In den russischen Staatsmedien wird seit Beginn des Einmarschs in die Ukraine Gift und Galle gegen den Westen gespuckt. Wladimir Putins Oberhetzer Wladimir Solowjow droht in seiner Talkshow auf dem Sender «Russiya1» auch mal mit der atomaren Vernichtung von Berlin oder London. Eine Gruppierung im Westen aber wird sehr wohlwollend begleitet.
Es sind jene Menschen, die Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Krieges fordern und die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine anprangern. Am Samstag trafen sie sich am Brandenburger Tor in Berlin zu einer Kundgebung. Dazu aufgerufen hatten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die ein «Manifest für den Frieden» verfasst hatten.
Im Internet wurde es von rund 700’000 Personen unterzeichnet. Dies zeigt, dass die Initiantinnen in der deutschen Bevölkerung einen Nerv treffen. Keine oder nur eine marginale Rolle spielt, was die von Russland überfallenen Ukrainerinnen und Ukrainer von diesen Forderungen halten. Ihnen soll ein Waffenstillstand faktisch diktiert werden.
Umso mehr freut man sich in Russland über die deutschen «Friedensfreunde». «Das Manifest wird sehr, sehr genau wahrgenommen, und darüber wird breit berichtet. Sahra Wagenknecht ist sehr bekannt und erfreut sich einer gewissen Beliebtheit in Russland», sagte Michael Thumann, der Moskau-Korrespondent der «Zeit», bei «Markus Lanz» im ZDF.
«Sahra Wagenknecht ist die Lieblingspolitikerin der Putin-Propagandisten», erklärte die Journalistin Marina Owsjannikowa der «Bild»-Zeitung. Sie hatte jahrelang für das russische Staatsfernsehen gearbeitet und im letzten März mit einem mutigen Anti-Kriegs-Protest weltweit für Aufsehen gesorgt. Seit einer abenteuerlichen Flucht lebt sie in Frankreich.
Owsjannikowa behauptet sogar, Wagenknecht werde von Russland bezahlt. Beweise kann sie nicht vorlegen. Die umstrittene Linke-Politikerin weist solche Vorwürfe vehement zurück. Sie betonte gegenüber «Bild», Wladimir Putin habe «einen grausamen Krieg begonnen». In den russischen Propaganda-Medien wird sie dennoch abgefeiert.
Auf RT.de etwa wird die als «Aufstand für den Frieden» bezeichnete Kundgebung in Berlin bejubelt. Kritiklos übernommen wurde die von den Veranstaltern genannte Zahl von 50’000 Teilnehmenden (nach Angaben der Polizei waren es etwa 13’000). Zitiert wird die Aussage von Wagenknecht, es handle sich um «den Beginn einer neuen Friedensbewegung».
Die propagandistische Schützenhilfe aus Moskau hat einen durchschaubaren Grund. Wladimir Putin scheint in der Ukraine auf einen Zermürbungskrieg zu setzen – und auf eine zunehmende Kriegsmüdigkeit im Westen. Der Kreml-Herrscher hofft, die Menschen würden ihre Regierungen zu einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine drängen.
Speziell im Visier ist Deutschland, und das nicht nur wegen seines Gewichts in Europa. Die «neue Friedensbewegung» ist dort besonders aktiv. Dabei geht es nicht nur um die Abhängigkeit von russischem Gas. Interessant ist ein Blick auf die Erstunterzeichner des Manifests von Wagenknecht/Schwarzer. Darunter befinden sich illustre Namen.
So etwa der Journalist Franz Alt, der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die Theologin Margot Kässmann oder die Schauspielerinnen Hanna Schygulla, Jutta Speidel und Katharina Thalbach. Ihnen ist gemeinsam, dass sie einer Generation angehören, die aus drei Gründen empfänglich ist für Forderungen nach einer friedlichen Koexistenz mit Russland:
Mit ihr spielen die russischen Hetzer gerne. Auch an der Kundgebung in Berlin waren Parolen gegen einen Atomkrieg zu sehen und zu vernehmen. Sie fallen besonders bei jenen auf fruchtbaren Boden, die den Kalten Krieg erlebt hatten. Es erstaunt nicht, dass die meisten Erstunterzeichner und viele Teilnehmer in Berlin zur älteren Generation gehören.
Ähnliches erlebt man in der Schweiz, wenn auch in kleinerem Format. Am Samstag fand in Zürich ebenfalls eine Demonstration für den Frieden statt oder eher ein Demonstratiönchen. Zu den Organisatoren gehörte die Schweizerische Friedensbewegung (SFB). Sie war schon im Kalten Krieg durch eine unkritische Haltung gegenüber der Sowjetunion aufgefallen.
Aus ihren Reihen stammte etwa der Aufruf für «ein atomwaffenfreies Europa von Polen bis Portugal». Die nuklear bestückten SS-20-Mittelstreckenraketen, die auf russischem Gebiet stationiert waren und Richtung Europa zielten, wurden «grosszügig» ausgeblendet. Nun spielen die Friedensbewegten als «Putin-Versteher» erneut auf dieser Klaviatur.
Den Kontrast bildete damals der breiter aufgestellte und «unideologischere» Friedensrat. Sein langjähriger Aktivist Peter Weishaupt sagte im «CH Media»-Interview, was er von den heutigen «Friedensfreunden» hält: «Es ist unglaublich zynisch, wie Figuren wie Sahra Wagenknecht oder auch Roger Köppel den Begriff Pazifismus missbrauchen.»
Ähnlich heftig waren die Reaktionen in Deutschland. Vizekanzler Robert Habeck, dessen Grüne lange pazifistisch gesinnt waren, bezeichnete die Forderungen von Wagenknecht und Schwarzer als «politische Irreführung der Bevölkerung». Für ihn und andere zielen sie nicht auf einen Frieden ab, sondern auf eine Kapitulation der Ukraine.
Darauf spekulieren auch die Propagandisten des Kreml. Die «Friedensfreunde» in Deutschland und anderswo sind deshalb in erster Linie Putins nützliche Idioten.