Am Montagmorgen starb ein Ägypter im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Er wurde bei der sogenannten Philadelphi-Passage erschossen.
Warum dieser Streifen Land strategisch so wichtig ist und ein diplomatisches Desaster zwischen Israel und Ägypten heraufbeschwören könnte:
Am Montag ist bei einem Schusswechsel zwischen israelischen und ägyptischen Truppen ein ägyptischer Soldat getötet worden. Das teilte der Sprecher des ägyptischen Militärs am Montag mit. Israels Armee bestätigte einen Schusswechsel.
Was genau passiert ist, ist noch nicht klar. Israelische Nachrichtenseiten berichteten, dass ägyptische Soldaten das Feuer eröffnet hätten. Ein ägyptischer Regierungsvertreter sagte dagegen, dass die israelischen Truppen zuerst geschossen hätten, man untersuche den Vorfall jetzt.
Der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Qahira News wiederum berichtete, es habe einen Schusswechsel zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern in Rafah gegeben. Projektile seien in mehrere Richtungen geflogen, ägyptische Sicherheitsleute hätten deshalb auf den Ort, von dem die Schüsse ausgingen, gefeuert.
Klar ist nur, der Mann ist der erste tote ägyptische Soldat in diesem Krieg zwischen Israel und der Hamas. Und er starb in der sogenannten Philadelphi-Passage.
Die Philadelphi-Passage ist rund 14 Kilometer lang und 100 Meter breit. Gedacht war sie als eine Art Pufferzone an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza, die sich vom Mittelmeer im Norden bis zum Grenzübergang Karm Abu Salem im Süden erstreckt – dem Dreiländereck zwischen Ägypten, Gaza und Israel.
Am 30. Dezember 2023 sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu während einer Pressekonferenz über die Philadelphi-Passage:
Doch warum ist dieser Streifen Land strategisch so wichtig für Israel?
Die Philadelphi-Passage wurde 1979 in einem Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten definiert: Israel sagte damals zu, sich von der Halbinsel Sinai zurückzuziehen, die zuvor im Sechstagekrieg erobert worden war. Dazu wurde auch die Grenze zwischen Ägypten und Palästina festgelegt. Diese verlief unter anderem quer durch Rafah – die Stadt im Süden des Gazastreifens, die Israel seit Wochen bombardiert.
In dem Friedensvertrag wurde vereinbart, dass die 100 Meter direkt hinter der ägyptischen Grenze zwar palästinensisches Gebiet seien, aber auch entmilitarisiert sowie unter die Kontrolle der israelischen Armee gestellt würden. Häuser wurden abgerissen, das Gebiet wurde zu einer mit Mauern und Zäunen gesicherten Festung. Unter anderem sollte damit der Transport von Waffen oder Munition zwischen Ägypten und dem Gazastreifen verhindert werden.
Als sich Israel 2005 aus dem Gazastreifen zurückzog, wurde das Philadelphi-Protokoll, ein Sicherheitsanhang zum Vertrag von 1979, unterzeichnet. Es ermächtigte Ägypten, 750 Grenzschützer entlang des Zauns zu stationieren. Sie waren die ersten ägyptischen Soldaten, die seit dem Krieg von 1967 in der Zone patrouillierten. Zudem wurde die Präsenz acht ägyptischer Helikopter, 30 leicht gepanzerter Fahrzeuge und vier Küstenpatrouillenschiffe im neuen Vertrag vereinbart.
Auf palästinensischer Seite kontrollierte die Palästinensische Autonomiebehörde die Grenze, bis 2007 die Hamas die Macht im Gazastreifen übernahm. Als Reaktion darauf verhängte Israel eine Land-, Luft- und Seeblockade.
Unter dem Grenzübergang wurden derweilen Tunnels gegraben, um trotz der rigorosen Kontrollen an der Oberfläche Schmuggelwaren in den Gazastreifen zu bekommen. Ägypten hat in der Vergangenheit zwar immer wieder solche Tunnels zerstört, Israel warf dem Land allerdings vor, dies nicht wirksam genug zu tun. Immer wieder bestreitet Ägypten die Existenz neuer Tunnels.
Am 7. Mai 2024 drangen zum ersten Mal seit 2005 israelische Streitkräfte in die Philadelphi-Passage ein. Die israelische Armee teilte mit, dass ihre 401. Panzerbrigade die Kontrolle über die palästinensische Seite des Grenzübergangs Rafah übernommen habe.
Am 22. Mai gab Israel bekannt, man habe Raketenabschussrampen der Hamas in der Philadelphi-Passage detektiert und zerstört:
🔴Located along the Philadelphi Corridor: Loaded rocket launchers aimed at Israel.
— Israel Defense Forces (@IDF) May 22, 2024
Our soldiers located and destroyed these multi-barrel rocket launchers. The launch sites were located in eastern Rafah along the Philadelphi Corridor, close to the border.
We will continue to… pic.twitter.com/msyhnQsQUO
Die Übernahme von Teilen der Philadelphi-Passage durch Israel rief sofort die Ägypter auf den Plan, die das Eindringen der israelischen Armee in das Gebiet als «gefährliche Eskalation» bezeichneten. Ägypten stoppte in der Folge humanitäre Lieferung beim Grenzübergang Rafah. Erst am vergangenen Sonntag – einen Tag vor dem Tod des Soldaten – nahm Ägypten die Hilfslieferungen über den Grenzübergang weiter südlich bei Kerem Shalom wieder auf.
Djaouida Siaci vom Middle East Institute in Washington warnte bereits im Vorfeld, dass ein Eindringen von israelischen Truppen in die Philadelphi-Passage heikel sei:
Bereits im Januar soll Israel Ägypten über seine Absicht informiert haben, eine Militäroperation entlang der Grenze zum Gazastreifen durchzuführen, wie das «Wall Street Journal» schreibt. Als Reaktion sagte Diaa Rashwan, der Chef des ägyptischen staatlichen Informationsdienstes, im Februar:
Er behauptete, dass der eigentliche Zweck der Kontrolle des Korridors seitens Israel darin bestehe, den Palästinensern unter dem Druck der Bombardierung die Flucht in Richtung Sinai zu ermöglichen. Was faktisch ein Sicherheitsrisiko wäre für Ägypten.
Ägypten hat im November damit begonnen, eine Pufferzone vor der Philadelphi-Passage zu errichten. Sogar Beduinenstämme sollen aufgefordert worden sein, sich der Grenze zu Gaza nicht näher als 4 Kilometer zu nähern, wie das ägyptische Newsportal Madamasr schreibt.
Bereits im Dezember schrieb die neokonservative israelische Denkfabrik Jerusalem Center for Public Affairs, dass Israel im Krieg gegen die Hamas die Kontrolle über die Philadelphi-Passage erlangen müsse, um eine Vorherrschaft über den Rafah-Grenzübergang zu erlangen. Und somit die Kontrolle auch über die Schmugglertunnels, um sicherzustellen, dass weder Hamas-Kämpfer aus dem Gazastreifen heraus- noch Waffen in den Gazastreifen hineingeschmuggelt werden könnten.
Weiter heisst es da:
Gemäss dem von Katar finanzierten Middle East Monitor sollen bereits 2023 Gespräche zwischen Israel, den USA und Ägypten stattgefunden haben, um Sicherheitsfragen rund um die Philadelphi-Passage und den Tunnels darunter zu klären. Drei hochrangige ägyptische Politiker erklärten am 9. Januar gegenüber Reuters, Ägypten habe den israelischen Vorschlag abgelehnt. So habe sich Kairo geweigert, israelisches Sicherheitspersonal auf der ägyptischen Seite der Grenze zu stationieren, um dort gemeinsame Patrouillen mit Ägypten durchzuführen.
Israel habe ausserdem die Installation von Sensoren entlang der Philadelphi-Passage verlangt, um neue Tunnelnetzwerke zu entdecken. Ägypten jedoch habe darauf beharrt, dass «das Gebiet keine Tunnel aufweist», wie der israelische Rundfunk im Dezember verbreitete.
Die Beziehungen zwischen Tel Aviv und Kairo waren nie besonders gut, trotzdem haben sich die beiden Länder in den letzten paar Jahren angenähert – auch weil Ägypten als ein Garant für Sicherheit im Nahen Osten gilt. Israels Einmarsch in Rafah stellt diese Beziehung auf die Probe.
Leider wird im Artikel nur zaghaft angetönt, dass Ägypten selbst riesig Angst hat vor der Hamas und alleine deshalb fast alles dicht macht. Ägypten zerstört diese Tunnel (v.a. für Waffenschmuggel und anderes Illegales) nicht konsequent genug und behauptet dann wiederum, dass es gar keine Tunnel gibt? 🤔
Hoffentlich laufen im Hintergrund halbwegs vernünftige Verhandlungen. Immerhin haben die beiden Staaten dies seit 1979 mehr oder weniger gut hinbekommen….
Ja Herrgott nochmal, wieso arbeitet man dann nicht mit Israel zusammen, wenn es da nichts zu entdecken gibt...?!
Will man einfach ums verrecken, dass die Situation eskaliert?!
Wenn Ägypten wirklich etwas am Frieden liegt, dann wird schlicht kein Weg daran vorbeiführen, auf polit. Ebene mit Israel zusammenzuarbeiten, um die Sicherheitslage in der Region längerfristig zu stabilisieren.