Bei einem mutmasslich koordinierten Angriff im Libanon und in Syrien sind Hunderte Menschen verletzt worden – durch explodierende Telekommunikationsgeräte, genauer gesagt Pager.
Falls du dich fragst, was das ist – hier gibt es Aufklärung:
Genaue Opferzahlen lagen zuerst nicht vor. Laut einem Hisbollah-Vertreter waren «Tausende» Kämpfer der Miliz bei der Aktion verletzt worden. Auch die Agentur Reuters berichtete vorerst von über 1000 Betroffenen. Ein anderer Sprecher erwähnte gegenüber der Associated Press «hunderte» Opfer. Allein in einem Spital südlich Beiruts wurden 300 Verletzte eingeliefert. Zudem seien drei Hisbollah-Kämpfer verstorben, so der Sprecher.
Später klärte der libanesische Gesundheitsminister auf: 2750 Menschen sind allein im Libanon verletzt worden; acht Menschen starben dabei. Der Zustand von rund 200 Verletztend sei weiterhin kritisch. Laut der französischen AFP ist darunter auch die minderjährige Tochter eines Hisbollah-Kämpfers.
In Videos von Überwachungskameras war zu sehen, wie es etwa in Supermärkten zu kleineren Explosionen kam. Teils lagen Menschen danach am Boden. Die Explosionen ereigneten sich örtlichen Medien zufolge in den südlichen Vororten Beiruts, wo die Hisbollah besonders stark ist, sowie im Süden des Landes.
Augenzeugen berichteten von Panik in den Strassen Beiruts. Zahlreiche Krankenwagen waren im Einsatz. Das libanesische Gesundheitsministerium rief alle Krankenhäuser zu höchster Alarmbereitschaft auf und forderte die Menschen auf, keine Funkgeräte zu benutzen. Das Ministerium rief zu Blutspenden auf.
Mitunter wurde auch der iranische Botschafter im Libanon, Mojtaba Amani, verletzt. Die Hisbollah ist der wichtigste nicht-staatliche Verbündete der Islamischen Republik Iran.
Now in Lebanon 🚨
— 🇵🇸ليلى (@Lailafatimeh) September 17, 2024
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Noch ist nicht bekannt, wer hinter den explodierenden Pagern steckt. Allerdings gibt es natürlich Spekulationen. Die gängigste ist, dass Israel die Strippen gezogen hat.
Auch wie genau die Kommunikationsgeräte explodieren konnten, ist noch nicht abschliessend geklärt. Gemäss einem Kommunikationsberater, mit dem die libanesische zeitung an-Nahar gesprochen hat, sei wohl die Batterie jener Teil des Pagers, der explodiert sei.
Update: Die neuesten Informationen zum Hergang der Sabotageaktion findest du hier:
Dass so viele Hisbollah-Kämpfer mit Pagern ausgestattet waren, ist kein Zufall. Sie sind günstiger als Natels und benötigen kein Handynetz, sondern lediglich Radioantennen. Allerdings lassen sie sich auch äusserst leicht hacken, wie dies teils bei US-Spitälern, wo die Geräte häufig im Einsatz sind, bereits der Fall war.
Experten in israelischen Medien gingen davon aus, dass es sich bei den Pagern um ein für die Miliz sehr wichtiges Kommunikationssystem gehandelt habe.
Bei den verwendeten Modellen scheint es sich zumindest teilweise um den AR-924 der taiwanesischen Firma Gold Apollo zu handeln. Das Modell verfügt über einen Lithium-Akku, der eben durch Überhitzung zur Explosion gebracht werden könnte.
Das Büro des libanesischen Premierministers Najib Mikati veröffentlichte nach dem Vorfall ein Statement. Darin wird dieser als «kriminelle israelische Aggression» bezeichnet, mit der Ergänzung, dass dies einen «ernsten Verstoss gegen die libanesische Souveränität» darstelle.
In einem Statement der Hisbollah wurde Israel die Verantwortung zugeschoben. Die Terrororganisation kündigte eine Bestrafung für die «sündige Tat» an.
Ein einflussreicher und mit der Hisbollah verbündeter Politiker im Libanon hat den mutmasslich koordinierten Angriff als «Massaker und Kriegsverbrechen Israels» bezeichnet. Die internationale Gemeinschaft könne sich nach diesem Angriff durch die «israelische Terrormaschine» nicht mehr mit Erklärungen zufriedengeben, in denen solche Handlungen verurteilt und angeprangert würden, sagte der Parlamentsvorsitzende Nabih Berri. Israel gefährde die Sicherheit der Region und führe sie zu «grossem Unheil».
Die Vermutung, dass Israel dahintersteckt, ist nicht abwegig. Seit dem von der Hamas ausgeführten Massaker am 7. Oktober haben sich die ohnehin bereits angespannten Beziehungen weiter verschlechtert. Seither kommt es beinahe täglich zu Raketen- und Drohnenangriffen zwischen Israel und der Hisbollah, die im Libanon auch politisch sehr viel Einfluss hat.
Noch am Montag hatte Israels Verteidigungsminister Joav Galant erklärt, die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung im Konflikt mit der Hisbollah rücke immer weiter in die Ferne, weil die Miliz ihr Schicksal mit der Hamas im Gazastreifen verbunden habe und sich weigere, den Konflikt zu beenden.
Bislang hat sich Israel nicht zu den Vorkommnissen geäussert. Auch auf Anfrage internationaler Presseagenturen wurde kein Kommentar abgegeben.
Der israelische Kan-Sender berichtete, Militär und Verteidigungsministerium gingen davon aus, dass die Hisbollah mit einem Militäreinsatz gegen Israel reagieren werde. Es gab dazu am Abend Beratungen im Militärhauptquartier in Tel Aviv.
Gemäss Berichten von Militärbeobachtern sind im Norden Israels die Reservisten der IDF auf ihre Militärbasen beordert worden. Diese Berichte liessen sich jedoch vorerst nicht überprüfen oder verifizieren.
Die Vereinten Nationen haben vor einer Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah gewarnt. «Diese Entwicklungen sind äusserst besorgniserregend, insbesondere angesichts der Tatsache, dass dies in einem äusserst instabilen Kontext geschieht», sagte Sprecher Stéphane Dujarric in New York.
Die UN beobachteten die Situation. «Wir können die Risiken einer Eskalation im Libanon und in der Region nicht genug betonen», fügte Dujarric hinzu.
Mathew Miller, der Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums, erklärte derweil, dass die USA «nicht involviert» und auch nicht im Voraus informiert gewesen sei. «Im Moment sammeln wir noch Informationen.»
Der engste Verbündete der Hisbollah, der Iran, hat unterdessen angeboten, ein Flugzeug zum Abtransport einiger Verwundeter in Richtung Beirut zu schicken.
(Ergänzt mit Material der sda)