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Krawalle in Grossbritannien: Es geht nicht nur um Rassismus

Objects are thrown as trouble flares during an anti-immigration protest outside the Holiday Inn Express in Rotherham, England, Sunday Aug. 4, 2024. (Danny Lawson/PA via AP)
Am letzten Sonntag versuchten Randalierer ein Hotel in der Stadt Rotherham zu stürmen, das als Asylunterkunft genutzt wird.Bild: keystone

«Anarchy» in the UK: Das steckt hinter den rechtsradikalen Krawallen

Ausländerfeindliche Ausschreitungen hielten Grossbritannien tagelang in Atem. Dahinter stecken nicht nur Rechtsextreme, sondern auch viel Frust über den Zustand des Landes.
09.08.2024, 06:0909.08.2024, 14:26
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Mit Bangen schauten viele in Grossbritannien auf den Mittwochabend. In mehreren Städten wurde erneut mit rechtsradikalen Aufmärschen gerechnet. Von einem «Big Day» sprach Sky News unter Berufung auf Sicherheitskreise. 6000 Polizisten wurden mobilisiert, rund ein Drittel der auf Krawalle spezialisierten Einsatzkräfte in England und Wales.

Am Ende aber stand das grosse Aufatmen. Denn an diesem Abend waren kaum rechte Schläger erschienen, dafür aber tausende Gegendemonstranten mit Schildern wie «Omas gegen Nazis». Im Badeort Brighton waren es gemäss dem «Guardian» rund 500, die einer Handvoll Migrationsgegnern zuriefen: «Runter von unseren Strassen, Nazi-Gesindel!»

epa11534479 An anti-racist protester holds up a sign outside the Merseyside Refugee Centre in Liverpool, Britain, 07 August 2024. Further far-right protests are expected throughout Britain on the 07 A ...
Am Mittwoch gingen praktisch nur Gegendemonstranten auf die Strasse, wie hier in Liverpool.Bild: keystone

Von einer «sehr erfolgreichen Nacht» sprach der Londoner Polizeichef Mark Rowley gegenüber der BBC. Etwas zurückhaltender äusserte sich Diana Johnson, die für die Polizei zuständige Staatssekretärin in der neuen Labour-Regierung. Sie kündigte an, man werde alle aufspüren, die online «Dinge tun», also kriminelle Aktivitäten anheizen.

Premier Keir Stramer nimmt Social Media ins Visier
Der britische Premierminister Keir Starmer will angesichts der durch Falschmeldungen im Internet angeheizten Krawallen die Rolle von Social Media stärker in den Blick nehmen. «Das ist keine rechtsfreie Zone», sagte Starmer vor Reportern. Jeder, der das Gesetz breche, ob direkt oder aus der Ferne, werde strafrechtlich verfolgt, warnte der Regierungschef. Er fügte hinzu: «Ich stimme zu, dass wir allgemeiner auf Social Media schauen müssen nach diesen Unruhen». Derzeit liege der Fokus aber noch darauf, für Sicherheit zu sorgen.

Liste war eine Täuschung

Noch ist unklar, ob das Schlimmste überstanden ist. Am Wochenende könnte es zu neuen Ausschreitungen kommen. Nick Lowles, ein renommierter Experte für Rechtsextremismus, zeigte sich gegenüber dem «Guardian» nicht überrascht, dass es am Mittwoch relativ ruhig blieb. Es habe im Vorfeld wenige Aktivitäten in einschlägigen Foren und Whatsapp-Gruppen gegeben.

Die Befürchtungen waren durch eine Liste potenzieller Ziele geschürt worden, die in den sozialen Medien kursierte. Darauf befanden sich etwa Anwaltskanzleien, die Migranten beraten. Diese sei gemäss Lowles «von einem Mann in Liverpool» erstellt worden: «Ich denke, es handelt sich um eine Täuschung, um Angst und Panik zu verbreiten.»

Ruanda statt Syrien

Gründe dafür gäbe es, denn was sich seit dem 29. Juli abspielte, ist gravierend genug. An jenem Tag erstach ein 17-Jähriger in der Stadt Southport drei Mädchen, die an einem Taylor-Swift-Workshop teilgenommen hatten. Im Internet verbreitete sich das Gerücht, es handle sich um einen syrischen Muslim, der letztes Jahr per Boot über den Ärmelkanal gekommen sei.

epa10969760 Far-right activist Tommy Robinson looks on as the police block the access to the Cenotaph where the Armistice Day service was taking place in London, Britain, 11 November 2023. Clashes hav ...
Der einschlägige bekannte Rechtsextreme Tommy Robinson heizt die Krawalle von Zypern aus an.Bild: keystone

Die Behörden stellten rasch klar, dass es sich beim mutmasslichen Täter, dessen Motiv noch immer unklar ist, um einen in Grossbritannien geborenen Sohn ruandischer Eltern handelte. Die Welle des fremdenfeindlichen Hasses, die aus dem Internet auf die Strasse schwappte, liess sich damit nicht stoppen. Besonders heftig waren die Krawalle am letzten Wochenende.

Musk mischt mit

Angeheizt wurden sie durch einschlägig bekannte Hetzer wie Tommy Robinson, den Gründer der rechtsextremen English Defence League (EDL). Er heisst eigentlich Stephen Yaxley-Lennon, stand schon mehrfach vor Gericht und hat sich vor einem weiteren Strafverfahren nach Zypern abgesetzt, von wo aus er die Randalierer anfeuert.

Robinson war 2018 auf Twitter gesperrt worden und darf sich dort seit der Übernahme durch Elon Musk wieder austoben. Der zunehmend in rechtsradikale Verschwörungskreise abdriftende Multimilliardär schwadronierte seinerseits über einen «unvermeidlichen Bürgerkrieg» im Königreich und legte sich mit Premierminister Keir Starmer an.

Dubioses «Newsportal»

Eine dubiose Rolle spielte auch ein Pseudo-Newsportal namens Channel3Now, das die Meldung über den angeblichen syrischen Messerstecher gepostet hatte, inklusive seines «Namens». Mögliche Verbindungen nach Russland konnte eine BBC-Recherche nicht bestätigen. Die Betreiber der Website sollen sich in den USA befinden.

Nun wird im Königreich darüber beraten, wie man verstärkt gegen Fake News im Internet vorgehen könne. Gegen einige Randalierer wurden im Schnellverfahren Haftstrafen von bis zu drei Jahren verhängt. Sie könnten einen gewissen abschreckenden Effekt gehabt und dazu beigetragen haben, dass die Lage am Mittwochabend nicht eskalierte.

Farages Ambivalenz

In der Verurteilung der rechtsradikalen Unruhestifter ist sich das britische Establishment bemerkenswert einig. König Charles liess sich regelmässig über die Lage informieren. Die Labour-Regierung stärkte der Polizei den Rücken. Premier Starmer, ein ehemaliger Generalstaatsanwalt für England und Wales, kündigte ein hartes Durchgreifen an.

Für den Regierungschef sind die Krawalle die erste Bewährungsprobe nach einem Monat im Amt. Von der Opposition hat er wenig zu befürchten. Die bei den Wahlen am 4. Juli schwer geschlagenen Konservativen forderten höchstens ein noch härteres Eingreifen der Polizei. Ambivalent äusserte sich einzig Nigel Farage, der Chef der Partei Reform UK.

Nährboden in der realen Welt

Der charismatische Rechtspopulist hatte sich stets gegen die extreme Rechte abgegrenzt. Er betonte aber, hinter den Krawallen stecke eine «weitverbreitete Besorgnis». In erster Linie zielte Farage damit auf die «Masseneinwanderung», doch selbst Experten warnen davor, die Krawalle einfach auf Rassismus und Extremismus zu reduzieren.

British Prime Minister Sir Keir Starmer, second right, greets members of the West Midlands Police Force as he arrives at Arden Academy in Solihull, West Midlands, England, Thursday Aug. 8, 2024. (Joe  ...
Premierminister Keir Starmer am Donnerstag beim Treffen mit Polizisten. Die Krawalle sind die erste Bewährungsprobe seit seinem Wahlsieg.Bild: keystone

Jacob Davey vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) sagte dem «Observer», rechte Hetze im Internet könne nur erblühen, wenn sie in der realen Welt den entsprechenden Nährboden finde: «Es gibt einen unterschwelligen Groll, der von zynischen Akteuren kapitalisiert wird.» Davey nannte etwa Arbeitslosigkeit und wachsende Armut als Folge der Inflation.

Migranten sind schuld

Die radikale Rechte habe darauf eine simple Antwort: Wenn es keine Lohnerhöhung gebe, sei «diese Gruppe» Schuld daran, also die Migranten. Der Frust über die hohe Zuwanderung war der Hauptgrund für das Ja in der Abstimmung über den EU-Austritt vor acht Jahren. Doch seither sind nicht weniger Menschen eingewandert, sondern mehr.

Besonders im Norden Englands, wo die meisten Krawalle stattfanden, sind viele von der Politik angewidert und werden zu «Mitläufern». Völlig unverständlich ist das nicht. Der frühere Tory-Premierminister Boris Johnson verdankte seinen glänzenden Wahlsieg 2019 auch den grossen Versprechungen an die Menschen im Norden. Geliefert hat er nichts.

«Eine der grössten Herausforderungen der neuen Labour-Regierung wird es sein, hier andere Akzente zu setzen, die bei den Bürgern auch wirklich ankommen», schrieb die NZZ. Entsprechende Ankündigungen von Keir Starmer und seinem Kabinett gibt es. Nun müssen Taten folgen, sonst kommt es irgendwann zur nächsten «Explosion».

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Flüchtlingslager bei Dünkirchen
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Flüchtlingslager bei Dünkirchen
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quelle: x00234 / pascal rossignol
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183 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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JabbaThaHutt
09.08.2024 07:23registriert März 2023
Es fasziniert mich wie sehr man das Problem "Migration" immer wieder komplett vernachlässigt in den Medien, das nimmt ja noch schlimmere Züge als in der Politik selbst an.... Und dann fragten sich wieder alle wieso die Leute gefrustet sind und wie es denn sein kann, dass so viel Unmut herrscht. Würden gewisse Leute mal vor Ort sein und am späten Nachmittag durch deutsche Grossstädte laufen würde ihnen ein Licht aufgehen woher der Unmut kommt und das ist in England nicht anders.
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frau süss
09.08.2024 06:45registriert März 2014
der brexit hat das leben in uk nicht besser gemacht. welch überraschung…
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Janster
09.08.2024 07:38registriert März 2021
Ich fasse zusammen genau die Leute welche den Brexit eine super Sache fanden sind jetzt über den Zustand des Landes besorgt. Bzw. Unzufrieden damit...Grossartig! Das kommt davon wenn man Populisten auf dem Leim geht die am Ende keine Lösungen für die eigentlichen Probleme haben.
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