Am Sonntag sprach der belgische Gesundheitsminister Klartext. Die Situation in in der Wallonie und in Brüssel sei «die schlimmste und die gefährlichste in ganz Europa», so Frank Vandenbroucke. Heute könne man die Pandemie noch kontrollieren, wenn auch mit enormen Schwierigkeiten, sagte der Gesundheitsminister. Gleichzeitig warnte er aber: «Wir stehen wirklich kurz vor dem Tsunami, dann können wir nicht mehr kontrollieren, was passiert.»
Auch der neue Premierminister Alexander de Croo machte auf den Ernst der Lage aufmerksam. «Es ist schlimmer als am 18. März, wo wir den totalen Lockdown verkündet hatten», sagte der Regierungschef. Im Vergleich zu damals gebe es drei Mal so viele Fälle auf den Intensivstationen, die Situation in den Spitälern sei angespannt und sie werde «noch schlechter» werden.
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Die Warnungen des Regierungschefs und des Gesundheitsministers kommen nicht von ungefähr. Die Corona-Infektionen sind in den vergangenen Wochen stark angestiegen. In der Woche bis zum 16. Oktober registrierte das staatliche Gesundheitsinstitut Sciensano im Durchschnitt täglich 8422 neue Ansteckungen, was einem Plus von 69 Prozent zur Vorwoche entspricht.
Am vergangenen Dienstag wurde gar die Rekordzahl von 12'051 Neu-Infektionen gemeldet. Dies bei einer Bevölkerungszahl von 11,5 Millionen Einwohnern.
Die Infektionszahlen geben nur bedingt Aufschluss darüber, wie ernst die Lage in einem Land wirklich ist. Ziehen wir deshalb die Hospitalisationszahlen herbei. Auch hier ist zu sehen, dass sich die Situation in Belgien seit einigen Wochen verschärft.
Am Dienstag lagen 2774 Patienten mit Covid-19 in den belgischen Kliniken, davon 446 auf Intensivstationen, wie die Nachrichtenagentur Belga meldete. Täglich kommen im Schnitt knapp 267 Patienten neu in die Klinik, 95 Prozent mehr als in den sieben Tagen vorher. Noch ist die Situation nicht gleich angespannt wie zum Höhepunkt der ersten Welle, doch der Trend zeigt klar nach oben.
In den Spitälern wird die Lage zunehmend prekär. Am Montag legten rund 60 Krankenpflegende, Ärztinnen und Ärzte am Erasmus-Spital in Brüssel kurz ihre Arbeit nieder. Sie beklagten, dass sie seit der ersten Corona-Welle im Frühjahr kein zusätzliches Material und kein zusätzliches Personal bekommen hätten. «Wir fallen um wie die Fliegen», sagte eine Spitalmitarbeiterin gegenüber dem Fernsehsender RTL. Eine Krankenpflegerin erhob schwere Vorwürfe: «Wir müssen weiter arbeiten, selbst wenn wir positiv sind und Fieber haben.»
Kurz vor dem Kollaps steht das Gesundheitssystem auch in der Region Lüttich. Der Arzt Philippe Devos, der auf der Intensivstation in Lüttich arbeitet, sagte am Montag gegenüber rtbf.be: «Die Situation ist schlimmer als im März.» Man werde noch heute steckenbleiben und Patienten in andere Provinzen transferieren müssen.
Die ersten Spitäler sind am Anschlag, die Testlabore kommen mit der zweiten Welle bereits nicht mehr nach. Am Dienstag verkündeten die belgischen Behörden eine Änderung im Test-Regime. Personen, die in einem Risikogebiet waren oder Kontakt mit Hochrisiko-Person hatten, müssen sich nicht mehr testen lassen, sofern sie keine Symptome haben. Gemäss neuer Vorschrift müssen sie ohne Test für zehn Tage in Quarantäne.
Diese Massnahme wurde ergrfiffen, da die Testlabore aufgrund der hohen Zahl an Tests überlastet sind. Man verspricht sich davon eine Reduktion der Tests von rund 40 Prozent.
Der Ansturm auf die Tests war so gross, dass man viel zu lange warten musste, bis man einen Termin und ein Resultat erhielt. «Wenn Patienten zu lange auf ihre Ergebnisse warten müssen, ist ein Test wertlos», begründete Belgiens Corona-Kommissar Pedro Facon den Entscheid, das Test-Regime zu ändern.
In den vergangenen Tagen wurden in Belgien zwischen 60'000 und 70'000 Corona-Tests durchgeführt mit einer Positivitätsrate von rund 15 Prozent. Nun versuchen die Behörden die Kapazitäten bis zum 15. November auszubauen, sodass 100'000 Tests pro Tag durchgeführt werden können. Der Corona-Kommissar meinte, dass man die Laborkapazität in den vergangenen Wochen bereits verzehnfacht habe, doch dies reiche nicht aus. Tests seien zwar genügend vorhanden, aber nicht genügend Personal.
Der drohende «Tsunami» soll nun mit einer Reihe von Massnahmen abgewendet werden. Die Regierung einen Teil-Lockdown für die kommenden vier Wochen beschlossen, welcher seit Montag gilt. Dieser beinhaltet folgende Punkte:
In der Woche bis zum 16. Oktober registrierten die Behörden im Schnitt 32 Todesfälle pro Tag. Das ist eine Zunahme von 15 Prozent zur Vorwoche. Nun steigt die Furcht, dass sich das Szenario vom Frühling wiederholt, als Tausende Menschen wegen Covid-19 ihr Leben lassen mussten. Nur gerade in San Marino und Peru ist die Todesrate höher. Bis heute trauert Belgien bereits um über 10'000 Corona-Tote.
Doch die Todeszahlen aus Belgien können nur bedingt mit denen aus anderen Ländern verglichen werden. Denn die belgischen Behörden führen eine etwas andere Statistik. Zu den Corona-Toten gehören auch jene Personen, bei denen ein Tod durch das Virus nicht eindeutig bestätigt ist.
In den Alters- und Pflegeheimen wurden bei 75 Prozent der Todesfälle das Coronavirus nie nachgewiesen, man stufte die Todesursache lediglich als «möglich» ein. Das heisst: Wenn bekannt ist, dass in einem Heim das Coronavirus um sich greift, werden die Todesfälle in den kommenden Tagen dem Virus zugerechnet, auch wenn die Toten gar nie positiv getestet wurden.
Die Zählweise gilt als umstritten. Jedoch hat ein Vergleich des «Economists» Mitte Mai gezeigt, dass die Anzahl der Corona-Toten in Belgien ziemlich genau mit der Übersterblichkeit übereinstimmt. In anderen Ländern wie Spanien, Grossbritannien und Italien gab es dagegen ziemlich grosse Unterschiede.
Apropos Übersterblichkeit: Der April 2020 war der tödlichste April in Belgien seit dem Zweiten Weltkrieg, wie Forschende der Freien Universität Brüssel herausfanden. Bleibt zu hoffen, dass in dieser Hinsicht keine weiteren Rekorde geknackt werden.
Ironie off\
Wenn der BR einen Lockdown ins Auge fasst, dann wäre das ab Freitag sinnvoller als erst ab 1.11.
Ich möchte nicht an der Stelle der.Regierung sitzen und diese Entscheide fällen müssen.