Das Billigfleisch des deutschen Fleischverarbeitungskonzerns Tönnies ist derzeit in aller Munde. Letzte Woche kam es zu einem Coronavirus-Ausbruch in Deutschlands grösster Fleischverarbeitungsfabrik. Von den knapp 7000 Beschäftigten sind bisher mehr als 5800 getestet worden. Resultat: Über 1300 sind positiv – also mehr als ein Fünftel.
«Bei den Testungen zeigte sich, dass die Zahl der positiven Befunde ausserhalb der Zerlegung deutlich niedriger sind als in diesem Betriebsteil», hiess es seitens der Landesregierung.
Gemäss «Deutsche Welle» sind Gründe dafür: Fehlende Einhaltung der Hygieneregeln und überbelegte Sammelunterkünfte für Arbeiter.
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In den vier Krankenhäusern im Landkreis werden derzeit 21 Covid-19-Patienten stationär behandelt. Davon liegen 6 Personen auf der Intensivstation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte.
Nachdem täglich mehr Fälle dazukamen, wurden am Wochenende Massnahmen ergriffen. Am Samstag wurde der Betrieb für 14 Tage geschlossen, zu diesem Zeitpunkt waren 1029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden.
Alle 6500 Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mussten mitsamt Haushaltsangehörigen in Quarantäne – die Chefetage eingeschlossen.
Ministerpräsident Armin Laschet schloss drastischere Massnahmen, wie etwa einen regionalen Lockdown nicht aus, vorerst will er aber noch damit zuwarten. Begründet wird dies damit, dass der Ausbruch bei Tönnies klar lokalisierbar sei. Einen signifikanten Übersprung der Infektionen auf die Bevölkerung gebe es nicht. Dies sollte gemäss SRF-Korrespondent Peter Voegeli aber in Relation gesehen werden: «Laschet war immer der Gegenspieler des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder – und dafür, den Shutdown der Wirtschaft zu beschränken.»
Diese Frage kann noch nicht beantwortet werden, und genau das ist gefährlich. Zwar sollten alle Mitarbeiter getestet werden, am Freitag wusste man aber nicht von allen Tönnies-Mitarbeitern, wo sie genau wohnen. Die Behörden hatten grosse Probleme, an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen.
Deshalb hätten sich der Kreis und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. «Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern», sagte Landrat Adenauer. «Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null», sagte Thomas Kuhlbusch, Leiter des Krisenstabs.
Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, sagte dazu: «Wir haben datenschutzrechtliche Probleme.» Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen der betreffenden Arbeiter nicht speichern. Co-Konzernchef Andreas Ruff fügte hinzu: «Wir haben alle Daten, die wir hatten, sofort an die Behörden weiter gegeben.»
Inzwischen sind bis zu 40 mobile Teams unterwegs, um Leute an ihrem Wohnort zu testen. Den Teams gehören Personen des Ordnungsamtes, des Roten Kreuzes und der Bundeswehr an.
Viele der Mitarbeiter stammen aus Osteuropa und sind über Sub-Unternehmer angestellt. Dazu arbeiten sie zu Billiglöhnen und wohnen oft in kleinen, manchmal baufälligen Wohnungen. Oft wohnen und schlafen mehrere Personen in einem Zimmer – beste Voraussetzungen also für die Verbreitung des Virus.
Jein. Ein Video mit den vermeintlichen Zuständen in der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück löste in in sozialen Netzwerken Unverständnis und Empörung aus. Ohne zeitliche Einordnung erweckt es aber einen falschen Eindruck: Das Video stammt von anfangs April, bestätigt Tönnies. Seitdem seien bei Tönnies die Sicherheitsvorkehrungen mehrfach überarbeitet und verbessert worden.
Ein Einblick in die Kantine von #toennies Ohne Worte!! pic.twitter.com/g0Z6U8RwcT
— CHiPo (@Chipolino89) June 17, 2020
Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, hatte sich am Samstag öffentlich für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern seines Betriebs entschuldigt. Der Konzern stehe in «voller Verantwortung». Einen Rücktritt hatte Tönnies allerdings ausgeschlossen. Stattdessen kündigte er an, dass das Unternehmen umgebaut werden solle um solche Ausbrüche in Zukunft zu verhindern.
Ja, zumindest nach Ansicht des deutschen Arbeitsministers Hubertus Heil geht. «Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben», kündigte er an.
Heil geht zudem nicht davon aus, dass der Tönnies-Konzern mit Mitteln aus den staatlichen Rettungsschirmen unterstützt werden müsse. Das Unternehmen habe in den vergangenen Jahren «wahnsinnig viel Geld verdient».
Nach dem erneuten Corona-Ausbruch in der Schlachtbranche wächst der Druck, den massiven Preiskampf zu unterbinden. «Fleisch ist zu billig», sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich für eine Tierwohl-Abgabe ein. Im Gespräch ist auch, Billigpreiswerbung für Fleisch einen Riegel vorzuschieben.
Aus der SPD kommt der Ruf, höhere Löhne in Schlachtbetrieben durchzusetzen. «Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen», sagte Klöckner mit Blick auf eine Tierwohl-Abgabe. «Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.»
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dem «Tagesspiegel» am Sonntag: «Es kann nicht sein, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland ausgebeutet werden, damit skrupellose Firmen milliardenschwere Gewinne einfahren.» Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten – also dass die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten bei Sub-Unternehmern eingekauft wird.
Unionsfraktionsvize Georg Nüsslein (CSU) forderte ein Ende der Preiswerbung für Fleisch. «Wenn die Branche nicht zügig zu einer Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe.» Verbraucherschützer kritisierten ebenfalls den Preisdruck. «Beim Fleischkauf sollte man generell darauf achten, dass nicht das Billigste auch das Beste ist», sagte Lebensmittelexperte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen der dpa.
Und auch Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist sich sicher: «Wenn irgendwann Schlachtbetriebe wieder geöffnet werden, dann unter anderen Bedingungen als vor der Krise.»
Nach seinem Besuch im Kreis Gütersloh: NRW-Ministerpräsident @ArminLaschet beantwortet wichtige Fragen zum Fall #Tönnies live in der Aktuellen Stunde. Laschets Fazit: „Diese Zustände in der Fleischindustrie können so nicht bleiben!“ pic.twitter.com/G4O3nDWqtw
— WDR Aktuelle Stunde (@aktuelle_stunde) June 21, 2020
(jaw/sda/dpa)
Auch Billigkäse und andere Billigmilchproduckte.