Der Abend des 15. Aprils 2019 hat sich tief in das Gedächtnis der Pariserinnen und Pariser eingebrannt. Die Bilder der brennenden Kathedrale gingen damals um die Welt. Weite Teile des Dachstuhls brannten ab, der Vierungsturm stürzte ein und das Gewölbe der Hauptschiffe wurde an mindestens zwei Stellen durchbrochen. Der Schock war riesig, nicht nur in Frankreich.
Und genau dieser Schock werde bei der Wiederöffnung so gross sein wie die des Feuers, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der letzten Besichtigung der Grossbaustelle Notre-Dame vor wenigen Tagen in Paris.
Rund fünf Jahre dauerte die Restauration des gotischen Denkmals in der Mitte des historischen Zentrums in Paris auf der Ostspitze der Île de la Cité. Etwa 700 Millionen Euro hat der Wiederaufbau bis jetzt gekostet.
Damals versprach Macron in einer Fernsehrede, dass man die Notre-Dame noch schöner aufbauen wird: «Und ich will, dass das in fünf Jahren abgeschlossen wird. Wir können das schaffen.»
Macron hat sein Versprechen gehalten. Während der Restauration wurden 42'000 Quadratmeter Naturstein von jahrhundertealtem Schmutz und Russ gereinigt und lassen die Notre-Dame in neuem Glanz erstrahlen, über 2000 Menschen wirkten dabei mit. Es sei eine besondere Herausforderung gewesen, sagte Macron bei der letzten Besichtigung der Baustelle.
Aber auch fünf Jahre nach dem Brand ist die Ursache immer noch unklar, es kursieren weiter Gerüchte. Offiziell geht die Polizei von einem Kurzschluss aus, aber auch dies ist nur eine Mutmassung.
«Niemand hatte Interesse daran, die wahre Ursache zu finden», schreibt der französische Kunstjournalist Didier Rykner in seinem 2023 erschienenen Buch «Notre-Dame, une affaire d’État.»
Zwar wurde im Juni 2019 eine Untersuchung der Vorfälle eingeleitet, diese ist allerdings immer noch nicht abgeschlossen. Ein Umstand, der von Spezialisten als «unüblich lange» bezeichnet wurde.
Rykner sieht denn auch andere Gründe als Ursache für den Brand. So seien die Mängel in der Instandhaltung sowie bei den Sicherheitsvorkehrungen, welche bereits länger bekannt waren, der eigentliche Grund für die Tragödie gewesen.
Im Buch beschreibt Rykner minutiös, wie am Tag des Brandes die Sicherheitsvorkehrungen nicht ansatzweise eingehalten wurden, wie sie sollten. Die Schuld sieht er beim Staat.
Und er zeigt, dass die Konsequenzen des Brandes noch weit verheerender hätte sein können. Nur durch Glück blieben die Kirchtürme verschont und die Gemälde und Reliquien konnten schnell in Sicherheit gebracht werden.
Für Macron ist die Wiedereröffnung der Notre-Dame ein perfekter Zeitpunkt für eine Selbstinszenierung. Der französische Präsident liess bereits in der Vergangenheit keine Gelegenheit aus, um von der Restauration der Kathedrale politischen Nutzen zu ziehen.
Bereits eine Woche vor der offiziellen Eröffnung besuchte Macron die frisch restaurierte Kathedrale, das Ereignis wurde sogar live im Fernsehen übertragen.
Doch seit Montag weht ein neuer politischer Sturm in Frankreich. Der Mitte-Rechts-Regierung droht der Sturz durch die Opposition. Im Streit um einen Sparhaushalt hat das Linksbündnis in der Nationalversammlung einen Misstrauensantrag gegen das Kabinett von Premier Michel Barnier eingereicht. Ab Mittwoch könnte darüber im Parlament abgestimmt werden. Auch Le Pen hat angekündigt, das Misstrauensvotum zu unterstützen.
Wenn die Rechtsnationalen und das linke Lager aus Kommunisten, Sozialisten, Linken und Grünen bei den Abstimmungen tatsächlich an einem Strang ziehen sollten, könnten sie die Regierung stürzen. Und damit auch Macron in die Bredouille bringen.
Zwar ist der 46-Jährige nicht Teil des Regierungskabinetts und auch bei einem erfolgreichen Misstrauensvotum bliebe er Präsident. Der Druck auf ihn würde allerdings steigen, da seine Partei ebenfalls Teil der Regierung ist.
Die Wiedereröffnung der Notre-Dame am Wochenende ist darum für Macron die perfekte Gelegenheit, um vom politischen Chaos in Paris abzulenken. Mit Pomp und illustren Gästen soll die Politik in den Hintergrund verdrängt werden.
Mithilfe bekommt Macron ausgerechnet aus den USA. Denn unter den vielen ranghohen Gästen wird auch Donald Trump sein. Der designierte US-Präsident kündigte auf seinem Sozialen Netzwerk «Truth Social» an, er werde am Wochenende nach Paris zu Eröffnungszeremonie reisen. Im Post lobt er Macron auch für seinen Einsatz:
Ob neben der Notre-Dame auch Macron am Wochenende im politischen Glanz erstrahlen wird, hängt allerdings stark davon ab, was am Mittwoch beim Misstrauensvotum passiert. Wird die Regierung gestürzt, wirft das einen trüben Schatten auf den Glanz der Wiedererröffnung.
Die Bilder sehen schon mal gut aus.