Wer immer noch Zweifel hatte, dem hat es US-Präsident Donald Trump nun wohl endgültig klargemacht: Amerika steht auf der Seite Russlands und will die Ukraine entweder vernichten oder zu einem Diktatfrieden zwingen. Washington stellt die vorläufige Einstellung der Waffenhilfe an Kiew wenig verklausuliert als Erpressungsmanöver dar: Die Ukraine soll Trumps nebulösen Friedensplan annehmen – oder untergehen.
Sobald der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Frieden mit Russland schliesse, dann könne die Hilfe ja wieder aufgenommen werden, meint Trump. Nur macht er da einen Denkfehler: Wozu würde Kiew denn noch Waffen brauchen, wenn es Putins Vorstellungen eines Friedhoffriedens annehmen und sich dem russischen Imperium einfach unterwerfen wollte?
Eines sollte den Europäern klar sein: Wenn die Ukraine den Krieg verliert oder gegenüber Moskau kapituliert, wird das schwerwiegende Folgen haben. Natürlich wollen uns die rechts- und linksextremen Putin-Huldiger weismachen, dass Moskau seine Truppen dann zurückruft und wieder Ruhe einkehrt. Das genaue Gegenteil dürfte der Fall sein: Wer ungestraft neue Landesgrenzen ziehen kann, wird sich kaum mit dem ersten Happen begnügen, sondern sich nach weiteren Expansionsmöglichkeiten umsehen. Das wäre das Rezept für einen grossen Krieg in Europa.
Doch nehmen wir einmal an, dass Putin-Schleimer wie der «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel recht haben und sich Putin mit einer nach weissrussischem Muster umgebauten Ukraine zufriedengibt. Was wird dann passieren? Viele der mehr als 30 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer – vor allem die junge Generation – wird nicht in einem russischen Vasallenstaat leben wollen.
Die Folge wäre eine Fluchtwelle mit Millionen von Ukrainern, die ihr Glück weiter westlich suchen würden. Die meisten dieser Menschen würden sich in Europa niederlassen. Und anders als die bisherigen Flüchtlinge aus der Ukraine – zum grossen Teil Frauen und Kinder – wären dann auch viele ehemalige Soldaten dabei – traumatisierte, frustrierte und hasserfüllte Männer mit Gewalterfahrung. Eine solche Migration könnte Europa politisch aus den Angeln heben.
Bei den nächsten Bundestagswahlen 2029 würde die AfD wahrscheinlich die absolute Mehrheit erreichen, und Putin hätte sein Ziel erreicht, Europas Wirtschaftsmotor Deutschland unter die Kontrolle seiner Stiefellecker zu bringen.
Doch zurück zur amerikanischen Waffenhilfe: Dass die öffentlich genannten Zahlen zum Geldwert dieser Unterstützung weit auseinanderklaffen, hat auch damit zu tun, dass in den von Washington genannten Werten grosse Beträge enthalten waren, die direkt der US-Armee zugutekamen. Ausgemusterte Waffen wurden in die Ukraine geliefert und dafür moderne Systeme für die eigenen Soldaten angeschafft. Die dafür aufgewendeten Steuergelder wurden aber der Hilfe an die Ukraine zugerechnet. In Tat und Wahrheit ist der Wert aller ausgelieferten Waffen aus den USA kleiner.
Wohl am nächsten bei der Wahrheit liegt die Statistik des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Demnach hat Europa insgesamt viel mehr Hilfe geleistet als die USA. Beim Teilbereich der Militärhilfe sieht es aber anders aus: Bis Ende 2024 hat Washington umgerechnet für 64 Milliarden Euro Waffen geliefert, während die Europäer plus Kanada und Australien ungefähr auf denselben Wert kommen.
Ein totaler Ausfall der amerikanischen Unterstützung würde die Waffenhilfe an die Ukrainer also zunächst einmal halbieren. Die Folge für die Ukraine wäre gravierend, und Putin der lachende Dritte. Der Blick auf die Vergangenheit lässt aber wichtige Punkte ausser Acht: Mehr als die Hälfte der getöteten russischen Soldaten, zerstörten Panzer und Fahrzeuge entfällt inzwischen auf ukrainische Kampfdrohnen, die alle in der Ukraine selbst produziert werden.
Am schnellsten bemerkbar wird die ausbleibende Hilfe aus den USA sich wahrscheinlich bei der Luftverteidigung machen: Russische Raketen und Marschflugkörper werden den Schirm der Verteidiger leichter durchdringen und in den grossen Städten mehr Schaden anrichten als bisher.
Wenn zudem keine weitreichenden ATACMS-Raketen aus den USA mehr ankommen, müssen die Ukrainer diese durch europäische Lenkwaffen oder durch eigene Kampfdrohnen mit grosser Reichweite zu ersetzen versuchen. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel die Frage wichtig, ob Deutschlands nächster Bundeskanzler Kiew doch noch Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung stellt.
Es gibt bereits Anzeichen, dass die Europäer ihre Militärhilfe verstärken. Dabei müssen sie nicht nur auf die eigene Rüstungsindustrie zurückgreifen, sondern können auch Munition und Systeme aus Staaten wie Südkorea importieren. Es könnte zu einer Koalition der willigen Demokratien inner- und ausserhalb Europas kommen. Doch auch dann wird es kaum gelingen, die amerikanische Waffenhilfe ganz zu ersetzen. Es kommen also schwierige Zeiten auf die Ukraine zu.
Allerdings wollte schon Putin der Ukraine diesen Winter den Stecker ziehen, indem er rund die Hälfte der ukrainischen Kapazität zur Stromproduktion zerstören liess. Dennoch kam das Land ohne lang anhaltende Strom- und Heizungsausfälle durch den Winter.
Es war schon am 24. Februar 2022 ein grosser Fehler fast aller Beobachter, den Kampfwillen und die Kreativität der Ukrainer zu unterschätzen. Vernünftig wäre es, den Worten von Polens Ministerpräsident Tusk Gehör zu schenken: Warum sollten sich 500 Millionen Europäer auf die Hilfe von 300 Millionen Amerikanern verlassen, um ihre Freiheit gegen 140 Millionen Russen zu behaupten?