Ägypten soll zehn Tage vor dem Beginn der Terrorkampagne der Hamas das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu über die bevorstehenden Angriffe unterrichtet haben. Laut israelischen Medienberichten sollen auch andere ägyptische Geheimdienstoffiziere vor einer «baldigen Explosion» im Gazastreifen sowie einer «schrecklichen Operation» gewarnt haben. Das Büro Netanjahus hat die Berichte inzwischen als «Lügen» und «Fake News» dementiert.
Von ägyptischer Seite wurden die Warnungen dagegen erneut bekräftigt. Nüchtern betrachtet spricht einiges dafür, dass die ägyptischen Sicherheitsdienste von der Terrorkampagne gewusst haben. Die Menge an Waffen und Sprengstoff, die in den letzten Monaten durch die Tunnel an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten geschmuggelt wurde, muss gewaltig gewesen sein.
Die enormen Ausmasse kann den allgegenwärtigen Kairoer Geheimdiensten nicht entgangen sein. Verhindert wurde der Schmuggel vermutlich nur deshalb nicht, weil er für alle Beteiligte, also auch ägyptische Offizielle, höchst lukrativ ist.
Ägypten hatte nach dem Ende der israelischen Militäroperation «gegossenes Blei» im Gazastreifen im Januar 2009 versucht, seine 15 Kilometer lange Grenze zu der palästinensischen Enklave mit einer durch Metallteile verstärkten unterirdischen Mauer zu sichern. Auch zusätzliche Sperrmauern und Stacheldrahtsperranlagen wurden errichtet. Trotzdem konnte der Schmuggel nicht unterbunden werden.
Bis zu 600 Millionen Dollar sollen die Betreiber von mehr als 300 vom Gazastreifen ausgehenden Schmuggeltunnel jedes Jahr an die Hamas bezahlen. Durch die nach Ägypten führenden Geheimgänge werden nicht nur Waffen und Sprengstoffe, sondern auch Lebensmittel sowie in ihre Einzelteile zerlegte Maschinen zur Waffenproduktion wie Präzisionsfräsen geschmuggelt.
Im Gazastreifen ist es ein offenes Geheimnis, dass in Ägypten praktisch alles bestellt werden kann, wenn man genügend dafür bezahlt. Und über Barmittel, bereitgestellt vom Iran, dem Emirat Katar und anderen arabischen Gönnern, verfügt die Hamas reichlich.
Die Hamas dürfte problemlos in der Lage sein, sich das Schweigen oder die Mitwirkung ägyptischer Offizieller beim Schmuggel zu erkaufen. Allerdings gibt es auch genügend Ägypter, die mit den Zielen der Hamas sympathisieren - was in Kairo natürlich nicht zugegeben würde. Sie bestreitet auch, dass in der Grenzstadt Rafah Tausende von Ägyptern vom Schmuggel nach Gaza leben.
Eine «normale» Ein- oder Ausreise aus dem Gazastreifen nach Ägypten war in den letzten Jahren meist nur in medizinischen Notfällen möglich. Lastwagen mit Hilfsgütern konnten dagegen passieren. Nach dem Beginn der Terrorkampagne der Hamas hat Ägypten seine Grenzübergänge zum Gazastreifen nicht nur geschlossen, sondern die Sperranlagen noch einmal verstärkt.
Den zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen vorausgegangen war die Aufforderung des israelischen Militärsprechers Daniel Hagari an die palästinensische Bevölkerung, aus dem Gazastreifen nach Ägypten zu fliehen. Aus offizieller ägyptischer Perspektive wäre eine solche Entwicklung eine Art «Super-GAU». Denn es gilt als sicher, dass es für die palästinensischen Flüchtenden dann keine Rückkehroption in den vermutlich unter direkter israelischer Okkupation stehenden Gazastreifen mehr geben würde.
Die Verlagerung oder Verschiebung des «Gaza-Problems» nach Ägyptens ist vor allem für die israelische Rechte eine verlockende Option. Aus ihrer Sicht sollte der 100-Millionen-Einwohner-Staat am Nil keine Probleme haben, 2.4 Millionen zusätzliche Menschen zu integrieren. Die Regierung in Kairo würde sich einer solchen Entwicklung mit aller Macht entgegenstemmen.
Der Gazastreifen stand von 1948 von 1967 unter ägyptischer Verwaltung, ehe er im 6-Tage-Krieg von der israelischen Armee besetzt wurde. In dieser Zeit hatten sich enge Bindungen nach Ägypten entwickelt, die heute zumindest offiziell nicht mehr bestehen. Seit 1995 ist der Gazastreifen Teil der palästinensischen Autonomiegebiete. Die Machtergreifung der Hamas erfolgte 12 Jahre später, nachdem sie in der Enklave reguläre Wahlen gewonnen hatte. (bzbasel.ch)
Das Versagen der Geheimdienste und der Regierung alleine müsste ja schon zu einem Rücktritt führen.