Die totale Schmach blieb Premierminister Rishi Sunak erspart. Im Vorfeld wurde ihm bei den Nachwahlen für das Unterhaus am Donnerstag eine Dreifach-Niederlage vorhergesagt. Zuletzt hatte die Labour-Regierung von Harold Wilson 1968 eine derartige Schlappe erlitten. Im folgenden Jahr verlor sie prompt die Unterhaus-Wahl gegen die Konservativen.
Ein ähnliches Szenario droht auch Sunak, obwohl die Tories am Donnerstag einen ihrer drei bisherigen Sitze retten konnten. Es handelt sich ausgerechnet um das bisherige Mandat von Ex-Premier Boris Johnson im Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip, einem tendenziell konservativen Viertel am westlichen Ende der ansonsten linken Hauptstadt London.
Nun konnten die Konservativen ihn halten, wenn auch nur ganz knapp. Allzu viel darf sich Rishi Sunak auf diesen Erfolg nicht einbilden. Seine Partei hatte im Wahlkampf ganz auf ein lokales Thema gesetzt, die vom Londoner Labour-Bürgermeister Sadiq Khan verfügte Ausdehnung der umstrittenen Umweltzone auf die Aussenbezirke der Metropole.
Sie gilt ab August und bedeutet, dass Verbrenner-Fahrzeuge mit einem hohen Schadstoff-Ausstoss nur noch gegen eine Gebühr in der Zone fahren dürfen. Bei der betroffenen Bevölkerung ist sie sehr unbeliebt, nicht zuletzt wegen der explodierenden Lebenshaltungskosten durch eine hohe Teuerung und den Anstieg der Hypothekarzinsen.
Dennoch konnten die Tories den Wahlkreis nur mit 500 Stimmen Vorsprung verteidigen. Und mit lokalen Themen lassen sich keine nationalen Wahlen gewinnen. Der Uxbridge-Erfolg werde den Konservativen nicht helfen, sagte der bekannte Politologe und «Umfrage-Guru» John Curtice am Freitag der BBC: «Sie stecken weiterhin tief im Wahl-Schlamassel.»
Die anderen Nachwahlen vom Donnerstag seien «ein besserer Indikator» für die Stimmung im Land, sagte Curtice. Und die zeigen für Sunaks Partei ein verheerendes Bild. So verloren sie den Wahlkreis Selby and Ainsty in der Grafschaft Yorkshire. Der bisherige Abgeordnete war zurückgetreten, weil ihm die «Beförderung» ins Oberhaus verweigert worden war.
Bislang galt der Wahlkreis als absolute Tory-Bastion. Bei der Wahl 2019 holten sie mehr als 60 Prozent der Stimmen und Labour weniger als 25. Jetzt kam es zum totalen Umschwung. Labour-Kandidat Keir Mather siegte mit 46 Prozent, während sich der Anteil der Konservativen fast halbierte. Der erst 25-jährige Mather gilt als grosses Polittalent.
Im Wahlkreis Somerton and Frome im Westen Englands, dessen bisheriger konservativer Vertreter in Westminster wegen Kokainkonsums und mutmasslicher sexueller Belästigung zurückgetreten war, siegten die Liberaldemokraten. Sie konnten ihr Ergebnis gegenüber 2019 mehr als verdoppeln, während sich jenes der Konservativen mehr als halbierte.
Diese Niederlage muss den Konservativen besonders zu denken geben. Denn nur einen Tag vor der Nachwahl hatte der indische Tata-Konzern, Inhaber des britischen Autobauers Jaguar Land Rover, angekündigt, seine Gigafactory für E-Auto-Akkus in der benachbarten Stadt Bridgwater zu bauen. Rund 4000 Arbeitsplätze würden geschaffen.
Als Standort war Spanien im Gespräch, doch nun entsteht die Fabrik in England. Premier Sunak sprach von einem «massiven Vertrauensbeweis» für das Land. Allerdings wird seine Regierung die Fabrik laut der «Financial Times» mit 500 Millionen Pfund subventionieren. Und die britische Autoindustrie ist damit nach Ansicht von Experten nicht «gerettet».
Ab nächstem Jahr drohen «Strafzölle» beim Export in die Europäische Union. Es ist eine Folge des Brexits, mit der sich die britische Wirtschaft herumschlagen muss. Sie leidet ohnehin unter dem Austritt aus dem europäischen Markt. Auch die Teuerung bleibt im Königreich auf hohem Niveau, obwohl sie im Juni auf 7,9 Prozent gesunken ist.
Das ist immer noch mehr als in den USA und den meisten europäischen Ländern, und die Kerninflation, bei der die volatilen Preise für Lebensmittel oder Energie ausgeklammert sind, bleibt mit 6,9 Prozent hoch. «Das Königreich wird vermutlich noch für einige Zeit eine höhere Inflationsrate haben als andere», sagte der Ökonom Paul Dales gegenüber CNN.
Denn auch der Leitzins der Bank of England ist mit derzeit 5 Prozent höher als anderswo. Das hat Folgen für die Hausbesitzer, denn damit steigen die Hypothekarzinsen. Mehr als eine Million britische Haushalte werden deswegen laut einer Schätzung des National Institute of Economic and Social Research bis Ende Jahr ihre Ersparnisse verlieren.
Die Regierung hat im Juni mit den grössten Hypothekenbanken des Landes eine Art «Waffenstillstand» vereinbart. Er beinhaltet unter anderem einen zwölfmonatigen Verzicht auf Zwangsräumungen. Für Kritiker allerdings wird das Problem damit nur aufgeschoben. Die Krise könnte sich erneut zuspitzen, wenn die nächste Unterhauswahl vor der Türe steht.
Sie muss spätestens Ende Februar 2025 stattfinden. In den Umfragen führt Labour seit Monaten mit rund 20 Prozentpunkten Vorsprung. Eine Trendwende für die Tories ist nicht in Sicht. Trotzdem enthält das Ergebnis vom Donnerstag und vor allem die Niederlage in Uxbridge and South Ruislip auch eine Warnung für Labour-Chef Keir Starmer.
Wenn Klimaschutz etwas kostet, wird es ungemütlich. Das zeigt das Nein des Schweizer Stimmvolks zum CO2-Gesetz oder der Absturz der Grünen in Deutschland wegen Robert Habecks Heizungsgesetz. Starmer will deshalb nach einem Wahlsieg bei den Ausgaben für Klimaschutz auf die Bremse treten. Das verärgert die Klimaaktivisten, die kürzlich eine Rede von Keir Starmer störten.
Und gerade im UK, einer absoluten Hochburg der Demokratie, sieht man nun real life den Zerfall.
Mit nur 2 ernstzunehmenden Parteien funktionniert das einfach nicht.
Bsp:
3 Personen stellen sich im Wahlkreis xy zur Wahl.
1. Person macht 33 Stimmen
2. Person macht 33 Stimmen
3. Person macht 34 Stimmen und gewinnt den Sitz.
Diese Person wurde nun von 2/3 der Wählenden nicht gewählt. Sowas kann dich nicht funktionieren.