Am 29. Juli kam es in England zu einer grausamen Tat: Ein 17-Jähriger erstach in Southport, nahe Liverpool, drei Mädchen, die an einer Freizeitaktivität teilgenommen hatten. Acht weitere Kinder und zwei Erwachsene verletzte er teils schwer.
Tags darauf kam es in Southport zu Krawallen. Der Grund: Der Verdächtige soll ein Immigrant ohne Aufenthaltsbewilligung sein. Zumindest wurde diese Information in den sozialen Medien verbreitet. Der Startschuss für eine bereits eine Woche andauernde Hetzerei, die am Wochenende in etlichen englischen Städten eskalierte.
Gemäss Gerüchten in den sozialen Medien soll der Verdächtige letztes Jahr mit einem Boot in Grossbritannien angekommen sein, sei Syrer und höre auf den Namen Ali al Shakati. Dabei handelt es sich allerdings um Falschinformationen, die mehrmals von den Behörden dementiert wurden – allerdings erfolglos.
Aus diesem Grund griffen sie schliesslich drei Tage nach der Tat zu einer ungewöhnlichen Massnahme und identifizierten den Verdächtigen. Sie machten bekannt, dass es sich beim 17-Jährigen um Axel Rudakubana handelt, der als Sohn ruandischer Eltern in Cardiff geboren worden ist.
Die Klarstellung kam zu spät: Bereits am Dienstag, einen Tag nach der Messerattacke, kam es zu Aufständen in Southport. Gewalttätige Protestierende bewarfen Polizisten und Moscheen mit Steinen und Flaschen. 50 Polizisten wurden verletzt. Die Wut war schon geschürt, das Migrationsthema wird in Grossbritannien längst hitzig debattiert.
Die Messerattacke passte daher perfekt in das Anti-Migrations-Narrativ der Rechten. Internetfiguren wie der Rechtsextreme Tonny Robinson und Andrew Tate nahmen die Gerüchte dankbar entgegen und heizten sie noch weiter an. Weitere Konten posteten ebenfalls falsche Informationen und erreichten auf X und Telegram ein Millionenpublikum.
Gemäss der englischen Polizei sollen vor allem Anhänger der EDL hinter den gewaltsamen Aufständen stecken. Die EDL (English Defence League) ist eine rechtsextreme, islamfeindliche Organisation, die sich aus der britischen Hooliganszene entwickelte und 2009 von Tommy Robinson gegründet wurde.
Robinson heisst mit bürgerlichem Namen Stephen Yaxley-Lennon und gilt als prominentester Rechtsextremer in Grossbritannien. Während er sich auf X als Moralapostel gibt, ist seine eigene Weste alles andere als weiss – er hat bereits vier Haftstrafen verbüsst. Einmal weil er mit dem Pass eines Freundes illegal in die USA eingereist war, einmal weil er ein Video von Angeklagten beim Betreten des Gerichts veröffentlicht hatte, einmal wegen Verleumdung eines 15-jährigen syrischen Geflüchteten und einmal wegen Belästigung eines Journalisten.
Robinson führte die EDL bis 2013, verliess sie dann aber, weil er sie für zu extrem hielt. Mit seinem Abgang sank auch die Popularität der Gruppe.
Nun scheint sie allerdings wieder einen Aufschwung zu erleben. Dies dürfte nicht zuletzt mit Robinsons Aktivität in den sozialen Medien zusammenhängen: Seit vergangenem Montag teilte er etliche hetzerische Beiträge und schürte Ausländerhass. Das ist an sich nichts Neues, doch dieses Mal haben ihm die Wut über die Attacke und auch der Algorithmus in die Karten gespielt.
Die sozialen Medien werden von Algorithmen gesteuert, welche vor allem schockierende, empörende und emotionale Beiträge viral verbreiten. Für Julia Ebner, Leiterin des «Violent Extremism Lab» am «Centre for the Study of Social Cohesion» der Universität Oxford, war es daher nur noch eine Frage der Zeit, bevor es auch in Grossbritannien zu Krawallen kam. Die jetzigen Bilder hätten sie an die Krawalle im deutschen Chemnitz, 2018, und an den Kapitolsturm in den USA, 2021, erinnert, sagte sie gegenüber dem Guardian.
In all diesen Fällen sei die Eskalation aufgrund eines alternativen Informations-Ökosystems, wie etwa auf Telegram, entstanden. Desinformation und rechtsextreme sowie verschwörerische Ideologien verbreiten sich dort in Windeseile. So auch in Grossbritannien. Kurz nach der Tat am vergangenen Montag kam es auf Telegram und X zu Falschmeldungen und Protestaufrufen – die auf offene Ohren stiessen.
Im Nachgang an die gewaltsamen Proteste vom Wochenende kündigte die britische Innenministerin Yvette Cooper ein entschiedenes Vorgehen gegen kriminelles Verhalten im Internet an. Die Organisation der Krawalle, das Befeuern der Spannungen und die Verbreitung von Falschinformationen seien mithilfe sozialer Medien stark befördert worden, sagte die Politikerin dem Nachrichtensender «Sky News».
«Wir erwarten auch ein Vorgehen gegen diejenigen, die kriminelles Material gepostet haben und werden sicherstellen, dass die Social-Media-Unternehmen Verantwortung übernehmen», fügte Cooper hinzu.
Der britische Premierminister Keir Starmer von der sozialdemokratischen Labour-Partei richtete diesbezüglich scharfe Worte an Social-Media-Unternehmen:
I utterly condemn the far-right thuggery we have seen this weekend.
— Keir Starmer (@Keir_Starmer) August 4, 2024
Be in no doubt: those who have participated in this violence will face the full force of the law. pic.twitter.com/uNeJtD8pCQ
An die Adresse der Randalierer und Online-Scharfmacher sagte er:
Wer sich an der Gewalt beteiligt habe, werde die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.
Nach einer Sitzung des Krisenstabs Cobra kündigte er zudem an, ein «stehendes Heer an spezialisierten Beamten» aufzustellen, um mit den Ausschreitungen fertig zu werden. Zudem sollen die Strafverfolgungsverfahren beschleunigt werden. Es habe bereits Hunderte Festnahmen gegeben und einige seien schon vor Gericht erschienen, sagte Starmer.
Krawallmacher sollten zudem öffentlich an den Pranger gestellt werden, fügte der Premier hinzu:
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA
Einige wenige Menschen werde unheimlich reich in dem sie unsere Gesellschaft aufwiegeln…
Klingt wie das Drehbuch von einem düsteren Endzeit-Film. Ist aber leider die Realität.
Kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen.