Die beste Nachricht gab es am frühen Montagmorgen: Neben der FDP hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) den Einzug in den Deutschen Bundestag um Haaresbreite verpasst. So lautet zumindest das vorläufige amtliche Endergebnis. Die Parteigründerin zweifelt diesen Befund nicht unerwartet an. Es dürfte ein juristisches Nachspiel geben.
Doch während man im Fall der Liberalen ein gewisses Bedauern empfindet, ist das BSW mit seinem Mix aus Links- und Rechtspopulismus kein Gewinn für die deutsche Politik. Bleibt es beim Ergebnis, herrschen halbwegs klare Verhältnisse. Eine Regierung aus CDU/CSU und SPD mit Bundeskanzler Friedrich Merz hätte im Bundestag eine knappe Mehrheit.
Noch ist nichts in Stein gemeisselt, doch die nicht mehr allzu grosse Koalition ist im Merkel-Jargon quasi alternativlos. Denn die Alternative für Deutschland ist keine. Niemand will mit der AfD ins Lotterbett. Ihr Wahlresultat entsprach ziemlich exakt den Umfragen, was die Mär widerlegt, Rechtswähler würden Meinungsforschern ihre wahre Absicht verschleiern.
Dennoch hat die AfD ihr Ergebnis gegenüber 2021 verdoppelt, was den anderen Parteien zu denken geben muss. Friedrich Merz will, dass die Regierung bis Ostern steht. Das ist notwendig. Deutschland kann es sich nicht leisten, wie früher Monate in Koalitionsverträge zu investieren. Trotzdem muss auch Zeit für eine kritische Aufarbeitung bleiben.
Die Umfragen zeigten es deutlich: Das deutsche Wahlvolk war mit dem Spitzenpersonal, das ihnen die vier grössten Parteien anboten, nicht zufrieden. Am besten schnitt Friedrich Merz ab, doch der Eindruck, den ich bei seinem Vortrag an der Universität Zürich im letzten Jahr von ihm bekam, täuschte nicht: Der Zwei-Meter-Mann entfacht kein Feuer der Begeisterung.
Das Ergebnis der Union von unter 30 Prozent dürfte ihm angekreidet werden. Zumal die CSU von Markus Söder in Bayern ein sehr gutes Resultat erzielte. Das stärkt auch seine Position. Söder hat eine Regierungsbeteiligung der Grünen im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Immerhin dürfte dieser Kelch nun an Merz vorbeigehen.
Umso härter hat es die SPD getroffen, die das schlechteste Ergebnis bei einer landesweiten Wahl in ihrer ruhmreichen Geschichte erzielte. Das lag in erster Linie an Olaf Scholz, der stur an seiner Kanzlerkandidatur festhielt, obwohl Co-Parteichef Lars Klingbeil offensichtlich versuchte, ihn durch den viel beliebteren Boris Pistorius zu ersetzen.
Kein Glück hatten die Grünen mit Kanzlerkandidat Robert Habeck, auch wenn sie den Schaden in Grenzen halten konnte. Er verzeichnete die besten Sympathiewerte der vier Spitzenkandidaten, doch ihm wurden Flops der Ampel-Regierung angekreidet. Es ist keine glaubwürdige Klimapolitik, AKWs abzuschalten und Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen.
AfD-Kandidatin Alice Weidel kann mit dem Ergebnis ihrer Partei zufrieden sein, obwohl sich einige mehr erhofft hatten. Sie bemühte sich um einen moderaten Auftritt im Wahlkampf, was nur bedingt gelang. Und mit ihrer Zwei-Mütter-plus-Kinder-Familie und dem Schweizer Wohnsitz bleibt Weidel angreifbar, nicht zuletzt in der eigenen Partei.
Von der Schwäche der grossen Parteien profitierte niemand mehr als Heidi Reichinnek. Bis vor wenigen Wochen kannte kaum jemand die 36-jährige Spitzenkandidatin der Linken. Jetzt ist sie ein Idol für jüngere Wählerinnen und Wähler. Während der Stern von Sahra Wagenknecht zu verblassen scheint. Von Christian Lindner (FDP) ganz zu schweigen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Eine schwarz-rote Regierung ist die einzige sinnvolle Option, solange die AfD nicht regierungsfähig ist. Der Einbezug der Grünen in eine «Kenia-Koalition» hätte eine stabilere Mehrheit, doch sie würde zusätzliche Reibungsverluste erzeugen. Auch Union und SPD haben Differenzen, aber die können überwunden werden.
So dürften die Sozialdemokraten einer härteren Migrationspolitik zustimmen, wenn Merz bei der Schuldenbremse Konzessionen macht. Der nötige Modernisierungsschub sollte beiden Parteien klar sein, denn die Bundesrepublik leidet unter Strukturschwächen, nicht nur bei maroden Brücken und Geleisen, dem löchrigen Mobilfunknetz oder baufälligen Schulen.
Entscheidend bei der SPD ist, ob Boris Pistorius Vizekanzler in der neuen Regierung wird (Lars Klingbeil will offenbar Fraktionschef werden). Der Verteidigungsminister ist mit seinem positiven Image ein Lichtblick für die Partei. An der Münchner Sicherheitskonferenz zeigte er klare Kante gegen Russland und die USA. Seinem Auftritt wurde Kanzlerformat attestiert.
Einen weiteren Lichtblick für die gebeutelte SPD dürfte es schon am nächsten Sonntag geben. Sie wird gemäss den Umfragen die Bürgerschaftswahl in Hamburg klar gewinnen. Die Hansestadt dürfte damit weiterhin rot-grün regiert werden. Das muss wenig bedeuten, weil es sich um ein städtisches Bundesland handelt, und kann doch neuen Mut geben.
Was bedeutet der Wahlausgang für die Schweiz? Friedrich Merz kennt sie ziemlich gut. Der Wirtschaftsanwalt sass im Verwaltungsrat von Stadler Rail und trat wiederholt bei Anlässen auf. Er dürfte für die Schweiz mehr Sympathie haben als Angela Merkel und Olaf Scholz, die unser Land in ihrer Amtszeit weitgehend ignoriert hatten. Viel darf man aber nicht erwarten.
Denn Merz will ein starkes Europa, er markierte am Wahlabend Distanz zu Donald Trumps USA. Das könnte eine Rolle spielen in der Debatte um die neuen Verträge mit der EU, eine Annäherung an die NATO oder die Haltung der Schweiz gegenüber der Ukraine. Auf Nachsicht von Bundeskanzler Merz in diesen Fragen sollte man besser nicht hoffen.
Das Einzige, was man bei der FDP bedauern sollte: Dass diese Partei, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmal einen hohen Stellenwert hatte, stets eine gewichtige Stimme für Bürgerrechte war und eine ganze Riege grosser Staatsmänner hervorbrachte, seit den 90er geistig & inhaltlich so abgewirtschaftet hat, dass davon (analog wie in der CH) heute nur noch eine kleingeistige Witzfiguren-Partei für Besserverdienende übrig ist. Das muss man bedauern. Aber das Ausscheiden aus dem Bundestag? Nö. Das ist 100%ig verdient.
So beginnt also eine Analyse. Neutral, sachlich, wertfrei. Wie das Analysen eben so an sich haben.