Antony Blinken bemühte sich, den Misserfolg seiner jüngsten Nahost-Reise zu beschönigen. Man arbeite «sehr entschlossen» daran, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen, sagte der US-Aussenminister am Montag in Ankara, bevor er zum Treffen der G7-Aussenminister in Tokio abflog. Man werde «in den nächsten Tagen» eine signifikante Zunahme erleben.
Gleichzeitig musste Blinken einräumen, dass er auf seiner viertägigen Reise wenig bis nichts erreicht hatte. Die Abwesenheit von negativen Ereignissen sei «nicht unbedingt der beste Beweis für Fortschritt», erklärte er mit einer verschraubten Formulierung. Nun aber sei dies der Fall, meinte der Chefdiplomat der vermeintlichen Weltmacht USA.
Mit anderen Worten: Blinken war heilfroh, dass während seiner Reise eine grössere Eskalation ausgeblieben war. Man kann dies unschwer als Anspielung auf die Israel-Reise von Präsident Joe Biden interpretieren, die durch die mysteriöse Explosion bei einem Spital im Gazastreifen überschattet wurde, die heftige Proteste in islamischen Ländern auslöste.
Ein geplantes Treffen von Biden mit drei arabischen Machthabern wurde kurzfristig abgesagt. Eigentlich wollte der Präsident damit zeigen, dass er nicht einseitig für Israel Partei ergreift. Jetzt jedoch, genau einen Monat nach dem grausamen Terrorangriff der Hamas auf Israel, sitzen die Amerikaner in Nahost faktisch zwischen Stuhl und Bank.
Sie bemühen sich, mässigend auf Israel einzuwirken – mit wenig Erfolg. Noch immer ist die Versorgung der zwischen die Fronten geratenen Zivilbevölkerung in Gaza mit Hilfsgütern ungenügend. Einen eigentlichen Waffenstillstand lehnen die USA ab, weil er nur der Hamas nützen würde. Doch sie fordern von Israel zumindest «humanitäre Feuerpausen».
In diesem Punkt allerdings kassierte Antony Blinken gleich zu Beginn der Reise am letzten Freitag beim Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine brüske Abfuhr. Man lehne jede temporäre Feuerpause ab, solange die Hamas keine der mehr als 200 festgehaltenen israelischen Geiseln freilasse, sagte Netanjahu.
Einmal mehr musste Blinken zur Kenntnis nehmen, wie wenig Einfluss die USA auf Israel haben. Dabei finanzieren sie einen grossen Teil des israelischen Sicherheitsapparats. Mehrere US-Präsidenten waren in der jüngeren Geschichte beim Versuch gescheitert, den Friedensprozess mit den Palästinensern voranzubringen. Was nicht nur an Letzteren lag.
Am Sonntag wurde Blinken bei seinem überraschenden Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah daran erinnert. Abbas äusserte dabei die Bereitschaft, «volle Verantwortung» für den Gazastreifen zu übernehmen, aber nur als Teil eines «Pakets» mit einer umfassenden politischen Lösung auch für das Westjordanland und Ost-Jerusalem.
Eine solche aber ist zunehmend unmöglich geworden. Benjamin Netanjahu wird nicht zu Unrecht vorgeworfen, die Hamas toleriert zu haben, um die Autonomiebehörde gezielt zu schwächen und einen Palästinenserstaat zu verhindern. Gleichzeitig kommt es in der Westbank immer häufiger zu brutalen Übergriffen von rechtsradikalen Siedlern.
Oft schaut die israelische Armee dabei nur zu. Antony Blinken hat diese Gewaltakte scharf verurteilt, doch die Araber betrachten die USA nicht länger als ehrlichen Makler. Das zeigte sich am Samstag beim Treffen mit dem ägyptischen und dem jordanischen Aussenminister in Amman. An einer Medienkonferenz wurde Blinken mit bitteren Vorwürfen konfrontiert.
Israel dürfte nicht länger «Immunität» geniessen, wenn es Kriegsverbrechen begehe, sagte sein jordanischer Amtskollege Aiman Safadi: Der Krieg drohe alles zu untergraben, «was für einen gerechten Frieden in der Region getan wurde». Mit jedem toten Kind in Gaza versinke die Region tiefer in einem «Meer des Hasses», das Generationen prägen werde.
Blinken räumte ein, man habe «unterschiedliche Ansichten» über den Weg zu einem dauerhaften Frieden. Eine gewisse Einigkeit besteht allenfalls bei den Bestrebungen, den Einfluss des schiitischen Iran zurückzudrängen. Dieser gilt als wichtigster «Sponsor» der Hamas. Manche betrachten Teheran als eigentlichen Drahtzieher des Terrors vom 7. Oktober.
Iran stand auch im Zentrum von Antony Blinkens Überraschungsbesuch am Sonntag im Irak. Er steht wie kein anderes Land für den Hang der USA zur Selbstüberschätzung. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 glaubten die «Neocons», im Irak eine prowestliche und proisraelische Musterdemokratie errichten zu können.
Gekommen ist es bekanntlich ganz anders. Seit dem Irak-Krieg ist das notorisch instabile Zweistromland zunehmend unter iranischen Einfluss geraten. Als der US-Aussenminister in Bagdad landete, trug er bezeichnenderweise eine Schutzweste. Er warnte die proiranischen Milizen im Irak vor Übergriffen auf die rund 2500 verbliebenen US-Soldaten.
Um Iran abzuschrecken, schickten die USA neben den zwei Flugzeugträgern ein atomar betriebenes U-Boot in die Region. Die ernüchternden bis traumatischen Erfahrungen der USA in Afghanistan und Irak waren der Grund, warum Joe Biden die Israelis ermahnte, nicht «die gleichen Fehler» zu begehen wie Amerika nach dem Terror vom 11. September 2001.
Faktisch meinte Biden damit, Israel brauche bei seinem Krieg in Gaza eine «Exit-Strategie», einen Plan für die Zeit danach. Benjamin Netanjahu sagte am Montag dem US-Sender ABC auf eine entsprechende Frage, Israel werde «für unbestimmte Zeit» die Verantwortung für die Sicherheit im Gazastreifen behalten. Man habe erlebt, was andernfalls geschehen könne.
Die Meinungen dazu gehen allerdings auch in Israel auseinander. Man könnte Netanjahus Aussage auch als Versuch betrachten, einen von den USA, den Arabern und eventuell den Europäern erarbeiteten Friedensplan zu torpedieren, der Israel aufgezwungen werden und letztlich zur Gründung eines Palästinenserstaates führen könnte, den Netanjahu nicht will.
Ein Friedensplan wäre eine Möglichkeit für die USA, Einfluss auf das Geschehen in der Region auszuüben. Bislang aber zeigt sich nur die Machtlosigkeit der vermeintlichen Supermacht. So auch in der Türkei, Blinkens letzter Station. Sie ist Mitglied der Nato, doch Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte dem US-Aussenminister die kalte Schulter.