Der Anschlag von Mannheim, bei dem am letzten Freitag ein 29-jähriger Polizist getötet wurde, hat das politische Klima in Deutschland verändert: Auf einmal betrachten auch jene islamistischen Terror als Problem, die ihn bisher eher als Ausdruck einer allgemeinen Verrohung abgetan haben. Bundeskanzler Olaf Scholz trug dem in seiner Regierungserklärung vom Donnerstag Rechnung: «Es gibt in Deutschland kein Faustrecht», sagte der Sozialdemokrat vor dem Bundestag. Wer dies anders sehe, bekomme «ein massives Problem mit unserer Polizei und unserer Justiz».
Für Aufsehen sorgte vor allem eine konkrete Ankündigung des Kanzlers: Wer in Deutschland Schutz suche und dort schwerste Straftaten begehe oder als Gefährder gelte, gehöre ausgeschafft - und zwar auch nach Syrien oder Afghanistan. Damit übernimmt Scholz eine Position seines liberalen Koalitionspartners und der oppositionellen Christdemokraten.
Aus Afghanistan stammt auch der 25-jährige Sulaiman Ataee, der in Mannheim die Kundgebung eines islamkritischen Vereins angegriffen und dabei auf sechs Menschen eingestochen hat. Er war 2014 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland gekommen und erhielt dort zwar kein Asyl, durfte aber bleiben.
Der Fall des Attentäters steht exemplarisch für das eigentliche Problem der deutschen Asylpolitik: Nach Syrien und Afghanistan muss niemand zurückkehren, weil die Lage dort als unsicher gilt. Neben der Türkei sind Syrien und Afghanistan aber die Hauptherkunftsländer der Asylbewerber. So kommt es, dass rund 80 Prozent der über drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland nicht ausgeschafft werden können.
Das scheint Scholz nun ändern zu wollen: In Fällen wie jenem Sulaiman Ataees wiege das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters, sagte der Kanzler. Ob und wie Ausschaffungen nach Syrien oder Afghanistan umgesetzt werden können, ist allerdings rechtlich umstritten, denn entscheidend ist die Sicherheitslage im Herkunftsland und nicht, welche Untaten die Betroffenen in Deutschland begehen oder begehen könnten.
Eine Möglichkeit, mehr Ausschaffungen zu ermöglichen, bestünde darin, die Sicherheitslage in den Herkunftsländern neu zu bewerten. Dafür wäre das Aussenministerium zuständig, das unter der Leitung der Grünen-Politikerin Annalena Baerbock allerdings wenig Bereitschaft zeigt, seine derzeitige Haltung zu überdenken. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, zu überprüfen, was einem Auszuschaffenden im konkreten Einzelfall drohen würde, sollte er in sein Heimatland zurückkehren müssen. Auch da scheint das Aussenministerium aber zu bremsen.
Ein weiteres Problem ist die Frage, mit wem Deutschland bei den Abschiebungen zusammenarbeiten würde. Regierungen, die ihre Staatsangehörigen zurücknehmen, lassen sich dies meist in der ein oder anderen Form vergelten. In Afghanistan regieren seit 2021 die radikalislamischen Taliban. Davor, Geld an die Gotteskrieger zu überweisen, dürfte Berlin zurückschrecken.
Ginge es nach dem Hamburger Innensenator Andy Grote, einem Parteikollegen Scholz', könnte Deutschland diesem Dilemma durch eine Zusammenarbeit mit einem Nachbarland Afghanistans entgehen: Pakistan will ebenfalls Afghanen in ihre Heimat ausschaffen und könnte abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland mitabschieben. In der SPD und darüber hinaus soll Grotes Vorstoss einigen Anklang finden.
Ob auf Scholz' Worte entsprechende Taten folgen werden oder ob es sich vor allem um ein rhetorisches Manöver im Hinblick auf die Wahl zum EU-Parlament am Sonntag handelt, dürfte davon abhängen, was in den kommenden Wochen und Monaten auf deutschen Strassen geschieht: Sollte es zu weiteren Anschlägen wie jenem in Mannheim kommen, wird der Druck auf die Regierung wachsen.
«Im grossen Stil» auszuschaffen, hat Scholz bereits letzten Herbst angekündigt, doch das grösste Problem, nämlich jenes der unsicheren Herkunftsländer, blieb damals ausgeklammert. So beginnt die eigentliche Arbeit für die deutsche Regierung womöglich erst jetzt. (aargauerzeitung.ch)