Ein Gewächshaus oder ein Pool auf dem Dach? Oder doch lieber originaltreu ein Dachstuhl aus Eichenholz? Vier Monate ist es her, seit Frankreichs Wahrzeichen Notre Dame in den Flammen stand und der Spitzturm auf dem Dach der gotischen Kathedrale in sich zusammenbrach. Dem nationalen Zusammenhalt kurz nach dem Inferno von Notre Dame am 15. April ist schnell eine Debatte um deren Umbau gewichen.
Pünktlich zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris soll die Kathedrale in neuem Glanz erscheinen. Und, warum nicht, in moderner Form. Letzteres sorgt seither für viel Polemik.
Noch im April hatte Premierminister Edouard Philippe den Startschuss gegeben für einen internationalen Architekturwettbewerb. Architekten und Amateure aus der ganzen Welt übertreffen sich seither mit ausgefallenen Ideen, darunter Vorschläge, das Dach von Notre-Dame zu begrünen, dem Steinbau ein Glashaus oder Solarfliesen aufzusetzen oder gar ein Schwimmbad einzurichten. Letzteres gehört wohl zu den nicht ganz ernst gemeinten Ideen
Das renommierte UK-Architekturbüro Foster + Partners schlägt eine Lösung ganz aus Glas inklusive Aussichtsplattform vor. Der Spitzenturm würden die Briten ganz aus Kristallglas und Edelstahl bauen. Vizum Atelier, ein Architekturbüro aus der Slowakei, möchte seinerseits anstelle des Turms einen weissen Spitz hinstellen, der von einem Lichtstrahl verlängert wird.
Sehr – sagen wir es mal so – überraschend, ist die Idee des französischen Designers Mathieu Lehanneur. Seiner Meinung nach muss das Flammeninferno historisch festgehalten werden. Dort, wo vorher der Spitzturm der Kathedrale stand, träumt er deshalb von einem Kunstwerk in Flammenform.
Ideen, die eigentlich nicht umzusetzen sind. Denn Frankreich hat eine Charta unterschrieben, die verlangt, denkmalgeschützte Gebäude in identischer Form zu restaurieren. Ein im Juli verabschiedetes Notstandsgesetz sieht es aber vor, bestimmte Denkmalschutzregeln ausser Kraft zu setzen, um den Aufbau zu beschleunigen – sehr zum Unmut vieler Franzosen.
Die Gegner einer Modernisierung der Kathedrale betonen, man dürfe nicht vergessen, dass es sich bei Notre Dame um ein religiöses Gebäude handelt. Da könne man nicht «n'importe quoi» machen. Dieser Meinung ist auch Marine Le Pen, Präsidentin der Partei «Rassemblement National», ehemals Front National. Sie lancierte auch bald den Hashtag #touchepasnotre auf den sozialen Medien.
Kurz nach dem Brand gab ihr eine Mehrheit der Franzosen laut einer YouGov-Befragung recht. 54 Prozent gaben an, dass die Kathedrale wieder so aufgebaut werden soll, wie sie vorher war.
Welche Idee schlussendlich umgesetzt werden soll, will auch die Regierung die Bevölkerung fragen – entscheiden wird sie dann aber selbst. Frankreichs Kulturminister Franck Riester kündigte in einem Interview LCI eine «grosse Debatte» darüber an, wie die Kathedrale in Zukunft aussehen soll.
Aber: Die letzte Entscheidung wird bei der Regierung liegen. Genauso wie damals 1981 François Mitterand mit der gläsernen Pyramide des Louvres. Eine Eigenheit des französischen Politsystems, das den Spitznamen des Präsidenten Emmanuel Macron, «monarque républicain», in den Medien nur verstärkte.
Das es sich dabei um einen umstrittenen Entscheidungsprozess handelt, liegt auf der Hand. Kritiker werfen Macron vor, er wolle sein Ansehen mit einem raschen Aufbau verbessern. Möglicherweise zulasten des Kulturerbes. Zudem kritisieren sie, dass Macron einen Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau ernannt hat, ohne die Einschätzung des Kulturministers beizuziehen, geschweige denn diesen im Voraus zu informieren.
Jean-Louis Georgelin, General im Ruhestand und gläubiger Katholike, soll nun dafür sorgen, dass die Kathedrale in fünf Jahren wieder aufgebaut wird. Einfach wird das nicht. Derzeit geht es noch immer darum, das beschädigte Monument zu sichern. Besonders der Gewölbebogen in Mittelteil könnte immer noch einstürzen.
Ein Teil der Arbeiten beinhaltet auch, Teile zu sortieren, zu reinigen und zu kategorisieren. «Wie in einem Mikadospiel», beschreibt eine Spiegel-Journalistin, welche die Baustelle besuchen konnte, den Vorgang.
Zu Reden gaben neben der möglichen Modernisierung der Kathedrale die Kosten für den Wiederaufbau beziehungsweise die Spenden dafür. Mehrere französische Milliardärsfamilien kündigten finanzielle Hilfe an, zum Beispiel Arnault (LVMH) 200 Millionen Euro oder Bettencourt-Meyers (L’Oréal) 200 Millionen Euro. Daneben folgten weitere Unternehmer, Privatpersonen, Gemeinden und Konzerne und bereits am Tag nach dem Brand waren 900 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt worden.
In der Kritik steht, dass es möglich ist, hohe Steuergutschriften auf derartige Spenden zu erhalten. Obgleich die Familien teilweise auf Steuervorteile verzichteten, kritisieren linke Parteien und Aktivisten der Gelbwestenbewegung zudem, sie inszenierten ihre Spenden als PR-Aktion. Gewisse Beträge, insbesondere solche von Gemeinden, wurden seither sistiert. Sie lassen verlauten, sie wollten abwarten wie viel der Wiederaufbau tatsächlich kostet und wie das Geld konkret eingesetzt wird.
Der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, machte seinerseits inmitten all der Polemik klar, worum es ihm beim Wiederaufbau der Notre-Dame geht: Er will den Gläubigen ihre Kirche wieder zugänglich machen.
Oder anders gesagt, ich bin auch froh, dass die Luzerner Kapellbrücke wiederhergestellt wurde nach dem Brand und nun nicht irgendeine Fancy Glasbrücke mit Disco Beleuchtung ist ;-)