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Interview

Iran: Nahost-Experte erklärt, was Donald Trump und den USA jetzt blüht

Auf einem Fernsehbild am 2. April 2003 berichtet der ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner aus Bagdad. Tilgner fuehlt sich nach eigenen Angaben in Bagdad noch relativ sicher und glaubt den Risikofaktor ein ...
«Unser Mann im Irak»: Tilgner hielt 2003 in Bagdad die Stellung, als die Raketen einschlugen. Bild: AP ZDF
Interview

Ulrich Tilgner: «Die Amerikaner schiessen im Nahen Osten gerade Eigentor um Eigentor»

Er hielt in Bagdad selbst die Stellung, als Raketen einschlugen: Der frühere TV-Starkorrespondent Ulrich Tilgner (71) sagt im grossen Interview, warum die nächtlichen Angriffe der Iraner erst Vorgeplänkel sind, wieso Trump im Irak die Felle davonschwimmen und wann der Iran tatsächlich angreifen wird.
08.01.2020, 11:4309.01.2020, 07:34
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Er weiss aus erster Hand, was Krieg wirklich bedeutet: Über 30 Jahre lang berichtete Ulrich Tilgner (71) aus dem Nahen Osten. Und erarbeitete sich nicht zuletzt mit geschichtsträchtigen Live-Einschaltungen aus Bagdad einen Kultstatus. Das Schweizer Fernsehen drehte sogar eine Doku über den einst wohl bekanntesten Korrespondenten im deutschsprachigen Raum. «Unser Mann im Irak», hiess der SRF-Film.

Ulrich Tilgner, SF DRS Korrespondent in Bagdad spricht in der Tagesschau, aufgenommen ab SF DRS am 18. Maerz 2003. (KEYSTONE/SFDRS/Walter Bieri)
2003 berichtete Tilgner über den US-Einmarsch im Irak. Bild: KEYSTONE

Diese Zeiten sind vorbei. Tilgner ist seit 2015 pensioniert und hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, gibt nur selten Interviews.

In diesen Tagen findet der Deutsche kaum Ruhe, obschon er in den Weihnachtsferien im Piemont weilt. Es enerviert ihn, was wegen der Liquidierung des iranischen Generals Soleimani durch Donald Trump gerade passiert. Nicht zu knapp.

Herr Tilgner, Sie haben schon viele brenzlige Momente im Nahen Osten miterlebt. Haben Sie eine derart rasche Eskalation zwischen den USA und Iran für möglich gehalten?
Den Amerikanern und insbesondere Trump ist alles zuzutrauen. Bei Trump weiss man nie, was er will. Mal strebt er einen Deal mit dem Iran an, dann tötet er dessen Top-General. Eigentlich wollte der US-Präsident den Iran mit knallharten Sanktionen an den Verhandlungstisch zwingen. Mit der Liquidierung Soleimanis ist diese Option für lange Zeit vom Tisch. Man kann nicht Sanktionen einsetzen und gleichzeitig militärisch agieren. Das ist keine Strategie, sondern völlig töricht.

Die Iraner haben in der Nacht auf Mittwoch einen US-Stützpunkt angegriffen. Ist dies der Auftakt zu einer Angriffsserie?
Das ist bloss Vorgeplänkel. Ich rechne erst einmal mit einer Beruhigung der Lage. Nicht zufällig hat Trump den jüngsten Angriff heruntergespielt. Und es gibt kaum Bilder. Klar ist: Die Iraner versuchen in den US-Wahlkampf einzugreifen, um so Trump direkt zu treffen. Dies indem sie seine Kampagne mit Anschlägen torpedieren. Das passiert jetzt bereits. Ich rechne aber erst in den letzten acht bis zwölf Wochen vor den US-Wahlen mit ‹echten› Angriffen auf amerikanische Armeestützpunkte. Dann beginnt für beide Seiten die heisse Phase.

«Die Iraner werden versuchen, Trump direkt zu treffen.»

Was heisst «echte Angriffe»?
Das sind für mich Attacken, denen tatsächlich Dutzende Amerikaner zum Opfer fallen. Von den jüngsten Angriffen im Irak werden Sie bereits morgen nichts mehr lesen.

Pakistani Shiite Muslims burn representations of Israeli and U.S. flags during a rally in protest of the recent U.S. attack in Iraq that killed Iranian Gen. Qassem Soleimani, outside the U.S. Consulat ...
Die Wut gegen Amerika vereint derzeit die Iraner. Bild: AP

Wie werden die Iraner vorgehen?
Ich vermute, dass pro-iranische Milizen mit Raketen oder mit Selbstmordanschlägen einen der Dutzenden US-Stützpunkte im Nahen Osten und deren Truppenbewegungen wirkungsvoll angreifen. Aber weiterhin nur punktuell Rache verüben. US-Einrichtungen sind ein ‹weiches Ziel› und leicht zu attackieren. Vielleicht hat die Führung in Teheran aber auch grössere Pläne, etwa einen amerikanischen Spitzenpolitiker umzubringen.

«Trump schwimmen die Felle davon, weil ihn nicht mehr alle Generäle unterstützen.»

Was denken Sie grundsätzlich über das Vorgehen der USA?
Die Amerikaner schiessen im Nahen Osten gerade Eigentor um Eigentor. Die Lage ist äusserst gefährlich, die Kriegsgefahr steigt markant. Es ist realistisch, dass die US-Truppen bald aus dem Irak abziehen. Denn Generäle der Amerikaner wollen den Irak verlassen. Trump schwimmen langsam die Felle davon, weil er nicht mehr alle Militärs hinter sich hat. Dies zeigt das Verwirrspiel um den angeblich versehentlich veröffentlichten Brief über den US-Truppenabzug aus dem Irak. So was darf einer Weltmacht nicht passieren. Und zeigt auf: Die Tötung von Soleimani ist für Trump nach hinten losgegangen. Mit dem Angriff wollten die USA die Iraner aus dem Irak zurückdrängen. Jetzt müssen sie möglicherweise ihre Truppen zurückrufen.

Und was macht Trump, wenn die Iraner weiter angreifen?
Wenn die Iraner jetzt grossflächig Attacken verüben sollten, müsste Trump sofort zurückschlagen. Aber weder die USA noch der Iran wollen einen offenen Krieg. Das könnte Trump den ganzen Wahlkampf kaputt machen. Wenn schon, dann wird der US-Präsident kurz vor den Wahlen den Iran angreifen. Das könnte ihm unter Umständen die Wiederwahl sichern. Jetzt nicht.

Sie sagten, unter Trump sei den USA alles zuzutrauen. Wie würde ein Krieg gegen den Iran ablaufen?
Man darf den Iran nicht unterschätzen. Die Iraner haben sich in den vergangenen 20 Jahren auf einen asymmetrischen Krieg vorbereitet und werden kämpfen. Sie verfügen über tausende Raketen, die sie auf alle US-Ziele im Mittleren Osten nahezu gleichzeitig abfeuern könnten. Zuerst gäbe es eine massive Angriffswelle von beiden Seiten. Danach wohl ein Fronten-Krieg, der lange vor sich hinköcheln würde. Aber es wird nicht soweit kommen. Denn die iranische Führung würde einen Krieg politisch nicht überleben. Und die amerikanischen Militärs wissen, dass sie schwerste Verluste erleiden würden.

Aber war die Tötung Soleimanis nicht schon an sich eine Kriegserklärung der Amerikaner an den Iran?
General Soleimani befand sich zum Zeitpunkt der Attacke im Irak, also im Ausland. Das ist etwas anderes, als wenn ihn die USA im Iran getötet hätte. Das wäre aus meiner Sicht eine Kriegserklärung gewesen.

In this image made from a video, mourners gather to pay their respects to the slain Gen. Qassem Soleimani who was killed in a U.S. airstrike, in Kerman, Iran Tuesday, Jan. 7, 2020. (Iran Press via AP)
Hunderttausend trauern im Iran um den getöteten General Soleimani. Bild: AP

Im Iran sind in den letzten Tagen Hunderttausende durch die Strassen gezogen und trauern um den General. Hat sich das gespaltene Land durch die US-Attacke tatsächlich vereint?
Das iranische Regime ist nicht isoliert, wie viele Leute im Westen denken. Sondern hat einen grossen Rückhalt im Volk. Soleimani hatte Kultstatus. Der einfache Iraner fühlte sich zum General hingezogen, weil dieser die Amerikaner in der Region jahrelang auf Distanz gehalten hat. Mit bescheidenen Mitteln versuchte Soleimani im ganzen Nahen Osten, den USA Paroli zu bieten. Das hat den Leuten imponiert. Nach seinem Tod spricht sogar die Staatsführung um Ayatollah Khamenei und die Regierung von Hassan Rouhani eine ähnliche Sprache, während sie mittlerweile mit zwei Zungen sprechen. Soleimani hatte Anhänger weit über die Parteigrenzen hinaus. Das erklärt die grosse Mobilisierung der Massen.

US-Präsident George W. Bush war es, der 2003 den «Präventivkrieg» gegen Saddam Hussein startete und in den Irak einmarschierte. Sie waren damals selbst vor Ort. Nun droht den US-Truppen der Rauswurf. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Bush hat den Irak-Krieg mit Lügen begründet. Die USA wollten dem Irak mit militärischer Waffengewalt Demokratie aufzwingen. Die aktuelle Situation zeigt, dass die Amerikaner im Irak gescheitert sind. Der Sturz von Saddam Hussein hat indirekt dem Iran zu mehr Macht verholfen. Jetzt hinterlassen die Amerikaner im Irak ein totales Chaos. Gut möglich, dass jetzt der Bürgerkrieg wieder richtig aufflammt. Der Irak droht zum ‹failed state› (zu Deutsch: gescheiterter Staat) zu verkommen.

«Die USA wollten dem Irak Demokratie mit Waffengewalt aufzwingen. Und sind total gescheitert.»
A U.S. marine watches a statue of Saddam Hussein being toppled in Firdaus Square, in downtown Bagdhad in this April 9, 2003 photo. A car bomb destroyed a hotel in central Baghdad on Wednesday night, M ...
2003 stürzten die USA Saddam Hussein. Bild: AP

Im Januar treffen am WEF in Davos Spitzenpolitiker aus den USA, Irak und dem Iran aufeinander. Gibt es da Gespräche?
Die grossen Konferenzen sind meist nur für die Kameras. Stille Diplomatie kann hingegen Erfolg bringen. Dank der Vermittlung durch den Oman haben sich die USA und der Iran zuletzt hinter den Kulissen angenähert. Das ist jetzt alles kaputt. Es braucht jetzt einen völlig neuen Vermittlungsansatz.

German Ulrich Tilgner, journalist and expert on the Middle East, speaks during the International Alpensymposium in Interlaken, Switzerland, Tuesday, January 10, 2017. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Tilgner ist seit 2015 pensioniert. Bild: KEYSTONE

Einen neuen Ansatz braucht Tilgner womöglich auch für seine nächste geplante Reise. Im Februar wollte er den Irak und Iran besuchen, um dort alte Freunde zu treffen. Tilgner wartet nun erstmal ab. Er hat keine Lust, ausgerechnet als Rentner in eine gefährliche Situation zu geraten. Dies nachdem er während seiner Journalistenkarriere von schweren Zwischenfällen verschont geblieben ist. «Man muss sich jeden Schritt zweimal überlegen»: Nach diesem Motto will er auch seine nächste Reise in den Nahen Osten gestalten.

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US-Militärschlag gegen Iran-General
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87 Kommentare
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Kev9.3/4
08.01.2020 12:11registriert Januar 2019
Gutes Interview mit jemandem der vermutlich weiss wovon er redet. Wenn man die aktuellen Handlungen nur in politisch motivierten Artikeln/Tweets liest, ist es schwierig als Normalo wie ich die Lage richtig einschätzen zu können. Herr Tilgner bringt etwas Hintergrundwissen und Licht in die Angelegenheit. Danke dafür. Hoffen wir, dass sich die Lage beruhigt
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FrancoL
08.01.2020 12:26registriert November 2015
Ein sehr guter Interview, klare Worte zur Situation, klare Kritik an den USA ohne dabei den Iran in den Himmel zu loben. Das wird den Ami(Trump)-Fan-Boys nicht passen, aber es gibt nicht viele Argumente die gegen Tilgner sprechen.
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ChiliForever
08.01.2020 12:18registriert November 2016
"Die Amerikaner schiessen im Nahen Osten gerade Eigentor um Eigentor."

Nur im Nahen Osten? Da würde ich ja "Naher Osten" mal mit "Weltweit" ersetzen. Und das Eigentor schießen sie ja auch nicht jetzt gerade sondern haben sie schon mit Trump an sich geschossen.

Da können sich übrigens die Briten auch schon mal ansehen, wie das so läuft, wenn man nur noch sein eigenes Ding macht.
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