Von Markus W. gibt es ein Foto im Internet, das ihn lachend mit einem Pokal in den Händen zeigt. Ein schmaler, junger Mann mit weichen Zügen, der gelöst zwischen lauter sehr viel stämmigeren und älteren Männern steht und über das ganze Gesicht strahlt.
Das Bild stammt aus dem Jahr 2015, es ist in El Puerto de Santa Maria in Andalusien entstanden, W. hatte gerade einen Cocktailmix-Wettbewerb gewonnen. Kurz nachdem er sich bei einer anderen, wichtigen Bartender-Competition nur knapp am Gesamtsieg vorbeigeschüttelt hatte, schien er jetzt endgültig an der Spitze angekommen. Sein Hotel, das Westin in Leipzig, konnte stolz auf ihn sein.
W., der aus Thüringen kommt und in die Beschreibungen seiner Drinks schon mal das Ländlich-Romantische herüberrettet und vom Geschmack der aus Nachbargarten geklauten Birne schwärmt, machte weiter Karriere in dem traditionsreichen Hotel-Koloss in Hauptbahnhof-Nähe. Vom Food and Beverage Supervisor stieg W. zum für VIPs zuständigen Hotelmanager auf.
Alles lief gut – bis im Oktober 2021 auf einmal Gil Ofarim vor ihm in der Westin-Lobby stand und furchtbar wütend war.
Es gab Computer-Probleme am Check-in, eine lange Schlange war die Folge. Und Ofarim, der sich benachteiligt fühlte, drohte, ein Video darüber zu machen, «was für ein furchtbarer Laden» das Westin sei. Das Video werde «bam, bam, viral» gehen, habe Ofarim gepoltert, erinnerte sich eine Kollegin von W. an jenen Tag.
«Bam, bam» – so ungefähr muss sich für W. angefühlt haben, was dann passierte. Denn Ofarim drehte tatsächlich ein Video, das durch die Decke ging. Und im Zentrum der Anklage des Sängers stand er, der Hotelmanager. Ofarim warf ihm Antisemitismus vor. W. habe ihm den Check-in verweigert, solange er seine Kette mit Davidstern nicht abnehme, behauptete Ofarim.
Öffentlich äusserte sich W. erst jetzt, zwei Jahre später im Prozess in Leipzig, zu der Frage, was diese Anschuldigung für ihn bedeutete: W., inzwischen 35 Jahre alt, betrat in grauem Anzug den Gerichtssaal. Ofarims Behauptungen seien damals für Kolleginnen und Kollegen im Hotel eine «wahnsinnige Belastung» gewesen, sagte er. Während draussen Demonstranten aufzogen, um gegen Antisemitismus zu demonstrieren, klingelte drinnen ununterbrochen das Telefon.
«Es war unvorstellbar, der Druck. Die Kollegen haben geweint, und es war dramatisch, wirklich schlimm», erinnerte sich W. im Prozess. In seinem dienstlichen Postfach sei eine Morddrohung eingegangen, im Internet sein vollständiger Name und der Link zu seinem Instagram-Profil aufgetaucht. W. fuhr nicht mehr mit der Bahn, er entfernte seinen Namen vom Klingelschild.
Dann nahm der Leipziger Westin-Chef W. aus der Schusslinie, verfrachtete ihn «zum Luftholen und Ausruhen» in ein anderes Hotel der Gruppe nach Süddeutschland. Wie im Film sei er mit seiner Partnerin von einer Limousine abgeholt worden, schilderte W. diese Zeit im Prozess. Er habe es wie ein zehntägiges Untertauchen empfunden. Eine Weile hätten nicht einmal Freunde und Familie gewusst, wo er sich aufgehalten habe.
Später, als W. wieder angefangen hatte in Leipzig zu arbeiten, wurde er von Kunden ferngehalten. Monatelang arbeitete er nur im Backoffice, anfangs auf Wunsch des Hotels, weil ja Ermittlungen gegen ihn liefen. Aber, so sagte es W. vor Gericht: Er habe sich ehrlich gesagt zu direktem Kundenkontakt auch nicht in der Lage gefühlt.
Bis heute leide er unter Schlafstörungen und sei in psychologischer Behandlung. Inzwischen arbeite er auch nicht mehr im Westin. Das folgenschwere Ofarim-Video habe daran grossen Anteil:
Nachdem Gil Ofarim jetzt vor Gericht einräumte, sich die Antisemitismus-Vorwürfe bloss ausgedacht zu haben, zeigte sich W. den Angaben seines Anwalts zufolge froh über das «Ende der Odyssee» – und darüber, dass «die Wahrheit ans Licht gebracht werden konnte».
In einem Vergleich einigten sich Ofarim und W., dass W. Schadensersatz in unbekannter Höhe erhält. Ofarim bat am Dienstag im Prozess um Entschuldigung. W., den Prozessbeobachter als einen eher leisen Mann mit defensiver Körpersprache beschreiben, nahm die Entschuldigung an.
(Mit Material der Nachrichtenagentur dpa)
Dieser Sänger: unterste Schublade.
Da sind mir die 1970-er Rockstars schon viel lieber, die zertrümmerten ab und zu mal etwas im Hotel, und gut war; durchgeknallte Rockstars halt. Aber das hier ist andere Liga, glücklicherweise aufgedeckt und verurteilt.