Paukenschlag im deutschen Bundesland Niedersachsen: Wenige Wochen vor der Bundestagswahl und fünf Monate vor der nächsten Landtagswahl verliert die rot-grüne Koalition nach dem Austritt einer Grünen-Abgeordneten die Mehrheit. Ein Regierungswechsel droht.
Mit dem Austritt der bisherigen Grünen-Abgeordneten Elke Twesten aus ihrer Fraktion verlor die Koalition von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Freitag ihre Mehrheit an die christlich-liberale Opposition. Einen von der CDU ins Spiel gebrachten sofortigen Rücktritt lehnte der Ministerpräsident ab.
«Ich werde einer Intrige nicht weichen», sagte Weil am Freitag in Hannover. «Es kann keine andere Instanz als die Wähler geben, die über die Mehrheiten im Landtag entscheiden.» Er werde den Mitgliedern der SPD-Fraktion daher noch am Freitag empfehlen, einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments einzubringen. Das würde den Weg für vorgezogene Wahlen ebnen.
Zuvor hatte Twesten völlig überraschend den Austritt aus der Grünen-Fraktion sowie ihren Parteiaustritt bekanntgegeben und ihren sofortigen Wechsel zur CDU-Fraktion angekündigt. Damit wechseln auch die Mehrheitsverhältnisse im Landtag.
Rot-Grün hatte nach einem hauchdünnen Sieg bei der Wahl 2013 eine christlich-liberale Landesregierung abgelöst. Bisher hatten SPD und Grüne zusammen 69 Sitze, CDU und FDP 68. Mit Twestens Wechsel dreht sich das Verhältnis um.
CDU-Landtagsfraktionschef Björn Thümler forderte die Regierung Weil am Freitag dazu auf, «so schnell als möglich» den Weg für eine Neuwahl des Landesparlaments freizumachen. Der Rücktritt des Ministerpräsidenten könne dazu ein «probates Mittel» sein, sagte er.
Weil zufolge könnte der SPD-Antrag zur Landtags-Selbstauflösung in der nächsten Sitzung am 16. August eingebracht werden. Laut Landesverfassung habe das Parlament dann elf bis 31 Tage Zeit, darüber abzustimmen.
Anschliessend müssten binnen zwei Monaten Wahlen abgehalten werde. Persönlich würde er die Kombination mit der Bundestagswahl am 24. September begrüssen. Es hänge aber von den rechtlichen Gegebenheiten ab, ob dies möglich sei. Die Neuwahl des Landtags war eigentlich für den 18. Januar geplant.
Twesten selbst begründete ihre Entscheidung für den Partei- und Fraktionswechsel mit einem «längeren Entfremdungsprozess», bei dem die Vorgänge rund um die Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl in ihrem Wahlkreis Rotenburg den letzten Ausschlag gegeben hätten. Von der Wahlversammlung des dortigen Grünen-Kreisverbands war Twesten nicht erneut nominiert worden.
Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU«, sagte Twesten bei einem gemeinsamen Auftritt mit Thümler. Sie habe eine »bürgerliche Grundstruktur«, befürworte eine schwarz-grüne Koalition und müsse sich auch in der CDU »nicht verbiegen".
Die Grünen forderten ihre ehemalige Abgeordnete dagegen auf, ihr Mandat niederzulegen. Sie sei über die Grünen-Landesliste «für die Umsetzung grüner Politik» gewählt worden, erklärte Fraktionschefin Anja Piel. Twesten müsse ihr Mandat zurückgeben.
Weniger als zwei Monate vor der Bundestagswahl sorgten die Ereignisse von Hannover auch in der Bundespolitik für grosse Aufregung. SPD-Bundeschef und Kanzlerkandidat Martin Schulz erklärte, Twestens Verhalten sei «Verrat» an den Wählern und an Rot-Grün. Schnelle Wahlen seien die richtige Entscheidung. In nationalen Umfragen liegt die SPD weit abgeschlagen hinter den Christdemokraten von Kanzlerin Angela Merkel. (sda/afp/dpa)