Der britische Premierminister Boris Johnson will dem Parlament eine Zwangspause auferlegen. Die Opposition wirft ihm vor, damit den Widerstand der Abgeordneten gegen einen ungeregelten Brexit durchkreuzen zu wollen. Ob sie sich dagegen wehren können, ist noch unklar.
Knapp zwei Monate vor dem geplanten EU-Austritt beantragte der britische Premierminister Boris Johnson am Mittwoch eine vorübergehende Schliessung des Parlaments. Das Unterhaus soll ab Mitte September für gut vier Wochen die Tore schliessen - nach Johnsons Darstellung, um das Regierungsprogramm vorzubereiten, das die Königin am 14. Oktober präsentieren soll.
Elizabeth II. hat die Parlamentsschliessung genehmigt. Das teilte der Kronrat (Privy Council) am Mittwoch mit.
Gegner eines Brexits ohne Austrittsabkommen werfen ihm vor, er wolle der Opposition nur die Chance rauben, einen EU-Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober per Gesetz zu verhindern. Das bezeichnete Johnson als «vollkommen unwahr».
Das Unterhaus werde genügend Zeit haben, vor dem geplanten EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober über das Programm der Regierung und ihren Umgang mit dem Brexit zu debattieren. «Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden.»
Parlamentspräsident John Bercow zeigte sich empört. Johnsons Pläne seien ein «Frevel gegen die Verfassung». «Wie auch immer man es verpackt, es ist ganz offensichtlich, dass die Absicht hinter einer Sitzungsunterbrechung zu diesem Zeitpunkt wäre, das Parlament von einer Brexit-Debatte (...) abzuhalten», teilte er mit.
Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: «Zutiefst undemokratisch.» Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen.
«Der heutige Tag wird als schwarzer Tag für die Demokratie in Grossbritannien in die Geschichte eingehen», schrieb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon auf Twitter - wenn es den Abgeordneten nicht gelinge, Johnsons Pläne zu stoppen.
Eine Parlamentsschliessung vor der Präsentation eines neuen Regierungsprogramms ist üblich. Allerdings dauert diese Pause in der Regel nicht wie in diesem Fall mehr als vier Wochen.
Johnson will unbedingt an dem Brexit-Datum 31. Oktober festhalten. Er verlangt aber neue Verhandlungen über das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte EU-Austrittsabkommen, das mehrfach im Unterhaus gescheitert ist. Die EU schliesst neue Verhandlungen aus. Johnson will in dem Fall ohne Abkommen ausscheiden.
Knackpunkt ist der sogenannte Backstop, eine Klausel, die Grossbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln bindet, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte sich mit anderen Gegnern eines No-Deal-Brexits erst am Dienstag darauf verständigt, zu versuchen, ein Ausscheiden ohne Deal per Gesetz zu verhindern. Die Opposition hofft dabei auf Unterstützung von Konservativen, die ebenfalls nicht auf Johnsons Linie liegen.
Für ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren dürfte die Zeit aber nun knapp werden. Er sei entsetzt über die Rücksichtslosigkeit der Regierung, teilte Corbyn mit. Die geplanten Schritte seien eine Bedrohung der Demokratie.
Der Konservative Dominic Grieve, der vehement gegen einen Austritt ohne Abkommen ist, sagte der BBC, es falle ihm schwer, Vertrauen in die Regierung zu behalten. Johnsons Schritt mache ein Misstrauensvotum wahrscheinlicher.
«Boris Johnson versucht, die Königin auszunutzen, um Macht in seinen eigenen Händen zu konzentrieren», schrieb die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper. Das britische Pfund stürzte um fast ein Prozent ab.
Ungeachtet des Verfassungsstreits in Grossbritannien will die EU-Kommission mit der britischen Regierung an einem vertraglich geregelten Brexit arbeiten und erwartet dafür neue Ideen aus London. «Je schneller wir umsetzbare Vorschläge sehen, desto besser», sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch in Brüssel. Die innenpolitischen Entwicklungen in Grossbritannien werde man nicht kommentieren. (sda/dpa/afp)