturm im Wasserglas bezeichnen. Aber sie sind ein Indiz für die angespannte, beinahe schon fiebrige Stimmung, die unter den Kardinälen wenige Tage vor Beginn des Konklaves herrscht.
Bis zum 1. Mai waren schon 124 der 135 wahlberechtigten Kardinäle in Rom eingetroffen; weitere zwei haben aus gesundheitlichen Gründen ihre Teilnahme abgesagt, womit die Zahl der Papstwähler auf 133 sinkt.
Unbedingt mit dabei sein will der ebenfalls erkrankte bosnische Kardinal Vinko Puljić. Der emeritierte Erzbischof von Sarajevo wird während des Konklaves im Gästehaus Santa Marta bleiben: Bei jedem Wahlgang – also voraussichtlich viermal pro Tag – werden drei andere Kardinäle aus der Sixtinischen Kapelle zu ihm gehen und seinen Stimmzettel abholen. Das ist zwar laut dem Konklave-Reglement Universi Dominici Gregis möglich, könnte die Wahlgänge aber in die Länge ziehen.
Sehr lange wird das Konklave aber ohnehin nicht dauern: Davon sind nicht nur viele Kardinäle, sondern auch die meisten Vatikanexperten überzeugt. Der italienische Kirchenhistoriker Alberto Melloni, der sich intensiv mit den letzten Papstwahlen beschäftigt hat, zeichnet folgendes Szenario: Im ersten Wahlgang schreibt jeder Kardinal seinen Lieblingskandidaten auf den Wahlzettel – dass dabei bereits der Papst gewählt wird, ist angesichts der erforderlichen Zweidrittelmehrheit der Stimmen so gut wie ausgeschlossen: Bei 133 wählenden Kardinälen wären 89 Stimmen nötig.
«Im ersten Wahlgang ist die Zahl der Stimmen nicht entscheidend – Jorge Mario Bergoglio erhielt im Konklave von 2013 zunächst nur 12 Stimmen», betont Melloni. Viel wichtiger sei das Resultat der tatsächlichen oder vermeintlichen Favoriten: Diejenigen, die schlechter abschneiden als prognostiziert, riskieren, gleich aussortiert zu werden.
Am kommenden Mittwoch, also am ersten Tag des Konklaves, findet nur ein Wahlgang statt. Am Donnerstag, Freitag und Samstag sind jeweils vier Wahlgänge vorgesehen. Im zweiten Wahlgang werden die meisten Kardinäle, beeinflusst vom Resultat des ersten, einen Kandidaten wählen, mit dem sie ebenfalls gut leben könnten.
Und schon im dritten Wahlgang könnten sich Blöcke bilden, die über eine Sperrminorität verfügen: Das heisst, es gibt einen oder mehrere Kandidaten, die mindestens einen Drittel aller Stimmen erhalten haben und damit jeden anderen Kandidaten verhindern können.
Laut Melloni ist etwas Ähnliches beim Konklave im Jahr 1978 passiert, als sich zwei italienische Kardinäle gegenseitig blockierten und ein Kompromiss-Kandidat gefunden werden musste: Die Wahl fiel schliesslich auf den damals weitgehend unbekannten Polen Karol Wojtyła, also Papst Johannes Paul II.
Angesichts des Umstands, dass 80 Prozent der wahlberechtigten Kardinäle von Papst Franziskus ernannt worden sind, ist es wenig wahrscheinlich, dass die konservative Fraktion im Konklave einen eigenen Kandidaten wird durchboxen können. Aber dass sie auf eine Sperrminorität kommen, wenn sie sich auf einen schlagkräftigen Frontman einigen können (was bisher nicht der Fall scheint), wird ihnen zugetraut.
Laut Melloni könnte es bereits im dritten oder vierten Wahlgang so weit sein, also schon am zweiten Tag des Konklaves. Weil bei dieser Ausgangslage auch die liberalen und progressiven Kardinäle ihre Favoriten nicht mehr durchsetzen können, wird in der Sixtinischen Kapelle die Stunde der Kompromisskandidaten schlagen.
Genau aus diesem Grund gilt der bisherige Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin als Top-Favorit: Der vatikanische Spitzendiplomat wäre für beide Lager akzeptabel. Aber natürlich gibt es unter den 133 Kardinälen auch noch andere, unbekanntere Namen, mit denen sowohl Konservative als auch Fortschrittliche leben könnten.
Der 5. Wahlgang könnte also bereits der entscheidende sein, glaubt Melloni. Tatsächlich wurde Jorge Mario Bergoglio ebenfalls im fünften Urnengang zum Papst gewählt. Möglicherweise wird die Suche nach einem Kompromisskandidaten aber auch etwas länger dauern, aber seit der Wahl von Johannes Paul II. waren nie mehr als acht Wahlgänge erforderlich, bis weisser Rauch aus dem Kamin über der Sixtinischen Kapelle aufstieg.