Fast 3000 Verletzte, mindestens zwölf Tote und noch immer 200 Hisbollah-Angehörige, die sich in kritischem Zustand befinden.
Das Ausmass der Sabotage-Attacke mittels Pagern auf die Mitglieder der radikalislamischen libanesischen Terrororganisation ist gewaltig. Auch weil die Aktion derart raffiniert scheint, ist das Interesse nach dem genauen Hergang gross.
Alles, was wir dazu wissen.
Nach dem Vorfall wurde viel über die Art und Weise, wie eine solch grossangelegte Sabotage-Aktion, noch dazu quasi auf Knopfdruck, organisierbar ist, spekuliert. Beispielsweise gab es die Theorie, dass die Lithium-Batterien der Pager mittels einer Schadsoftware zum Überhitzen und damit zur Explosion gebracht wurden.
Nach den jüngsten Informationen, die die New York Times publik gemacht hat, scheint das aber unwahrscheinlich – denn die Zeitung berichtet unter Berufung auf US- und andere Beamte, die über den Hergang der Operation informiert worden seien, dass die Pager mit wenigen Grammen an Sprengstoff bestückt wurden, ehe sie der Hisbollah übergeben wurden.
Den Informationen zufolge soll Israel – das sich weiterhin nicht zu den Geschehnissen geäussert hat – die Lieferkette gekapert und so die Pager manipuliert haben. Eine hochrangige libanesische Sicherheitsquelle gibt gegenüber Reuters an, dass in insgesamt 5000 Pager Sprengstoff platziert wurde.
Bestellt hat die Hisbollah die Geräte von Gold Apollo, einem taiwanischen Hersteller. Die meisten der Pager waren Versionen des Modells AR-924, es waren aber auch drei andere Modelle in der Lieferung enthalten.
Die Times-Quellen erklären auch, wie die Zündung genau erfolgt sein soll: Um 15.30 Uhr (Ortszeit) wurde eine Nachricht an die Pager übermittelt. Diese habe ausgesehen, als sei sie von der Führung der Hisbollah und damit unverdächtig. Doch diese Nachricht soll den Schalter in den Pagern aktiviert und damit die Sprengung eingeleitet haben. Die Geräte seien so programmiert gewesen, dass sie mehrere Sekunden lang piepten, ehe die Sprengladungen aktiviert wurden.
Bereits vor dem Bekanntwerden dieser Informationen hielten Cyberexperten die Sprengstoff-Theorie für wahrscheinlicher als beispielsweise das absichtliche Überhitzen der Batterien. Dass die Explosionen heftig waren und gleichzeitig erfolgten, deute darauf hin, dass es sich nicht um eine Manipulation mittels Batterie handle, welche nicht eine solche Gewalt hätte erzeugen können.
Natürlich stellt sich nach der Publikation dieser Informationen die Frage, was der taiwanische Hersteller Gold Apollo dazu sagt. Dass die Firma gemeinsame Sache mit dem Mossad machte und diese seelenruhig gemeinsam mit Sprengstoff versetzte Pager herstellte, ist schwer vorstellbar. Und laut dem Firmengründer Hsu Ching-Kuang hatte Gold Apollo tatsächlich überhaupt nichts mit der Produktion der Pager zu tun, wie er gegenüber Reuters erklärte. Dies, obwohl Bilder kursierten, die das Logo der Firma auf den detonierten Geräten zeigten. Hsu sagte:
Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte Gold Apollo, dass die Pager von einer in Ungarn ansässigen Firma produziert wurden, welche das Recht besitzt, ihr Firmenlogo zu benutzen. Taiwanischen Medienberichten zufolge will die Firma rechtliche Schritte einleiten, da sich das Unternehmen als Opfer sieht.
Die Hisbollah begann anfangs dieses Jahres vermehrt auf Pager als Kommunikationsmittel zu setzen, weil die Angst beim Chef der Gruppe, Hassan Nasrallah, gross war, dass Israel Smartphones hacken könnte. Deshalb hatte er die Nutzung von Mobiltelefonen unter seinen Kämpfern stark eingeschränkt.
Eine Stellungnahme aus Israel gibt es zum Vorfall weiterhin nicht, was aber nicht überraschend ist. In der Vergangenheit liess das Land gezielte Militäreinsätze oder Sabotageaktionen gegen Feinde, wie die Tötungen der Hamas-Köpfe Mohammed Deif oder Ismail Hanija, auf fremdem Staatsgebiet in der Regel unkommentiert.
Für die Hisbollah ist aber klar, dass der Erzfeind dahintersteckt und sie kündigte Vergeltung an. Gemäss der New York Times ging Israel davon aus, dass das Risiko, Personen zu verletzen, die nicht mit der Hisbollah in Verbindung stehen, angesichts der Grösse des Sprengstoffs gering war.
Der mit der Hisbollah verbündete libanesische Parlamentsvorsitzende Nabih Berri sprach von einem «Massaker und Kriegsverbrechen Israels». In Gedenken an die Opfer der Vorfälle und aus Protest sollen Schulen und Universitäten im Libanon heute geschlossen bleiben.
Der Aussenminister Libanons, Abdallah Bou Habib, sagte gegenüber der New York Times, dass die Hisbollah «definitiv Vergeltung» üben werde. Wie diese Vergeltung aussehen wird, ist aber noch unklar: «Wie? Wo? Ich weiss es nicht», so Bou Habib.
In Erwartung einer möglichen Reaktion sind Luftabwehr, Luftwaffe und Militärgeheimdienst in Israel in erhöhte Einsatzbereitschaft versetzt worden, berichtete der israelische Armeesender. Eine Elite-Division solle ausserdem im Rahmen der erhöhten Spannungen vom Gazastreifen an die Grenze zum Libanon verlegt werden.
Im Verlauf der Nacht seien im Militärhauptquartier in Tel Aviv Beratungen zur Lagebewertung geführt worden. Israel achte nun auf jede mögliche Aktion der Hisbollah, berichtete der Sender. Die Heimatfront, die für die Notfallbereitschaft der Zivilbevölkerung zuständig ist, habe aber bisher ihre Anweisungen nicht verändert.
The Chief of the General Staff, LTG Herzi Halevi, held a situational assessment this evening (Tuesday), with the participation of the General Staff Forum, focusing on readiness in both offense and defense in all arenas. pic.twitter.com/5mcVJh28Cg
— Israel Defense Forces (@IDF) September 17, 2024
Ein Sprecher des US-Aussenministeriums, Matthew Miller, sagte am Dienstagabend, die USA seien «nicht involviert» gewesen. Man habe auch keine Vorabinformationen bekommen.
Gemäss Miller pocht die Biden-Administration weiterhin auf eine Beruhigung der Lage. «Es liegt an Israel und anderen Parteien, eine diplomatische Lösung anzustreben.»
«Die meisten Verletzten haben schwere Augenverletzungen, andere Chirurgen mussten Arme amputieren», sagte ein Augenarzt in einem der grossen Krankenhäuser in Beirut. Wegen der grossen Zahl an Verletzten hätten plastische und Zahnchirurgen am späten Abend und in der Nacht aushelfen müssen.
Der geschäftsführende libanesische Gesundheitsminister Firas Abiad besuchte Opfer in mehreren Krankenhäusern und sagte, die Menschen hätten vor allem Verletzungen an Augen, anderen Teilen des Gesichts sowie Händen und Unterleib erlitten. Vermutlich hatten viele Opfer die als Pager bekannten Funkempfänger in der Hand oder in der Hosentasche, als sie explodierten.
Die New York Times schreibt am Mittwochmorgen, dass auch der iranische Botschafter im Libanon, Mojtaba Amini, bei den Explosionen ein Auge verloren haben soll. Die Zeitung beruft sich auf zwei Angehörige der iranischen Revolutionsgarden. Offenbar wurde er zur Behandlung nach Teheran ausgeflogen.
Die iranische Botschaft dementiert den Bericht allerdings. Iranischen Medien zufolge soll Amini nur «leicht» verletzt worden sein.
Das Gesundheitssystem im Libanon steht enorm unter Druck und ist auf eine so grosse Zahl an Verletzten kaum vorbereitet. Wegen einer seit Jahren andauernden Finanzkrise und einer beispiellosen Abwertung der örtlichen Währung haben viele Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen Probleme, Arzneimittel und andere Ausrüstung zu beschaffen.
Wegen Stromausfällen und Treibstoffknappheit lassen sich Arzneimittel häufig auch nicht korrekt lagern. Es fehlt an Personal, andere Häuser mussten aus finanzieller Not Stellen streichen oder schliessen. Selbst die Grundversorgung ist für viele Patienten nicht mehr gesichert.
«Die Krankenhäuser waren überwältigt», sagte Sulaiman Harun, Leiter des Krankenhaus-Syndikats im Libanon, der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten der Verletzten müssten sofort operiert werden, einige hätten nach den Explosionen am Dienstagabend aber bis heute warten müssen. «Unseren Krankenhäusern fehlt es an Arzneimitteln wegen der fragilen Lage in unserem Gesundheitssystem.»
Der Irak schickte ein Flugzeug mit Arzneimitteln. Im Süden von Beirut bauten Helfer mehrere Zelte auf, um Blutspenden zu sammeln. Auch das Gesundheitsministerium rief die Libanesen auf, Blut zu spenden.
(con/ome mit Material der SDA)
Ziel erreicht:
1. Outing der Hezbollah-Mitglieder
2. Störung der Feindkommunikation
3. Starke Message an den Feind
Und ja, es ist der Feind. Die Hezbollah befindet sich seit langem im offenen Krieg mit Israel (zählt die Raketen). Also war die Aktion völlig legitim. Eigentlich sogar genial. Denn die Kollateralschäden waren minim.
Ich hoffe, sie haben die Message verstanden.