Ralph Tiesler soll als Präsident des deutschen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) das Land fit für die Gesamtverteidigung machen: Im Spannungs- und Verteidigungsfall übernimmt die Bundeswehr die militärischen Aufgaben, der Zivilschutz aber ist für Schutzbunker, Luftalarm, Geflüchtete und die Versorgung von Verletzten zuständig.
Tiesler, 65 Jahre alt, spricht darüber, wie seine Behörde die Bevölkerung resilienter machen und über realistische Bedrohungsszenarien informieren will.
Herr Tiesler, Ihre Behörde ruft die Deutschen dazu auf, sich auf Krieg und Krisen vorzubereiten. Welche Vorräte haben Sie zu Hause dafür angelegt?
Ralph Tiesler: Mein Haus hat keinen Keller, deswegen fehlt uns die Möglichkeit, dort einen Raum zum Selbstschutz einzurichten. Aber Wasser und haltbare Lebensmittel haben wir gelagert, für mindestens drei Tage. Und das sollten alle Bürgerinnen und Bürger auch machen. Nur gemeinsam können wir der veränderten Sicherheitslage begegnen.
Sie sprachen kürzlich von einer Zeitenwende 2.0. Wie bedrohlich ist die Situation?
Die russische Bedrohung ist ernst, und deshalb sollten wir gewappnet sein. Auch die Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung wieder Angst hat vor einem grossen Krieg in Deutschland. Wir gehen nicht von einem Krieg aus, in dem russische Panzer durch Deutschland rollen. Wir gehen vielmehr von einer Bündnisverteidigung aus. Das bedeutet, einer unserer NATO-Partner wird angegriffen und wir unterstützen bei der Verteidigung. Als ein Land, das die wichtigste Drehscheibe der NATO ist, müssten wir mit Angriffen auf kritische Infrastruktur und Militärtransporte rechnen. Wenn überhaupt, wären das aber eher punktuelle Schläge. Ich hoffe, dass nichts davon passiert. Trotzdem müssen wir die Gesellschaft auf dieses Szenario vorbereiten.
Einer Ihrer Schritte war es, die Nina-Warn-App, die sonst auf Sturmfluten, Grossbrände oder Bombenentschärfungen hinweist, um Verhaltensregeln bei Raketenbeschuss zu erweitern. Warum war das nötig?
Eine Bevölkerung, die auf nichts vorbereitet ist, wirkt wie ein leichtes Ziel. Eine resiliente Gesellschaft dagegen wird als möglicher Gegner ernst genommen. Also müssen wir alle Vorbereitungen treffen. Dazu gehören etwa Vorräte im Keller, ein gepackter Notrucksack mit Taschenlampe, Kurbelradio, Kleidung und wichtigen Dokumenten. Natürlich aber muss die Bevölkerung auch genau wissen, wie sie sich verhalten muss, wenn Raketen und Marschflugkörpern auf dem Weg sind. Anders als noch im Zweiten Weltkrieg haben die Menschen nach dem Alarm bis zum eigentlichen Luftschlag nur wenige Minuten Zeit, einen sicheren Ort zu erreichen. Mein Ziel ist es daher, dass unsere App künftig zeigt, wo sie den nächsten geschützten Raum wie eine Tiefgarage oder einen U-Bahn-Tunnel in ihrer Nähe finden. Und zwar ganz konkret: 200 Meter geradeaus, zehn Meter links, dann die Treppe runter. So stelle ich mir das vor.
In der Theorie hört sich das gut an. In der Realität aber gibt es kaum noch überall Sirenen, es mangelt an Schutzräumen, verbliebene Bunker rotten seit Ende des Kalten Kriegs vor sich hin. Kurzum: zu wenige Fluchtorte für zu viele Menschen. Wie wollen Sie das Problem lösen?
Der Ausbau der zivilen Verteidigung ist eine grosse Herausforderung, und wir gehen Schritt für Schritt voran. Und das zusammen mit Bund und Ländern. Dabei müssen wir uns an aktuellen Gefährdungsszenarien orientieren. Es verwirrt nur, auf die Bunker des Kalten Kriegs hinzuweisen. Die Ritterburgen des Mittelalters bieten auch keinen Schutz mehr. Es kommt vor allem darauf an, schnell Zuflucht finden zu können vor Splittern und Druckwellen. Es stimmt, wir haben derzeit kaum explizit ausgewiesene Schutzräume. An einem System ausgewiesener Schutzräume arbeiten wir intensiv. Die gute Nachricht ist: In Deutschland werden Gebäude massiv gebaut. Viele davon sind für den Zivilschutz geeignet.
Wenn Bunker nicht die Lösung sind, was dann?
Am schnellsten werden wir als Land resilienter, wenn wir die Menschen dazu bringen, selbst aktiv zu werden. Nahezu jeder Keller kann mit wenigen Handgriffen und auch kostengünstig zu einem sicheren Ort bei Angriffen werden. Sandsäcke und Bretter vor den Kellerfenstern erhöhen den Schutzfaktor zusätzlich. Wir wollen künftig zeigen, wie Zufluchtsorte eingerichtet werden können. Ein kleiner Vorrat dort ist auch wichtig. Aus der Ukraine lernen wir, dass die Menschen teils acht Stunden in den Schutzräumen bleiben müssen, weil die ganze Nacht Drohnen fliegen. Dann braucht es Vorräte, vielleicht Betten und eine Möglichkeit, auf Toilette zu gehen. Aus der Ukraine lernen wir zudem, dass Sirenen nicht mehr so wichtig sind, fast alle Menschen in dem angegriffenen Land verwenden Warn-Apps, um rechtzeitig zu erfahren, wo Russland mit was angreift.
2007 hat die damalige Bundesregierung alle Schutzräume aufgelöst. An Brücken wurden die Schilder nicht mehr erneuert, die angeben, welche militärische Last sie tragen können. Und Sirenen wurden abgebaut. Waren wir naiv?
Wir kommen alle aus einer Zeit, in der wir uns nicht mehr vorstellen konnten, dass ein grosser Krieg zurück nach Europa kommt. Es macht keinen Sinn, in der Vergangenheit nach den Schuldigen zu suchen, die den Abbau der Zivilverteidigung beschlossen haben. Auch wenn uns das jetzt grosse Probleme bereitet. Jahrzehnte haben wir im Frieden gelebt. Nun müssen wir den Schalter wieder umlegen, uns auf die Gesamtverteidigung vorbereiten, und das muss auch noch in kürzester Zeit geschehen. Das ist eine riesige Herausforderung, sowohl für unseren Staat als auch für unsere gesamte Gesellschaft.
Wie kann es gelingen, die Deutschen abzuholen, die sich jahrzehntelang im Frieden gemütlich eingerichtet haben?
Politik, Staat und Zivilgesellschaft müssen dazu zusammenarbeiten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt, die Menschen für die Verteidigung unseres Landes, unserer Werte und unserer Art zu leben, zu gewinnen. Es ist bislang nicht ausreichend gelungen. Das zeigen die jüngsten Umfragen. Aber wir müssen behutsam vorgehen. Wilde Kriegsszenarien verunsichern die Bevölkerung, wir wollen niemanden unnötig ängstigen. Aber dennoch müssen wir deutlich vor der Gefahr eines militärischen Angriffs warnen. Das ist ein schmaler Grat. Wir wollen das Signal senden, dass alle etwas tun müssen, der Staat sich aber gleichzeitig kümmert.
Das klingt nach einem Dilemma: Sie wollen auf der einen Seite, dass die Menschen Vorräte anlegen und ihre Keller als Schutzraum nutzen, andererseits soll der Staat handlungsfähig wirken.
Das stimmt schon. Aber die Gesellschaft muss eben insgesamt zusammenstehen. Der Staat kann nicht alles leisten. Das ist wie bei einem Unfall. Als Erste sind in der Regel nicht Feuerwehr und Polizei vor Ort, sondern normale Bürger, die Erste Hilfe leisten und die Rettungskräfte alarmieren. Bis die Profis eintreffen, helfen sie den Verletzten. Und beim Zivilschutz entlastet es uns sehr, wenn nach einem Angriff nicht alle nach Hilfe schreien, sondern Menschen in der Lage sind, sich selbst zu helfen, weil sie über Vorräte verfügen, weil sie einen sicheren Rückzugsort haben. So können wir uns um diejenigen kümmern, die vielleicht alles verloren haben, die auf uns angewiesen sind. Und wir merken, dass viele Deutsche den Selbstschutz ernst nehmen. Es kommen sehr viele auf uns zu, wollen mehr Informationen bekommen, persönlich mehr für ihren Schutz machen.
Wie viel Zeit haben wir denn, um verteidigungsbereit zu werden?
Militärs und Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Russland bis 2029 in der Lage sein wird, das Bündnisgebiet der Nato anzugreifen. Bis dahin wollen wir in der Lage sein, eine funktionierende Gesamtverteidigung aufbieten zu können. Das ist ein ehrgeiziges Ziel.
Die Bundeswehr hat mit dem Operationsplan Deutschland festgelegt, wie die militärische Verteidigung laufen soll. Gibt es so etwas auch für die Zivilverteidigung?
Die Unterstützung der Streitkräfte ist nur ein kleiner Teil in der Zivilen Verteidigung. Wir müssen Bund und Länder einschliesslich der Kommunen, unsere Wirtschaft sowie die Zivilgesellschaft auf einen Krieg vorbereiten. Ein Plan allein wäre dazu nicht tauglich. Aber wir sind dabei, die vielen Vorkehrungen, die bereits getroffen sind, zu identifizieren, zu überprüfen, zu ergänzen und miteinander zu vernetzen. In der Zivilen Verteidigung fangen wir nicht bei null an. Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Aber in den Plänen der Bundeswehr spielt doch Ihre Behörde und die Zivilschutzorganisationen eine Rolle.
Natürlich. Die Gesamtverteidigung können wir tatsächlich nur zusammen denken. Aber die Bundeswehr braucht uns auch, damit Deutschland als Drehscheibe der Nato funktioniert. Wir werden die Streitkräfte bei Truppentransporten unterstützen müssen. Nicht nur der Zivilschutz, sondern auch die Wirtschaft, nicht nur Logistiker, sondern auch Caterer. Für die Soldaten der Alliierten, die hier per Schiff anlanden, müssen wir Unterkünfte stellen, es werden dann Convoy-Support-Center eingerichtet, um die ankommenden Soldaten möglichst schnell an die Ostflanke verlegen zu können.
Viele Dinge können aber derzeit nicht wirklich gut vorbereitet werden, weil dafür der Spannungs- oder Verteidigungsfall ausgerufen sein muss. Uns fehlt eine Vorstufe, die uns erlaubt, bereits jetzt aktiv zu werden. Wir können zwar Fahrzeuge beschaffen und diese verteilen. Wir dürfen aber derzeit keine Alarmmassnahmen umsetzen, das geht ohne neue Gesetze nicht. Nur im Verteidigungsfall kann der Bund etwa Landesbehörden Weisungen erteilen. Das könnte dann zu spät sein.
Sollte Deutschland also heute schon angegriffen werden, hätte der Zivilschutz Probleme, die Lage in den Griff zu bekommen?
Nein! Wir sind nicht schutzlos. Aber wir wollen und wir können noch viel besser werden. Nehmen wir zum Beispiel den Zivilschutz als einen Teil der zivilen Verteidigung: Das Rückgrat des Zivilschutzes sind die Feuerwehren. Die Feuerwehren dienen nicht nur der Brandbekämpfung, sondern sind auch die Grundlage des sehr guten Katastrophenschutzes in Deutschland. Es engagieren sich 1,7 Millionen Ehrenamtliche, wir verfügen über sehr viele Fahrzeuge und Material. Wir haben zudem Spezialfahrzeuge beschafft, um Chemiewaffen detektieren zu können. Und wir sind dabei, zehn mobile Zeltstädte zu beschaffen, in denen jeweils bis zu 5000 Menschen untergebracht werden können. Es passiert viel. Aber es würde besser gehen, wenn wir mehr Zeit bekommen und die Möglichkeit, Ressourcen auszurollen.
Wie viel Geld brauchen Sie denn? Im Raum steht die Zahl von 30 Milliarden Euro in vier Jahren.
Ohne diese Summe direkt bestätigen zu wollen, klingt das schon einmal nicht so schlecht. Die Zahlen verschleiern aber ein anderes Problem: Wir brauchen auch mehr Personal, um das Geld sinnvoll ausgeben zu können, und die Rahmenbedingungen müssen auch stimmen. Bei der Beschaffung hemmt uns zudem die Bürokratie. Da geht es uns wie der Bundeswehr.
Militärs und Geheimdienst warnen davor, dass Russland die Sicherheit des Westens schon jetzt mit Sabotageaktionen testet, etwa mit Sprengsätzen, die in der Luftfracht platziert werden, Wegwerf-Agenten, die in Bundeswehrstandorte eindringen, und Drohnen, die über Truppenübungsplätze fliegen. Haben Sie damit in Ihrer Behörde auch schon Erfahrungen gemacht?
Natürlich werden wir getestet. Auch wir haben hier schon Drohnen gesichtet. Der Gegner schaut, wie er das Bündnis, wie er das Land und die Gesellschaft spalten kann, wo Sicherheitslücken sind. Er will uns verunsichern. Das Militär antwortet in solchen Fällen mit Abschreckung. Aber auch in der Zivilverteidigung zeigen wir unseren Feinden, dass sie sich die Zähne ausbeissen werden.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Aber wenn Orkland zuschlägt, tun alle mega überrascht - vorallem unsere Neutralisten, Trumpisten & Orkzar-Putain-Arschkriecher 🤬
Liegt vielleicht an meiner Generation Y (bin Mitte 80er geboren), aber richtig friedlich habe ich die Jahre seit meiner Geburt nicht erlebt:
Jugoslawischer Konflikt, Kosovokonflikt, 9/11, Irak, Afghanistan, Grenzkonflikte zwischen GR + TR, Palästina, arabischer Frühling, IS…
Alles Konflikte entweder in Europa, mit Eutopäischer Beteiligung oder direkten Auswirkungen auf Europa… 🤷♂️