Eine einfache Frage zu Beginn: Wie geht es Ihnen?
Barbara Leifer: Es geht mir gut, ich habe keine Symptome, aber ich bin praktisch eine Gefangene in meiner Wohnung. Ich gehe raus, wenn ich etwas besorgen muss, aber das beschränkt sich auf Lebensmittel, Medikamente und anderes, was man in Apotheken erhält.
Wie sieht es in New York aus?
Die Stadt ist wie leergefegt. Ich wohne zwei Blocks vom Times Square entfernt. Dort pulsiert sonst das Leben. Jetzt ist nichts los. Sogar der Verkehr ist weg. Auf der 9. Avenue stehen die Autos sonst permanent im Stau. Jetzt sind die Strassen sogar zur Rush Hour vollkommen leer. Die Verkäufer, die auf der Strasse Gemüse und Früchte anbieten, sind immer noch dort, aber sie tragen alle Masken. Keine Ahnung, woher sie die haben. Eigentlich sind Masken nicht mehr erhältlich. Deshalb sieht man Leute auf der Strasse, die ihren Schal über das Gesicht gezogen haben. Auch chirurgische Handschuhe sind nicht mehr erhältlich. Deshalb tragen viele Leute die grossen Handschuhe, die man normalerweise zum Geschirrspülen verwendet.
Die New Yorker verhalten sich also sehr diszipliniert?
Das kann man so nicht sagen. Einige kümmern sich überhaupt nicht um die Aufforderung, sich und andere zu schützen, sei es im Laden oder auf der Strasse. Ich erlebe solche Dinge sogar in der eigenen Familie. Auf der anderen Seite haben viele Leute grosse Angst. Die Spitäler in New York werden überrannt.
Das tönt dramatisch.
Es ist eine sehr stressige Situation. Viele Menschen in New York leben sehr isoliert. In der Regel kann man in Manhattan selbst mitten in der Nacht rausgehen und etwas unternehmen. Jetzt haben sie Angst, ihre Wohnungen zu verlassen. Diese sind meistens sehr klein. Wenn man mit seiner Familie zusammenlebt, kann es sehr schwierig werden. Viele sind nervös und gestresst.
In gewisser Weise ist New York erneut Ground Zero.
Genau. Es fühlt sich an wie ein Terroranschlag, nur dass man nicht weiss, woher der Terrorismus kommt und wen es treffen wird. Das ist ein sehr seltsames Gefühl. Gleichzeitig reden die Leute viel mehr miteinander. Sie machen Vergleiche mit 9/11, aber auch mit Hurrikan Sandy im Herbst 2012. Schon damals waren die Strassen leer, was sich bizarr anfühlte, fast surreal. Jetzt ist das jeden Tag der Fall. Damals konnte man Zeit mit der Familie verbringen. Jetzt fühlt man sich sehr isoliert, wenn man keine Familie hat. Ein weiteres Problem ist häusliche Gewalt. Sie wird zunehmen.
Was kann man dagegen tun?
Die Menschen gehen immer noch in die Parks. Sie sollten eigentlich nur raus, wenn es nötig ist, aber manchmal muss man einfach raus, um frische Luft zu schnappen. Ich habe das Glück, eine Terrasse zu haben, mit einem schönen Blick auf die Stadt.
Niemand weiss, wann das aufhört. Das macht es wohl noch schlimmer.
Allerdings, und dann gibt es diesen Typen, der uns weismachen will, alles sei in zwei Wochen vorbei. Die Trump-Regierung gaukelt den Leuten vor, alles sei in Ordnung. Leider glauben das viele. Es ist geradezu eine politische Frage, ob man die Schutzmassnahmen einhält oder nicht. Gleichzeitig blüht der Humor, viele Leute schicken mir witzige Dinge über Trump. Ich finde das gut.
Gouverneur Andrew Cuomo wird für sein Krisenmanagement gelobt, was halten Sie davon?
Er tritt jeden Tag am Fernsehen auf. Ich kann ihn schon fast nicht mehr hören (lacht). Er übertreibt und jagt den Leuten Angst ein, indem er höhere Fallzahlen angibt, als tatsächlich vorhanden sind.
Was bezweckt er damit?
Es ist ein Aufschrei. Er will, dass sein Staat Hilfe bekommt. Das ist nicht schlecht. Er kümmert sich um New York und ist bereit, die Zahl der notwendigen Beatmungsgeräte zu überhöhen, damit er wenigstens einige bekommt. Donald Trump hat ihm gerade einmal 400 versprochen, und wir haben mehr als 26'000 positiv getestete Menschen. Cuomo scheint seine Rolle aber auch zu geniessen. Er übernimmt Verantwortung, und das gefällt den Menschen im Staat New York.
Viele New Yorker versuchen, aus der Stadt zu fliehen. Wie kommt das an?
Nicht sehr gut, und das nicht nur in der Stadt. In Florida beklagt man sich darüber. Donald Trump hat deswegen gedroht, die Stadt unter Quarantäne zu stellen, damit niemand mehr herauskommt. New York gilt als Epizentrum der Pandemie. Viele Leute werden krank auf kleinem Raum.
Können Sie Beispiele nennen?
Eine Ärztin hat mir von einem Patienten erzählt, der Symptome aufwies. Es war ein junger, kräftiger Mann. Er ging ins Spital, wo man ihm beschied, er habe zwar Symptome, aber noch kein hohes Fieber. Er solle nach Hause gehen und sich unter Quarantäne stellen. Man teste nur Notfälle. Das ist bei weitem nicht der einzige Fall.
Wie kann das passieren?
Die Spitäler sind schlicht überfordert. Nur wer eine Vorerkrankung hat, kommt hinein. Und wer will überhaupt in ein Spital unter solchen Umständen? Am Ende wird man noch vom Pflegepersonal angesteckt. Manche sagen sich: Wenn ich jetzt nicht krank bin, werde ich es dort. Man kennt die Bilder aus Italien.
Wie sieht Ihr tägliches Leben aus?
Ich bin allein in meiner Wohnung, spreche aber regelmässig mit meiner Mutter. Sie ist in einem Altersheim in Kansas City. Dort werden die Patienten, die sich am Ende ihres Lebens befinden und oft schrecklich allein sind, gezwungen, in ihren Zimmern zu bleiben. Die einzige Möglichkeit, mit anderen zu reden, sind die Mahlzeiten, weshalb niemand sie auslässt. Sie sitzen am Tisch, auch wenn sie nichts essen, nur damit sie Kontakt mit anderen Menschen haben. Sonst haben sie nur Kontakt mit ihren Pflegekräften, die ihnen das Coronavirus ebenfalls übertragen könnten. Aber die Heime haben solche Angst, zu einem Seuchenherd zu werden, dass sie die Insassen isolieren.
Wie hält man das aus?
Es ist sehr traurig. Meine Mutter fühlt sich elend. Meine Schwester hatte kürzlich eine Darmkrebsoperation. Nur eine Woche später wäre sie abgesagt worden. Eine solche Operation gilt nicht als lebensnotwendig, unglaublich, aber wahr! Jegliche Art von medizinischer Versorgung oder Zahnbehandlungen wurde wegen des Coronavirus gestoppt. Ich selbst hätte einige Arzttermine gehabt, die abgesagt wurden. Es fühlt sich an, als ob das ganze Land auseinanderfällt.
Wie ist es, wenn Sie die Wohnung verlassen müssen?
Bei meinem letzten Besuch in Kansas City habe ich eine Maske erhalten, die ich trage, ebenso Handschuhe. Den Lift darf ich nur benutzen, wenn sich nicht mehr als zwei Personen darin befinden, und ich wohne im 32. Stock. Die Läden sind nicht überfüllt, aber auch keineswegs leer. Dort gehen alle hin, wenn sie rauswollen. Wenn ich nach Hause komme, mache ich Gymnastik zu einem lächerlichen Video auf YouTube. Glücklicherweise habe ich als Musikerin ein Steinway-Piano und kann arbeiten. Und natürlich schaue ich Newssender wie CNN und informiere mich.
Wie steht es um Ihre Arbeit?
Bei meinem Chor in Berlin sind alle Proben abgesagt. Die Metropolitan Opera hat ihre Saison abgebrochen. Die Musiker sind arbeitslos und erhalten keinen Lohn. Alle Veranstaltungen in der Stadt sind abgesagt. Für die Künstler ist das sehr hart, sie haben keine Arbeit mehr. Einige versuchen, auf YouTube auf sich aufmerksam zu machen. Sie waschen ihre Hände während 20 Sekunden und singen in dieser Zeit eine Arie. Es gibt viel Verrücktes, aber auch Kreatives.
Präsident Trumps medizinischer Berater Anthony Fauci hat eine düstere Prognose für die USA abgegeben. Er rechnet mit 200'000 Toten.
Die Todesfälle werden astronomisch sein. Einige erholen sich aber auch von der Krankheit. Man weiss nicht, wie es kommt. Mein Cousin ist kürzlich als Pathologe in den Ruhestand getreten. Er behandelt seine ganze Familie mit dem Malaria-Medikament Chloroquin. Das läuft seit zwei oder drei Wochen. Weiss Gott, ob das gut kommt! In Arizona hat ein Mann etwas Ähnliches mit sich und seiner Frau versucht. Er ist sofort gestorben.
Wo orten Sie das grösste Problem?
In den USA werden nicht genügend Tests durchgeführt. Niemand weiss, ob er oder sie das Virus hat. Ich könnte es haben und es jemand anderem weitergeben, ohne es zu wissen. Selbst wenn ich krank werde, erhalte ich keinen Test. Ich mache mir Sorgen wegen Menschen, die mit anderen zusammenleben. Wer hinausgeht und dringende Besorgungen macht, kann allerlei erleben, etwa dass man im Laden mit einer anderen Person zusammenstösst. Mir ist das kürzlich passiert! Gott bewahre, dass ich dafür verantwortlich wäre, wenn jemandem etwas geschieht.
Man kann nur hoffen, dass es nicht so schlimm wird wie befürchtet. Und dass es bei den vielen Nichtwählern einen Umschwung bewirkt. Es ist nicht egal, wenn inkompetente Leute an der Macht sind.
Angesichts dieses eitlen Trottels wünscht man sich schon fast George Bush jr. zurück.
und ohne lebensbedrohlichen zustand bleibt man auch zuhause.
Solange das Virus wütet, sind jedenfalls Wahlkampfveranstaltungen der anderen Kandidaten nicht möglich. Er ist der Einzige, mit regelmässiger Medienpräsenz. Zudem weiss ich nicht, wie die Rechtslage in den USA ist, aber ich könnte mir vorstellen, dass so eine Notlage wie jetzt gerade, auch eine Verschiebung der Wahlen ermöglichen könnte. Das währen noch einmal ein paar Gratismonate für DT...