Die ganze Welt blickt in diesen Tagen nach New York. Dort findet momentan die Uno-Generalversammlung statt. Die Vorzeichen sind dieses Jahr speziell: Die Coronavirus-Pandemie gibt nach wie vor massgeblich den Takt vor.
Bei der Uno gilt das sogenannte «Ehrensystem». Jeder, der das Gebäude der Vereinten Nationen betritt, bestätigt damit etwa, dass er in den vergangenen zehn Tagen nicht positiv getestet wurde. Die Gastgeber-Stadt New York ist sogar noch konsequenter. Wer nicht mindestens eine Spritze bekommen hat, darf nicht in einem Restaurant essen gehen.
Deshalb gab es bereits im Vorfeld Diskussionen darüber, wie sich Jair Bolsonaro wohl verhalten würde. Der rechtsradikale Staatschef sagt, dass er sich noch nicht hat impfen lassen. Der brasilianische Präsident fiel in der Vergangenheit immer wieder damit auf, wie er das Virus verharmloste. Er behauptete auch, dass er «als letzter Brasilianer geimpft» werden möchte.
Im Big Apple kam dies gar nicht gut an: New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio schickte im Vorfeld der Generalversammlung eine Botschaft an Bolsonaro: «Man muss sich impfen lassen, wenn man hierherkommen will.» Man wolle sicher sein, wenn man zusammenkomme.
Doch de Blasios Appell blieb wenig überraschend ungehört – die Gäste aus Brasilien hielten sich nicht an die Regeln. Zwar erhielt Bolsonaro auch ohne eine Impfung Zutritt zum Uno-Gebäude, aber für ein Abendessen im Restaurant reichte es nicht. Dies legt zumindest ein Foto nahe, das ein Mitglied der brasilianischen Delegation auf Instagram veröffentlichte.
Auf dem Bild ist zu sehen, wie Bolsonaro und seine Entourage ihr Abendessen auf dem Trottoir verdrücken müssen. Mutmasslich wegen der fehlenden Impfung.
Zugegeben, eine Pizza im Freien ist noch keine Blamage. Zudem ist auch nicht belegt, ob den Brasilianern der Zutritt verweigert wurde. Bolsonaro-Anhänger sahen im Trottoir-Dinner denn auch den Beweis für die Bodenständigkeit des Präsidenten. Und schliesslich wurde Alain Berset 2018 auch dafür abgefeiert, als er in New York auf einem Randstein seine Akten studierte.
Doch der Auftritt der Gruppe um Bolsonaro avancierte in den kommenden Stunden immer mehr zum Debakel.
Tags darauf wurde die Delegation vom brasilianischen Uno-Repräsentanten in New Yorks Upper East Side empfangen. Dort versammelten sich mehrere Personen, die gegen Bolsonaro demonstrierten. Die aufgebrachte Menge skandierte «Mörder» und «Genozid». Vorwürfe, die sich der Präsident unter anderem auch deswegen anhören muss, weil Brasilien bisher sehr viele Corona-Tote zu beklagen hat. Das Land beklagt bereits über eine halbe Million Opfer.
Der brasilianische Gesundheitsminister, Marcelo Queiroga, gab sich gegenüber den Protestierenden alles andere als staatsmännisch. Als der Bus mit der Delegation losfuhr, erhob sich Queiroga aufgebracht und bückte sich zum Fenster. Dort zeigte er der Menge energisch den Mittelfinger, wie in einem Video zu sehen ist. Getroffene Hunde bellen – oder wie ging das nochmal?
Esse vídeo do Ministro da Saúde mostrando o dedo para os manifestantes em NYC… pic.twitter.com/AXyJZdEhza
— Raquel Krähenbühl (@Rkrahenbuhl) September 21, 2021
Doch nicht nur der Mittelfinger des Gesundheitsministers gibt zu reden. Bei genauem Hinschauen sieht man, dass auch der Aussenminister, Carlos Alberto França, eine Geste zu den Demonstrierenden macht. Zahlreiche Twitter-User monieren nun, dass der Aussenminister das Zeichen für eine Schusswaffe gemacht und damit auf die Demonstrierenden gezielt hat. Tatsächlich lassen die Videobilder kaum einen anderen Schluss zu.
🤬 No vídeo do Ministro da Saúde fazendo gestos obscenos, temos também o Ministro de Estado das Relações Exteriores do Brasil fazendo arminha para os manifestantes 👉🏻 pic.twitter.com/AmZi5bkDUX
— Central Eleitoral (@CentralEleicoes) September 21, 2021
Doch damit nicht genug. Nachdem sich die brasilianischen Diplomaten im Bus wie eine Gruppe Hooligans aufgeführt hatten und die Bilder um die Welt gegangen waren, folgte am Dienstagabend (Ortszeit) der nächste Tiefpunkt. Gesundheitsminister Queiroga teilte auf Twitter mit, dass er positiv auf das Coronavirus getestet worden sei. Er ist somit bereits das zweite brasilianische Delegationsmitglied, das in New York positiv getestet wurde.
Comunico a todos que hoje testei positivo para #Covid19. Ficarei em quarentena nos #EUA, seguindo todos os protocolos de segurança sanitária. Enquanto isso, o @minsaude seguirá firme nas ações de enfrentamento à pandemia no Brasil. Vamos vencer esse 🦠! 💪🏽🇧🇷 pic.twitter.com/OIaK8hDPy6
— Marcelo Queiroga (@mqueiroga2) September 22, 2021
Im Gegensatz zu Bolsonaro liess sich Queiroga bereits impfen. Alles gut also? Mitnichten.
Denn der Gesundheitsminister besuchte Stunden vor seinem positiven Testresultat noch die Rede von Bolsonaro – er machte Werbung für das höchst umstrittene Antimalaria-Medikament Hydroxychloroquin – im Uno-Hauptgebäude.
Auf Videobildern ist nun zu sehen, wie Queiroga Boris Johnson die Hände schüttelte. Der britische Premierminister traf sich später wiederum mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden, welcher damit möglicherweise ebenfalls mit dem Virus in Kontakt kam.
Brazilian Health Minister - who tested positive for Covid - was staying at the same hotel as President Biden in NYC.
— Raquel Krähenbühl (@Rkrahenbuhl) September 22, 2021
He went to the UN today to watch President Bolsonaro’s speech.
Here, he shakes hands with Prime Minister Boris Jonhson- who met Biden today at the White House. pic.twitter.com/CSxdBuTIfY
Es ist indes nicht das erste Mal, dass ein Mitglied einer brasilianischen Delegation in den USA positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Vergangenes Jahr infizierten sich 20 Brasilianer mit dem Coronavirus, als sie Donald Trump in dessen Anwesen im Mar-a-Lago besuchten.
In New York dürfte man nicht unfroh sein, wenn die brasilianische Delegation wieder abreist. Nur Queiroga wird noch etwas bleiben – er muss jetzt 14 Tage in Hotelquarantäne.