International
Interview

Selenskyjs Top-Berater: «Putin will einen endlosen Krieg»

«Putin will einen endlosen Krieg»: Selenskyjs Top-Berater über Trumps Friedensplan

Mychajlo Podoljak gehört zum engsten Kreis um den ukrainischen Präsidenten. Im Gespräch erklärt er, warum die amerikanische Friedensinitiative Chancen bietet – und welche Risiken sie birgt.
22.11.2025, 19:4522.11.2025, 19:50
Stefan Schocher, Wien / ch media
Selenski-Berater Mykhailo Podolyak sieht den Trump-Plan als Grundlage für weitere Verhandlungen.
Selenskyj-Berater Mykhailo Podolyak sieht den Trump-Plan als Grundlage für weitere Verhandlungen.Bild: IMAGO/Kyodo News

Es gab eine ganze Reihe an Plänen, diesen Krieg zu beenden. Dieser Anlauf scheint sich von allen vorherigen zu unterscheiden. Tut er das?
Mychajlo Podoljak: Erstens handelt es sich um einen Entwurf, der auf der Ebene der Ukraine, der USA und Europas diskutiert werden muss. Ich würde diesen Entwurf in drei Teile unterteilen. Erstens geht es um das Ende des Krieges in der Ukraine. Zweitens um die europäische Verteidigungsdoktrin, also um Sicherheitsgarantien. Und drittens um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA, Russland, Europa, den Umgang mit Vermögenswerten und so weiter. Tatsache ist: Es handelt sich in Summe um bereits bekannte Vorschläge, die aufgewertet wurden, mehr nicht. Und natürlich muss der Entwurf dieses Plans noch weiter diskutiert werden. Diese Diskussion wird auch auf der Ebene der Präsidenten stattfinden. Nächste Woche werden Präsident Selenskyj und Präsident Trump miteinander sprechen. Und meiner Meinung nach sollten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs daran beteiligen.

Die Uhr tickt aber. Der Plan ist mit einem Ultimatum verbunden.
Nun, ich denke, es geht nicht um ein Ultimatum, sondern darum, dass bis Donnerstag entsprechende Konsultationen stattfinden sollen und eine Lösung gefunden werden muss. Um einen Krieg wie den in der Ukraine zu beenden, bedarf es einer detaillierteren Ausarbeitung. Übrigens hat das auch Putin gesagt: Dass alle Punkte dieses Entwurfs im Detail ausgearbeitet werden müssen. Darüber hinaus hat Trump davon gesprochen, dass die USA Druckmittel gegenüber Russland – also Sanktionen und Ähnliches – einsetzen werden. Ich rate dazu, ruhig zu bleiben und alle Projekte und Pläne gelassen zu betrachten. In dieser Phase des Krieges ultimativ etwas zu fordern, ist natürlich eher Informationsrhetorik denn Realität. Die Realität muss evaluiert werden: Etwa, ob Russland überhaupt Halt machen will. Was uns betrifft: Ja, wir sind bereit für diplomatische Gespräche. Wir können keine Entscheidung innerhalb einer Woche treffen, aber wir können darüber diskutieren.

Der Plan wirkt wie eine Sammlung an Maximal-Forderungen Russlands. Gibt es da denn irgendwelche Punkte, denen die Ukraine zustimmen kann?
Der entscheidende Punkt in den Handlungen der USA ist der konkrete Wunsch, den Krieg zu beenden. Die Frage ist aber, ob man die Motive Russlands versteht und auf welche Sicherheitsgarantien sich Russland einlassen wird. Da geht es etwa um alles, was die Streitkräfte der Ukraine betrifft, alles, was die Reichweite ukrainischer Waffen angeht. Wenn festgelegt würde, dass die Ukraine auf Fernkampfwaffen verzichten muss, würde das bedeuten, dass wir schutzlos wären. Dieser Punkt erfordert eine zusätzliche Diskussion. Meiner Meinung nach verstehen das auch die USA. Ich denke, dass die USA zu einer konstruktiven Haltung bereit sind. Wir sind dazu bereit.

Und Russland?
Ich habe keinen Zweifel, dass sobald konkret Diskussionen über bestimmte Punkte beginnen, Russland neue, viel höhere Forderungen auf den Tisch legen wird.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (links) und US-Präsident Donald Trump.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (links) und US-Präsident Donald Trump.Bild: EPA

Viele der Punkte, die jetzt in diesem Plan stehen, wurden bereits im Frühjahr 2022 in Istanbul diskutiert. Und es war im Grunde klar, dass diese Punkte niemals umgesetzt werden können. Orten Sie auf russischer Seite denn auch nur im Ansatz den Wunsch nach Beilegung?
Sie wollen zu einer Art postsowjetischem Konzept der Kontrolle von Territorien zurückkehren. Sie wollen den Krieg nicht beenden. Das ist offensichtlich. Auch damals war der Verhandlungsprozess nicht realistisch. Es wurden keine realistischen Szenarien für einen Ausweg aus diesem Krieg vorgelegt. Wir sehen, was Russland tut, dass es im Gegenteil die Angriffe auf die Zivilbevölkerung verstärkt, genau wie die Angriffe insgesamt. Wir sind bereit, zu diskutieren. Dafür muss man die Vorschläge der USA ruhig betrachten, beratend arbeiten und nicht automatisch ablehnen. Und umgekehrt wollen wir, dass ein letztes Mal gezeigt wird, dass Russland nicht aus dem Krieg aussteigen will.

Man könnte sagen: Das war eigentlich bereits mehrmals klar.
Deshalb sind wir der Meinung, dass, wenn für Herrn Trump endgültig klar wird, dass Russland nicht bereit ist, den Krieg zu beenden und das Konzept der Expansion aufzugeben, ganz andere Instrumente erforderlich werden. Also, Sanktionen in einem anderen Umfang, finanzielle Isolation Russlands, vollständige Nutzung der heute eingefrorenen russischen Vermögenswerte zur Finanzierung von Verteidigungsprogrammen. Und ein ganz anderes Niveau der Waffenlieferungen, eine erhebliche Verstärkung der Angriffe in die Tiefe der Russischen Föderation. Anders wird es nicht funktionieren.

Im vorliegenden Plan liegt die gesamte Bringschuld bei der Ukraine, von Russland wird nichts gefordert. Was sagt das über die ukrainisch-amerikanische Zusammenarbeit aus?
Viele der Waffen, die wir verwenden, viele Investitionen in die Rüstungsindustrie, viele vertrauliche Informationen, die wir erhalten, kommen aus den USA. Darüber hinaus ist die konsolidierte Position Europas auch den USA zu verdanken. Die USA erhöhen ihre Waffenverkaufsprogramme mit europäischen Mitteln. Abgesehen davon sollten wir nicht vergessen, dass wir heute seitens der USA Sanktionen sehen, zu denen Europa noch lange nicht aufschliessen kann. Das heisst, die USA sind ein enger Partner der Ukraine. Eine andere Sache ist, dass sie in diesen Vorschlägen zum Ende des Krieges von ihrem eigenen Verständnis der Situation ausgehen. Da wir die Motivation des heutigen Russlands verstehen, glauben wir, dass ohne erheblichen Druck auf Russland kein Vorschlag funktionieren wird. Wir akzeptieren die Position der USA, wir verstehen die Motivation der USA, aber wir möchten anhand von Fakten erklären, warum es Anpassungen und zusätzlichen Druck auf Russland geben muss.

Dieser Plan wurde nur eine Woche nach dem Platzen eines sehr grossen Korruptionsskandals in der Ukraine bekannt gegeben. Glauben Sie, dass dies nur ein Zufall ist, oder stehen diese beiden Ereignisse in einem Zusammenhang?
Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien. Sehen Sie, es gibt eine innere Transformation der Ukraine als Staat. Wir sind leider ein postsowjetischer Staat. Und Korruption ist ein fester Bestandteil postsowjetischer Volkswirtschaften. Nicht nur in der Ukraine. Die Frage ist nicht, ob es Korruption gibt oder nicht. Die Frage ist, wie schnell und wie hart der Staat auf solche Fälle reagiert. Der ukrainische Staat, das Präsidialamt und andere staatliche Institutionen haben schnell reagiert. Was den Entwurf des Plans der USA betrifft, so ist das meiner Meinung nach ein separates Thema.

Einer der Punkte in diesem Plan sind Wahlen in der Ukraine. Nun sind Wahlen derzeit in der Ukraine logistisch und rechtlich nicht möglich. Personelle Änderungen in der Regierung sowie Präsidialamt allerdings schon. Stehen da Änderungen bevor?
Ich stehe diesem Punkt ablehnend gegenüber. Warum? Weil Demokratie nicht ungewählt sein kann. Natürlich schränkt die Kriegszeit die Wahlprozesse ein. Wir werden jede Nacht angegriffen. Eine grosse Anzahl von Menschen ist auf die eine oder andere Weise direkt in Kampfhandlungen involviert. Es geht hier nicht darum, dass jemand etwas an sich reisst oder dass jemand keine Wahlen will. Der Präsident hat wiederholt gesagt, dass, sobald wir zu einem festen, garantierten Ende der Kämpfe kommen, innerhalb relativ kurzer Zeit Wahlen organisiert und durchgeführt werden – sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen. Dieser Punkt ist meiner Meinung nach also keine Forderung, sondern entspricht der Logik der Nachkriegszeit.

Ist dieser momentane Verhandlungsprozess der Anfang vom Ende des Krieges?
Erstens ist die Ukraine definitiv bereit für den Verhandlungsprozess und bereit für das Ende des Krieges. Aber zweitens rate ich allen, sich die Reden Putins anzusehen, seine emotionale Färbung in diesen Reden, und dann wird klar, dass Russland kein Ende des Krieges, sondern einen endlosen Krieg mit unterschiedlicher Intensität will. Für sie ist es unmöglich, den Krieg zu beenden – weil man mit Krieg alles begründen kann: Einschränkungen nach Innen, Provokationen nach Aussen, etwa in Richtung Europa, insbesondere Nordeuropa. Um Russland zu zwingen, diesen Krieg zu beenden, müssen drei Dinge getan werden: Man sollte Russland keine sinnlosen Verhandlungen anbieten, sondern Russlands Zugang zu Finanzmitteln auf den globalen Märkten erheblich einschränken. Zweitens geht es um eine deutliche Verstärkung der Angriffe auf das Territorium Russlands, also die Zerstörung der militärischen Ressourcenbasis. Ohne das geht es nicht, denn sie bauen diese Basis aus. Und wenn man seine Wirtschaft auf Militarismus umstellt, was glauben Sie, werden sie in drei Jahren tun? Natürlich ist das Dritte die Einschränkung jeglicher Einflussnahme Russlands auf verschiedene Länder was Informationspolitik und Diplomatie angeht. Man muss Putin aufmerksam zuhören. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
1 / 37
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
Von ihrem Nachbarn überfallen, kämpft die Ukraine ums Überleben. In dieser Bildstrecke schauen wir auf die Ereignisse seit der Invasion Russlands zurück ...
quelle: keystone / bo amstrup
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Wer genau hinschaut, sieht die nächste Katastrophe, die sich in der Ukraine anbahnt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
36 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
banda69
22.11.2025 20:09registriert Januar 2020
Danke für dieses aufschlussreiche Interview. Die Ukraine verdient Respekt und Unterstützung auf allen Ebenen. Militärisch, finanziell, humanitär und erhöhung des Drucks auf die Terror-Russen.
908
Melden
Zum Kommentar
avatar
Idealisst, Fabulisst, Alchemisst
22.11.2025 20:05registriert Januar 2014
Sehr realisitische Einschätzungen. Aber es hilft alles nichts, wenn Trump seine Meinung schneller wechselt als seine Unterhosen und noch viel schlimmer (wir) Europäer immer nur lavern und nicht liefern.
757
Melden
Zum Kommentar
avatar
ImmerMitderRuhe
22.11.2025 20:14registriert Februar 2023
Den Krieg einfrieren, dann alle A Waffen die vor dem Budapester Memorandum in der Ukraine stationiert waren zurückgeben und neu aktivieren. Russland versteht nur das Gleichgewicht des Schreckens. Das wäre die einzig verlässliche Sicherheitsgarantie.
567
Melden
Zum Kommentar
36
Europäer lehnen Teile des US-Plans für Ukraine-Krieg ab
Deutschland und andere führende Unterstützer der Ukraine lehnen den US-Plan für ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in der derzeitigen Form ab.
Zwar stelle der aktuelle Entwurf eine Grundlage dar, jedoch müsse weiter an dem Plan gearbeitet werden, heisst es in einer nach einem Krisentreffen am Rande des G20-Gipfels in Johannesburg veröffentlichten Erklärung. Man sei bereit, sich einzubringen, um sicherzustellen, dass ein zukünftiger Frieden nachhaltig sei.
Zur Story