Zeitenwende in Europa: Nach bald 30 Jahren führt Frankreich wieder einen Wehrdienst ein
Emmanuel Macron machte die offizielle Ankündigung am Donnerstag in der Nähe von Grenoble vor der 27. Gebirgsjäger-Brigade: Der französische Präsident erklärte, sein Land müsse wie andere EU-Staaten wieder einen Wehrdienst schaffen, da die Bedrohung des alten Kontinents zunehme. Russland gebärde sich «viel aggressiver» als noch zu Sowjetzeiten.
Der konservative Präsident Jacques Chirac hatte die allgemeine Wehrpflicht 1996 abgeschafft. Macron schuf 2017 einen «universellen Nationaldienst» (SNU). Dieses unklar definierte, sehr teure und militärisch umstrittene Konzept stiess aber in der Bevölkerung auf wenig Verständnis – und in der Armee auf offene Ablehnung. Der Präsident gestand sein Scheitern nach der Covidpandemie ein.
Sollbestand sind 50'000 Freiwillige
Der neue und freiwillige Wehrdienst hat Macron zufolge zum Ziel, «den Pakt zwischen der Armee und der Nation zu verstärken». Er soll zehn Monate dauern und mit rund 1000 Euro im Monat entlohnt werden. Fürs Erste sollen 10'000 Freiwillige – Frauen wie Männer – ausgebildet werden; 2035 soll der Bestand 50'000 erreichen.
Militärexperten zufolge sollen die Freiwilligen-Einheiten militärische Aufgaben abseits der Front übernehmen, aber auch für zivile Aufgaben wie das Anti-Terror-Dispositiv Sentinelle beigezogen werden. Damit sollen sie die heutige Berufsarmee aus 200'000 Soldaten entlasten. Macron meinte ebenfalls, die Profisoldaten sollten sich stärker «auf ihre Missionen konzentrieren» können.
Die politischen Extreme sind gegen den neuen Wehrdienst. Die russlandfreundlichen Links- und Rechtspopulisten wandten sich gegen die Freiwilligen-Armee. Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen verdächtigen Macron, er wolle sie für Einsätze in die Ukraine vorsehen.
Der Staatschef hatte aber schon im Voraus klargemacht, dass es nicht infrage komme, «unsere Jugendlichen in die Ukraine zu schicken». Damit antwortete er indirekt auch auf eine Polemik der letzten Tage. Generalstabschef Fabien Mandon hatte erklärt, Frankreich müsse sich darauf einstellen, in einem Krieg «seine Kinder zu verlieren». Mit diesem Weckruf meinte er nicht «Kinder» an sich, sondern die Mitglieder der nationalen Gemeinschaft – so wie auch die Nationalhymne mit den Worten «Auf, Kinder des Vaterlandes» («Allons enfants de la patrie») beginnt.
Nicht ausgeschlossen ist es dagegen laut Macron, dass französische Berufssoldaten in der Ukraine als Friedenstruppen zur Absicherung einer Waffenruhe zum Einsatz kämen. Das dürfe man nicht mit einem Angriffskrieg verwechseln, zumal russische Interkontinentalraketen auch französischen Boden erreichen könnten, führte Macron aus. «Wir sind in Reichweite dieser Systeme, wir sind bedroht.»
Parallel zur Rückkehr des freiwilligen Wehrdienstes will der Generalstab auch die traditionell geringe Zahl französischer Reservisten in wenigen Jahren von 47'000 auf 80'000 erhöhen. Die Berufsarmee soll um 15'000 Männer und Frauen aufgestockt werden. (aargauerzeitung.ch)
