Auch das noch! Das sagten sich sehr viele in Deutschland, als am Mittwochabend die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP auseinanderbrach. Die Eskalation im Berliner Regierungsviertel platzte mitten in die Sondersendungen zum Wahlsieg von Donald Trump in den USA und brachte die Programmplaner der Fernsehanstalten gehörig ins Rotieren.
Erst meldete die «Bild»-Zeitung, dass FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Koalitionsausschuss Neuwahlen gefordert hatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte ab und warf Lindner kurzerhand aus der Regierung. Bei getrennten Medienauftritten deckten sich die beiden mit Vorwürfen ein. Und die Grünen schauten dem Treiben verdattert zu.
Klar ist derzeit nur: Bei der Ampel sind nach drei Jahren die Lichter ausgegangen. Und kaum jemand bedauert es. «Gut, dass es vorbei ist», titelte selbst der «Spiegel», der die «Fortschrittskoalition» anfangs begrüsst und lange verteidigt hatte. Gleichzeitig ist allen klar, dass der Zeitpunkt angesichts der Unsicherheit durch die Trump-Wahl suboptimal ist.
Allerdings hatte sich das Aus in den letzten Tagen angebahnt. Es begann mit einem Papier von Christian Lindner mit finanz- und wirtschaftspolitischen Forderungen, die für SPD und Grüne inakzeptabel waren. Es war als «vertraulich» deklariert und gelangte trotzdem an die Medien. Von welcher Seite ist unklar, aber die damit verbundene Absicht ist offensichtlich.
Der Koalitionsbruch sollte provoziert werden. Nun wird es zu Neuwahlen kommen. Scholz will bis Ende Jahr wichtige Gesetze beschliessen und den Bundestag im März 2025 wählen lassen, wie er am Mittwoch erklärte. Doch dabei kann er höchstens auf die Grünen zählen. Alle anderen Parteien fordern eine rasche Vertrauensfrage im Bundestag.
«Es gibt überhaupt keinen Grund, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen», sagte CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Donnerstagmorgen. Er will Neuwahlen schon im Januar 2025. Letztmals gab es ein solches Szenario 1987. Niemand, der alt genug ist, erinnert sich gerne an den damaligen Winterwahlkampf, der eine ziemlich freudlose Sache war.
Das Timing von Merz macht trotzdem Sinn, denn die Bundestagswahl würde praktisch gleichzeitig mit Donald Trumps Vereidigung in den USA stattfinden. Es wäre wichtig, dass in Deutschland rasch klare Verhältnisse herrschen. Das ist schwierig genug angesichts der fragmentierten Parteienlandschaft mit diversen Unverträglichkeiten.
Mit seinem kämpferischen Auftritt am Mittwochabend dürfte Olaf Scholz die Zweifel an seinen Führungsqualitäten vorerst gedämpft haben. Er werde erneut als Kanzlerkandidat antreten, sagte die Co-Vorsitzende Saskia Esken am Donnerstag auf RTL. Doch Scholz hat ein Problem: Verteidigungsminister Boris Pistorius ist in der Bevölkerung weitaus beliebter.
Im ARD-Deutschlandtrend kommt der joviale und zupackende Niedersachse als einziger deutscher Spitzenpolitiker auf eine Zustimmung von über 50 Prozent. Je nach Entwicklung der Umfragewerte könnte dies der SPD zu denken geben. Scholz blieb am Donnerstag vorerst hart, doch er könnte noch froh sein, wenn schon im Januar gewählt wird.
Zwischen den «giftigen» Auftritten von Olaf Scholz und Christian Lindner traten Robert Habeck und Annalena Baerbock vor die Medien. Das Führungsduo der Grünen gab sich fast schon aufreizend staatstragend. Auch hier warf der Wahlkampf seine Schatten voraus: Die Grünen, die für viele ein Hassobjekt sind, zeigen sich verantwortungsbewusst.
Ihr Vorteil ist, dass sie über eine stabile Stammwählerschaft verfügen. Bei Neuwahlen müssen sie mit Verlusten rechnen, doch ihr Verbleib im Bundestag ist ungefährdet. Je nach Ausgang wollen sie sich als Koalitionspartner empfehlen, auch den Unionsparteien, obwohl CSU-Chef Markus Söder sein Veto gegen eine schwarz-grüne Regierung angedroht hat.
Weitaus schwieriger ist die Lage für Christian Lindner. Im ARD-Deutschlandtrend kommt die FDP auf vier Prozent, womit sie den Einzug in den Bundestag verpassen würde. Das gleiche Schicksal erlitt sie nach der letzten Regierungsbeteiligung mit CDU/CSU bei den Wahlen 2013. Lindner musste als Retter in der Not einspringen, das will er nicht nochmals erleben.
Lange wehrte er sich gegen jene Exponenten bei den Liberalen, die den Koalitionsbruch forderten. Sie gehen davon aus, dass das deutsche Wahlvolk dies honorieren wird. Ob die Rechnung aufgeht, ist fraglich. Olaf Scholz ist es am Mittwoch auf nicht ungeschickte Weise gelungen, Christian Lindner die Rolle des Sündenbocks in die Schuhe zu schieben.
Die in Teilen rechtsextreme Partei strotzt nach den Wahlerfolgen in den drei ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen vor Selbstvertrauen. Über den Wahlsieg von Donald Trump zeigten sich Co-Chefin Alice Weidel und der «heimliche» Chef Björn Höcke erfreut. Doch der Jubel könnte der AfD im Hals stecken bleiben.
Nicht das woke Hollywood hat diese Wahl entschieden, sondern die arbeitende amerikanische Bevölkerung. Dem neuen Präsidenten @realdonaldtrump wünsche ich Glück und Gottes Segen. #Trump #ElectionDay #USAElections2024 pic.twitter.com/Ra5KaUYG3U
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) November 6, 2024
Die von Trump angedrohten Strafzölle dürften Deutschland hart treffen. Sie würden in der ohnehin angeschlagenen deutschen Wirtschaft einen Schaden von 33 Milliarden Euro verursachen, hat das Wirtschaftsinstitut ifo errechnet. Das wird weite Teile der AfD-Wählerschaft nicht kümmern, trotzdem könnte die Partei bei Neuwahlen darunter leiden.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) war die zweite Siegerin der Wahlen im Osten. Doch nun gibt es intern Streit um eine Regierungsbeteiligung. So sind ebenfalls am Mittwoch in Sachsen die Sondierungsgespräche für eine «Brombeer-Koalition» mit CDU und SPD gescheitert. Ein Streitpunkt war einmal mehr der Frieden mit Russland.
Parteigründerin Wagenknecht ist in dieser Frage – und bei der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland – knallhart, während Exponenten wie die Thüringer Parteichefin Katja Wolf kompromissbereiter sind. Unter diesem Konflikt leidet das Image. Im ARD-Deutschlandtrend liegt das BSW nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Hürde.
Die Unionsparteien können sich zurücklehnen. In den Umfragen liegen sie mit deutlichem Abstand an der Spitze. Alles läuft für sie und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Er profitiert nicht nur von den Streitereien unter und innerhalb der Konkurrenz. Seine Wirtschaftskompetenz könnte ihm in der aktuellen schwierigen Lage ebenfalls zugutekommen.
Ein Problem für Merz bleibt seine geringe Beliebtheit. Auch traut gemäss den Umfragen eine Mehrheit der Deutschen einer unionsgeführten Regierung nicht zu, die Probleme des Landes besser lösen zu können. Und trotzdem: Wenn es einen Profiteur des Ampel-Chaos gibt, dann ist es Friedrich Merz. Die Tore zum Berliner Kanzleramt stehen für ihn weit offen.
CDU/CSU müsste eigentlich erstmal beweisen, dass sie nicht die gleichen Fehler machen wie unter Merkel.
Wir nähern uns mit riesigen Schritten einem neuen dunklen Zeitalter.