Die Partei AfD ist für den deutschen Verfassungsschutz (BfV) gesichert rechtsextremistisch. Der Verdacht, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet, so der Inlandsgeheimdienst.
Die geschäftsführende deutsche Innenministerin Nancy Faeser betonte, der Inlandsnachrichtendienst habe die Entscheidung zur neuen Einstufung der AfD eigenständig getroffen. «Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben», versicherte Faeser.
«Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmässige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar», teilte die Sicherheitsbehörde mit. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschliessen.
«Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes», heisst es in der Mitteilung des Inlandsgeheimdienstes.
Äusserungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstiessen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei massgeblich für die nun getroffene Einschätzung.
Grundlage der getroffenen Entscheidung ist ein umfangreiches Gutachten des BfV, das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist. Eine Veröffentlichung des internen Arbeitspapiers, in das auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf eingeflossen sind, ist nicht vorgesehen.
Die beiden AfD-Vorsitzenden, Tino Chrupalla und Alice Weidel, schrieben in einer Mitteilung, die AfD als Oppositionspartei werde nun «kurz vor dem Regierungswechsel öffentlich diskreditiert und kriminalisiert». Das sei erkennbar politisch motiviert. Die beiden haben die Einstufung ihrer Partei als gesichert rechtsextremistisch als schweren Schlag gegen die Demokratie in Deutschland kritisiert.
+++ Alice Weidel/Tino Chrupalla: "Entscheidung des Verfassungsschutzes ist ein schwerer Schlag gegen die bundesdeutsche Demokratie!" +++
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) May 2, 2025
Zur Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz teilen die AfD-Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla mit: „Die heutige… pic.twitter.com/k8bPjekrcg
«Die Bundesregierung ist nur noch vier Tage im Amt. Der Geheimdienst verfügt noch nicht einmal mehr über einen Präsidenten. Und die Einstufung als sog. ‹Verdachtsfall› ist nicht rechtskräftig abgeschlossen», schrieben die beiden Politiker in einer in Berlin verbreiteten Presseerklärung.
Trotzdem werde die AfD als Oppositionspartei nun kurz vor dem Regierungswechsel am 6. Mai öffentlich diskreditiert und kriminalisiert. «Der damit verbundene, zielgerichtete Eingriff in den demokratischen Willensbildungsprozess ist daher erkennbar politisch motiviert. Die AfD wird sich gegen diese demokratiegefährdenden Diffamierungen weiter juristisch zur Wehr setzen», erklärten die beiden Politiker. Sie verwiesen auch auf die zuletzt zunehmende Unterstützung für die AfD, die in aktuellen Umfragen geführt habe.
Auch Stephan Brandner, der stellvertretende Bundessprecher der AfD, sagt laut deutschen Medien: die Entscheidung sei «inhaltlich völliger Blödsinn, hat mit Recht und Gesetz überhaupt nichts zu tun und ist eine rein politische im Kampf der Kartellparteien gegen die AfD.»
Es handle sich dabei um «eine weitere unfaire Kampfmassnahme gegen die einzige Oppositionskraft», so der AfD-Mann weiter.
Nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch hat US-Aussenminister Marco Rubio Deutschland der Tyrannei bezichtigt. Deutschland habe seiner Spionagebehörde gerade neue Befugnisse zur Überwachung der Opposition erteilt, schrieb Rubio auf X. Und weiter:
Wirklich extremistisch sei nicht die AfD – die bei den jüngsten Wahlen den zweiten Platz belegte – sondern die tödliche Politik der offenen Grenzen, die die Partei ablehne, schrieb der US-Aussenminister. «Deutschland sollte seinen Kurs ändern.»
Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew hat die Einstufung der Alternative für Deutschland (AfD) als gesichert rechtsextremistisch kritisiert. Das seien «starke Worte» gegen eine Partei, die in Parlamenten vertreten sei, schrieb er auf Englisch im sozialen Netzwerk X.
Der jetzige Vizechef des russischen Sicherheitsrates schrieb:
Russland pflegt seit mehreren Jahren Drähte zur AfD und anderen rechtsgerichteten Parteien in Europa. Die AfD vertritt ihrerseits immer wieder russlandfreundliche Positionen.
Die Partei will sich weiter juristisch wehren. Zuständig ist dann in erster Instanz das Verwaltungsgericht in Köln, wo das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat.
Dafür hat die AfD guten Grund, da Einstufung als «gesichert rechtsextremistisch» krasse Folgen für sie hat und langfristig gesehen das Ende der Partei bedeuten kann.
Vor allem diese fünf Konsequenzen sind dabei relevant und in der Partei gefürchtet:
Auf Bundesebene nicht, in einzelnen Bundesländern aber schon. Die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Auf nationaler Ebene war die Situation etwas komplizierter: Nachdem Medien im Februar 2021 über eine mutmassliche Einstufung der Gesamtpartei als sogenannter Verdachtsfall berichtet hatten, musste der Verfassungsschutz auf Geheiss des Kölner Verwaltungsgerichts noch rund ein Jahr warten, bis er diese Einschätzung publik machen und die Partei entsprechend beobachten konnte.
Im Mai 2024 hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Der Rechtsstreit geht noch weiter.
Mehrere Politikerinnen und Politiker nahmen diese Einordnung zum Anlass für Forderungen nach einem Verbot der Partei.
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagte:
Man dürfe nicht akzeptieren, dass eine rechtsextremistische Partei die Demokratie «von innen bekämpft und zerstört».
Etwas vorsichtiger formulierten Konstantin von Notz und Irene Mihalic von den Grünen. Sie erklärten, die Neubewertung sei «ein wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist».
Doch so einfach ist das nicht, denn mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV vordergründig nichts zu tun. Denn dieses kann nur von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen.
Ein Verbot dürfen Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat beantragen. Entschieden wird über den Antrag vom Bundesverfassungsgericht. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen.
Deutschlands Noch-Kanzler Olaf Scholz warnt aber trotz der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch vor einem voreiligen Verbotsverfahren. «Ich finde, das ist eine Sache, die man nicht übers Knie brechen darf», sagte der Politiker beim Kirchentag in Hannover. Das Bundesverfassungsgericht habe alle Verbotsanträge der letzten Zeit abgelehnt.
Auf die Frage, ob das Erstarken der AfD ein Schatten auf seiner Kanzlerschaft sei, sagte Scholz beim Kirchentag in Hannover: «Das bedrückt mich als Bürger, als Kanzler, als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.»
Auf die Frage der Deutschen Presse-Agentur nach einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD antwortete Faeser in Wiesbaden, diese «sollten wir immer von der notwendigen politischen Auseinandersetzung trennen». Aus guten Gründen gebe es sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden. «Es gibt jedenfalls keinerlei Automatismus.»
Ja. Was die AfD besonders ärgern dürfte: Bereits im Verdachtsfall darf der Bundesnachrichtendienst aktiv werden. So dürfte der deutsche Geheimdienst nun Informanten in die Partei einschleusen. Auch Observationen mittels Bild- und Tonaufnahmen werden nun wahrscheinlicher, wie t-online schreibt.
Die Alternative für Deutschland (AfD) war 2013 gegründet worden, zunächst als Partei der Eurokritiker. Sie rückte im Laufe der Jahre weit nach rechts. (dab/lyn/leo/sda/dpa)
Und jetzt ohne Ironie:
Folgt jetzt auf diese "gesicherte" Erkenntnis eine politische Reaktion?