*Der Text entspricht Christians Erzählungen. Diese wurden übersetzt und von der Journalistin textlich wiedergegeben.
Überrascht hat mich das Resultat nicht. Ich sass hier, draussen auf meinem betonbelegten Plätzchen im 10ème arrondissement, als ich es erfahren habe. Mein Kollege Faïd war zu Besuch. Er hatte sich in seinen Schlafsack eingewickelt zu mir auf den Boden gesetzt, wir wollten den Wahlabend gemeinsam verfolgen. Es war kalt. Aber etwas Gutes hat so eine Wahl an sich: Die Spannung lässt einem vergessen, dass man nasse Socken trägt und friert.
Bilan de la nuit, la pluie ça mouille... Belle journée de merde qui s'annonce😦 C'est pas la mer à boire⛵
— Page (@Pagechris75) 28. April 2017
Bonne journée a tous, Keep cool 😁😀😀 pic.twitter.com/ezmtCQB8Yi
Der Regen ist Christians grösster Feind. «Fazit der Nacht: Der Regen nässt. Es wird wohl schwierig heute. Aber ich wünsche euch allen einen schönen Tag.»
Einen Fernseher habe ich ja nicht. Und von meinem Smartphone aus klappt das Live-Streaming nicht richtig. Aber das Radio, das funktioniert zum Glück. Und die Bilder, die sind ja sowieso unnötig. Was zählte war, dass wir um 20 Uhr den Namen des neuen Präsidenten hören konnten. Und später die verschiedenen Kommentare und Analysen der Journalisten. Ich schaltete den ganzen Abend zwischen rtl, france inter und franceinfo hin und her, um verschiedene Ansichten zu hören. Und mir so meine eigene bilden zu können.
Was für mich aber bereits vor dem ersten Wahlgang klar war, und dafür brauchte ich keine Analysen: Wer in der Stichwahl gegen Le Pen antritt, wird neuer Président. Da hätte auch ein Asselineau das Rennen gemacht (Anm. d. Red: François Asselineau kandidierte ebenfalls für die Präsidentschaft und konnte im ersten Wahlgang weniger als ein Prozent der Stimmen für sich entscheiden).
Natürlich bin ich nun froh, dass Le Pen nicht gewählt wurde. Aber wisst ihr, viele Obdachlose sind anderer Meinung. Sie brauchen halt einen Sündenbock, um ihre Situation zu rechtfertigen. Und das wären dann die Immigranten, die Ausländer. Ich aber weiss, dass es nur meine Schuld ist, dass ich heute auf der Strasse schlafe. Ich habe mein Leben nicht im Griff. Nie wird mir jemand weismachen können, ich sei wegen einem Araber oder einem Schwarzen auf der Strasse.
Bon, Nicolas! Il n'y a pas besoin de 2 jours pour se rendre compte que le programme de @MLP_officiel c'est de la crotte... On est pas cons 😇 https://t.co/rwjU0CRP86
— Page (@Pagechris75) 5. Mai 2017
Das Wahlresultat von Le Pen hinterlässt aber auch einen bitteren Beigeschmack. Sie hat 33,9 Prozent der Stimmen erhalten. Das ist viel für eine rechtsextreme Partei – und dies sogar trotz komplett misslungener Debatte. Diese Leute denken, Ausgrenzung sei nützlicher als Integration. Ich empfinde es als extrem schwierig, mit dem Wissen durch die Pariser Strassen zu gehen, dass so viele in diesem Land saudoof sind.
Hier ist die Stimmung heute, einen Tag nach der Wahl, trübe. Das liegt aber in erster Linie am Wetter. Sonst macht sich eher eine grosse Erleichterung bemerkbar. Denn bei uns in der Hauptstadt, lag der Wähleranteil für Le Pen unter 10 Prozent. Entsprechend panisch war die Bevölkerung einige Tage vor dem zweiten Wahlgang beim Gedanken, dass die Marine es schaffen könnte.
Ich freue mich aber auch nicht über die Wahl Macrons. Ultraliberal reimt sich ja oft nicht mit sozial. Viel verändern wird sich meiner Meinung nach aber ohnehin nicht. Ich hoffe einfach, er wird bei der Arbeitslosigkeit erreichen können, was er verspricht.
Denn ich werde das Gefühl nicht los, wir werden noch zu spüren bekommen, dass wir falsch lagen, ihn ins höchste Amt der Nation zu wählen. Mit ihm ist es wie mit einem Kinder-Surprise: Man kauft es, und weiss erst danach, was drin ist.
Aber ich muss ja zugeben, die Liberalisierung der Wirtschaft hat für uns Arme nicht nur schlechte Seiten: Früher musste ich für ein Zugticket nach Lille knapp 50 Euros aus dem Portemonnaie zücken – das war so gut wie unmöglich für mich. Heute gibt es Busse, die diese Strecke für 19 Euro fahren. Und das haben wir unter anderem Macron zu verdanken, der ja früher Wirtschaftsminister war.
Wir müssen dem Kerl jetzt seine Chance geben. Und ihm ermöglichen, zu regieren. Wenn er in einem Jahr immer noch nichts hingebracht hat, können wir immer noch auf die Strasse zum protestieren.