Werde Emmanuel Macron französischer Präsident, tue die Schweiz gut daran, ihn sich zum Freund zu machen. Das sagte Gilbert Casasus, Professor für Europastudien an der Universität Fribourg, vor der Stichwahl zu watson. Denn anders als sein Vorgänger François Hollande werde Macron nicht als «Weichei» gelten wollen, sondern Stärke markieren.
Nun ist Président Macron Realität. Und für die Schweiz heisst das laut Casasus: «Rosinenpicken» wird nicht länger toleriert, der Druck steigt. Klar ist für den Europa-Professor etwa, dass Macron auf den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens drängen wird.
Über das Abkommen, das die bilateralen Beziehungen auf ein neues Fundament stellen will, verhandeln Bern und Brüssel bereits seit drei Jahren – stets begleitet von scharfer Kritik, vornehmlich aus der SVP. «Wir müssen den Kampf dagegen führen – und wir werden ihn gewinnen», spornte Parteistratege Christoph Blocher seine Anhänger etwa an der diesjährigen Albisgüetli-Tagung an.
Besonders umstritten ist die Frage, ob der Europäische Gerichtshof künftig bei allen Rechtsstreitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU entscheiden kann. Auch ausserhalb der SVP wurden jüngst kritische Stimmen laut. So sagte CVP-Chef Gerhard Pfister vor Monatsfrist zur «NZZ am Sonntag», er stehe in Bezug auf das Abkommen auf einer Skala «zwischen Unterbruch und Abbruch der Übung».
In der Schweiz dürfte die Wahl Emmanuel Macrons die EU-Debatte also weiter anheizen.
Für FDP-Nationalrätin Christa Markwalder ist es zwar eine grosse «Erleichterung», dass Emmanuel Macron die Wahl gewonnen hat. Sie glaubt an einen konstruktiven Dialog zwischen der Schweiz und Frankreich – schliesslich hätten die beiden Länder viele gemeinsame Interessen, etwa im Bereich der Sicherheitspolitik. Was die Verhandlungen über das Rahmenabkommen angeht, spricht sie jedoch von einer Knacknuss: «Wenn der neue Präsident Macron und die EU die Schweiz zu stark unter Druck setzen, könnte das für die SVP ein Steilpass sein», befürchtet sie.
Für Markwalder selber ist klar: «Damit wir auch künftig Zugang zum europäischen Markt haben, brauchen wir das Rahmenabkommen.» Allerdings sei dies der Bevölkerung schwierig zu vermitteln – zumal in der SVP seit Jahren die Messer gewetzt werden für diese Debatte. «Leider ist es oft einfacher, Anti-Brüssel-Ressentiments zu bedienen als aufzuzeigen, dass wir beispielsweise im Strommarkt auf eine gute Zusammenarbeit mit der EU angewiesen sind.»
Auch der SP-Nationalrat und ehemalige Botschafter Tim Guldimann sagt, ein Präsident Macron werde die EU als Partner von Deutschland stärken. «Ein starkes Europa ist handlungsfähiger gegenüber der Schweiz als eine EU in der Krise, die nur mit sich selbst beschäftigt wäre, sie ist aber deshalb nicht konzessionswilliger.»
Die Schweiz dürfe sich keine Illusionen machen: «Die Zukunft des Bilateralismus verlangt ein institutionelles Rahmenabkommen.» Dies bedeute nicht, dass die Schweiz ihre Souveränität abtreten müsse, betont Guldimann. Es gelte hart zu verhandeln: «Nur eine Lösung ist möglich, die man innenpolitisch auch verkaufen kann – das ist die Aufgabe des Bundesrats, das weiss aber auch Brüssel.» Auf keinen Fall aber dürfe die Flinte ins Korn geworfen werden als Zugeständnis an den vermeintlichen Volkswillen.
Gänzlich ungerührt von der Diskussion zeigt sich Roland Rino Büchel (SVP), Präsident der nationalrätlichen Aussenkommission. «Nichts Neues unter der Sonne», lautet sein Kommentar zum Wahlsieg Macrons. Dieser werde das Programm von François Hollande weiterführen. «Seine Fantasien, Brüssel stärker zu machen, werden sich jedoch schnell zerschlagen. Einmal im Amt, hat er ganz andere Sorgen, als die Schweiz zu plagen.»
Darüber, ob seine SVP von einer innenpolitischen Debatte über das Rahmenabkommen profitieren würde, mag Büchel nicht spekulieren. «Es ist fraglich, ob Macron überhaupt genug starke Oberschenkel hat, um uns in dieser Sache einen Steilpass zuzuspielen», scherzt er. Und schiebt staatsmännischer nach: So oder so gelte es, mit einem gewählten Präsidenten so gut als möglich zusammenzuarbeiten.